Infektionen in virtueller Stadt – Modell zeigt, wie sich Maßnahmen auswirken

Stuttgarter Wissenschaftler entwickeln ein Online-Modell für die Simulation von Pandemiemaßnahmen. Bedingungen ändert man schlicht per Mausklick.

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Infektionen in virtueller Stadt – Modell zeigt, wie sich Maßnahmen auswirken

(Bild: Shutterstock/Peshkova)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Martin Oversohl
  • dpa
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Mit dem Online-Modell einer virtuellen Stadt wollen Stuttgarter Wissenschaftler den Einfluss von bestimmten Maßnahmen auf die Auswirkungen einer Virus-Pandemie simulieren. Mit wenigen Mausklicks kann der Nutzer dabei bestimmen, welche Einschränkungen erlassen werden – und welche Folgen diese haben – auf das Tempo von Infektionen und die Zahl möglicher Opfer. "Es lässt sich zeigen, wie ein Virus unter bestimmten Umständen seinen Weg finden kann in unserer Gesellschaft", sagt Professor Andreas Pyka vom Lehrstuhl für Innovationsökonomik der Universität Hohenheim.

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In der ersten Version erinnert das Modell ein wenig an ein Sammelsurium aus farbigen Quadraten und kleinen bunten Kreisen auf einem groben Stadtplan. Es blinkt hier, während dort etwas erlischt in der virtuellen Stadt. Die Quadrate und Kreise symbolisieren die Supermärkte und Büros, die privaten Haushalte mit ihren Bewohnern und deren soziale Kontakte. Auch an einen Friedhof haben Pyka und sein Team gedacht - und je geringer die ausgewählte Bettenkapazität im Krankenhaus ausfällt, desto mehr blaue Kreuze blinken auf seiner Fläche auf.

Auf einem kleinen Ziffernblatt wird die Dauer angezeigt, mit der sich das Virus ausbreitet, während die Menschen in ihren Wohnvierteln ihren Routinen nachgehen. Viele leben in einer Familie, manche sind alleinstehend. Einige haben viele soziale Kontakte, andere leben eher zurückgezogen. Die Erwachsenen gehen zur Arbeit und zum Einkaufen, die Kinder sind morgens in der Schule und danach beim Sport. "Überall finden Begegnungen und soziale Interaktionen statt", sagt Pyka. "Für ein Virus wie das hochansteckende Coronavirus sind das ideale Ausbreitungsbedingungen."

Die Quadrate und Kreise symbolisieren die Supermärkte und Büros, die privaten Haushalte mit ihren Bewohnern und deren soziale Kontakte. Auch einen Friedhof gibt es – je geringer die ausgewählte Bettenkapazität im Krankenhaus ausfällt, desto mehr blaue Kreuze blinken auf seiner Fläche auf.

(Bild: Ben Vermeulen, Andreas Pyka, Matthias Müller / Universität Hohenheim)

Mit dem ausbaubaren Modell ist es möglich, Menschengruppen in häusliche Quarantäne zu schicken, die Schulen zu schließen oder nur infizierte Schüler vom Unterricht auszuschließen, die Hygienebedingungen zu verbessern oder die Zahl der Betten in den Kliniken aufzustocken. "Jede Maßnahme kann die Anzahl der schweren Fälle und der Verstorbenen sowie die Länge der Pandemie beeinflussen", erklärt Pyka. Die Hohenheimer Wissenschaftler hoffen, damit ein besseres Verständnis für die komplexen Zusammenhänge zu erreichen und politische Entscheidungen verständlicher zu machen.

Innovationsforscher nennen diese und ähnliche Modelle mit grafischen Darstellungen auch Politiklabore. "Mit Hilfe dieser modernen Computersimulationen sieht der Nutzer unmittelbar selbst die Konsequenzen unterschiedlicher Instrumente auf dem Bildschirm", sagt Pyka. Der 50-Jährige hat die Pandemie-Mechanismen gemeinsam mit Ben Vermeulen und Matthias Müller entworfen und auf der Homepage seines Lehrstuhls veröffentlicht.

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Warum das unter anderem für einen normalen Verbraucher wichtig ist? Nach Angaben von Gérard Krause, Leiter der Abteilung Epidemiologie am Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung, ist es bei Epidemien oder Pandemien ein häufiges Muster, dass die Fallzahlen exponentiell zunehmen. Steckt ein Coronavirus-Infizierter im Durchschnitt zum Beispiel zwei weitere Menschen an, könnte sich deren Zahl bei einem exponentiellen Wachstum mit jeder Ansteckungsrunde verdoppeln. So könnten aus 500 Fällen nach elf Verdopplungen mehr als eine Million Fälle werden.

"Menschen haben allerdings Schwierigkeiten damit, wenn sie mit einer solchen nichtlinearen Zunahme, also einem unproportionalen Verlauf konfrontiert werden", erklärt der Forscher Pyka. Ein Modell wie das Hohenheimer könne verständlicher darstellen, wie stark und schwierig voraussehbar die Folgen eines solchen exponentiellen Wachstums seien. (tiw)