Gesetz gegen Hassnachrichten: Justizministerin Lambrecht verteidigt Entwurf

Die Justizministerin will Lücken in der Gesetzgebung schließen, die von Ermittlern benannt wurden. Es gehe um schlimmste Drohungen mit Straftaten.

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Gesetz gegen Hass: Justizministerin Lambrecht verteidigt ihren Entwurf

(Bild: Sam Wordley/Shutterstock.com)

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Von
  • Ulrich Hottelet
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Einigkeit in den Zielen, aber Streit um den richtigen Weg prägte die Podiumsdiskussion am 30.3.2020 über den Gesetzentwurf gegen Hasskriminalität mit der Bundesjustizministerin Christine Lambrecht. Die Gesprächsrunde wurde wegen des Coronavirus als Studioproduktion vom Sender ALEX Berlin TV gestreamt und war vom "DJV Berlin – Journalistenverband Berlin-Brandenburg" und dem Deutschen Anwaltverein (DAV) organisiert worden.

Zu Beginn stellte Ministerin Lambrecht ihren 57-seitigen Gesetzentwurf "zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität" vor. Nachdem er zunächst viel Kritik in der öffentlichen Debatte geerntet hatte und zum Beispiel von einer Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür gesprochen wurde, fiel die Resonanz zuletzt im Bundestag milder aus. Der Bundesrat forderte einige Korrekturen.

Lambrecht bezeichnete die Änderungen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) als Kernstück des Entwurfs. Daneben sieht er Änderungen im Strafrecht vor. "Es ist schädlich für Demokratie und Meinungsfreiheit, wenn Menschen mundtot gemacht werden und dem öffentlichen Diskurs aus Angst fernbleiben", begründete sie das Hauptanliegen des Gesetzeswerks. Gerade die oft massiven Drohungen gegenüber Kommunalpolitikern dürfe man nicht länger zulassen. Dafür soll auch das Melderecht geändert werden, sodass Privatadressen nicht mehr zugänglich sind.

Sie könne die Kritik nicht nachvollziehen, wenn zum Beispiel von den Betreibern sozialer Netze als "Hilfssheriffs" gesprochen werde. Vielmehr würde es zu weit gehen, wenn die Plattformen für die Prüfung zuständig wären statt des BKA und der Staatsanwaltschaften. In Bezug auf die Kritik an der geplanten Herausgabe von Passwörtern betonte sie, das sei schon seit 2007 per Generalklausel möglich. Der Entwurf stelle das hingegen unter richterlichen Vorbehalt und es gelte nur für "schwerste Straftaten".

Den Vorwurf, es gebe zur Durchsetzung zu wenige Richter und Ermittler, ließ Lambrecht nicht gelten. Laut dem Richterbund würde das zusätzliche Personal 26 Millionen Euro kosten. "Das können wir gemeinsam mit den Ländern schultern." Sie begrüßte "Signale aus den Ländern", dass weniger Ermittlungsverfahren bei Hassposts eingestellt werden.

In der anschließenden Diskussion sagte Rechtsanwalt Jost Müller-Neuhof, Tagesspiegel-Redakteur und Mitglied des Deutschen Presserats, Hass und Hetze seien zwar widerlich, aber nicht alle solche Äußerungen verstießen gegen das Strafrecht. Er fürchtete: "Es wird suggeriert, der Staat könne das abstellen." Dem stimmte Rechtsanwalt Stefan Conen vom DAV-Ausschuss Strafrecht zu. "Das Strafrecht ist die ultima ratio. Es kann nicht Antworten auf gesellschaftliche Probleme geben. Damit überfordert man es."

Die Prüfung auf strafrechtliche Inhalte werde fälschlicherweise von staatlichen Stellen auf private vorverlagert und delegiert. Stattdessen sollten die Nutzer Strafanzeigen stellen. Er fürchtete, die Plattformen würden "eher zu viel melden, um ihre Compliance zu erfüllen". Die Ministerin erwiderte, die Plattformen müssten bereits wegen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes prüfen. Facebooks Meldeweg für Nutzer bei anstößigen Äußerungen sei zu umständlich. "Wir haben das Gesetz auf schwerste Straftaten begrenzt. Es geht nicht um eine einfache Beleidigung. Die Ermittlung bleibt natürlich in der Hand der Behörden."

Die Rechtsanwältin Josephine Ballon von der Beratungsorganisation HateAid unterstützte den Gesetzentwurf. "Er hilft. Bisher sind die Opfer hilflos. Er hat auch einen Abschreckungseffekt auf Täter", so Ballon. Sie wies darauf hin, dass viele Nutzerinnen keine Anzeigen mehr nach schlechten Erfahrungen stellen würden. Oft müssten sie sich nämlich bei der Polizei für ihre eigenen Äußerungen rechtfertigen oder die Ermittlungen würden eingestellt. Ein praktisches Problem sei, dass IP-Adressen nach sechs Tagen von den Providern gelöscht würden. Opfer müssten sich dann an die Plattformen wenden. Sie empfahl als Vorbild einen "quick freeze" wie bei Urheberrechtsstreitigkeiten um IP-Adressen. Dieser wird vom Provider verhängt. Lambrecht erklärte, das BKA solle künftig die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft für eine IP-Adresse herausfinden. "Das ist die Zentralstellenfunktion des BKA", so die Ministerin.

Die Moderatorin und FAZ-Journalistin Helene Bubrowski kristallisierte in der Diskussion die zentrale Frage heraus: "Wie schützen wir die Meinungsfreiheit? Durch eine weite Auslegung oder durch den Schutz derjenigen, die sich aus Angst vor Angriffen aus der öffentlichen Debatte zurückziehen?" Dazu vertraten die Podiumsteilnehmer auffallend unterschiedliche Positionen je nach Geschlecht. Das wurde beim Fall Renate Künast deutlich. Die Grünen-Politikerin war auf Facebook übel beschimpft worden. Das Landgericht Berlin urteilte, sie müsse als Politikerin die Beleidigungen hinnehmen. Ballon, die als Rechtsanwältin Künast vertreten hat, wies darauf hin, dass bei Frauen Beleidigungen oft sexualisiert seien.

Lambrecht sagte, das Ziel des Entwurfs sei es, Täter durch ihre IP-Adresse schneller zu ermitteln. Jost Müller-Neuhof dagegen befürchtete: "Wir wollen alle im Netz erziehen. Das muss Grenzen haben. Soziale Netze sind ein auf Konfrontation angelegter Diskussionsraum. Wir werden immer Abwertungen dort haben. Im Übrigen finde ich es nicht so schlimm, wenn sich Menschen aus sozialen Netzen zurückziehen." Stefan Conen kritisierte: "Das Gesetz ist teilweise Symbolpolitik. Wenn es wie im Fall Künast zu Freisprüchen kommt, wird der öffentliche Eindruck erweckt, eine unsägliche Äußerung wäre okay und staatlich abgesegnet." Das sei kontraproduktiv. "Ich bekomme als Ehrenamtlicher unsägliche Mails bis hin zu Todeswünschen. Ich ignoriere das einfach." Politiker müssten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mehr aushalten als andere.

Die Justizministerin resümierte: "Die Erhaltung der Demokratie und Meinungsfreiheit sind mein Ziel mit dem Gesetz. Wir sind nicht mit dem Rasenmäher vorgegangen, sondern da, wo wir von Ermittlern auf Lücken hingewiesen wurden. Es geht nicht um das Unterbinden von harter Kritik, sondern um schlimmste Drohungen mit Straftaten." Gerade bei Antisemitismus wolle sie ein Signal an die Gerichte senden. Ballon erklärte, es ginge um "orchestrierte Hatestorms, um Menschen fertig zu machen". Das Löschen solcher Posts reiche nicht, um Täter abzuschrecken. Sie provozierten die Opfer sogar oft: "Zeig mich doch an! Es wird eh' nichts passieren." Conen dagegen sprach sich dagegen aus, dass nach dem Entwurf auch die Androhung mit körperlicher Gewalt nach § 241 Strafgesetzbuch künftig strafbar sei. "Dabei kann das auch deeskalierend sein", meinte er. (kbe)