Klimaforscher: "Wir fahren diesen Planeten gerade an die Wand"
Der Klimawandel wird immer deutlicher, doch die Weltgemeinschaft tut zu wenig. Ohne Handeln sieht Klimaforscher Schellnhuber das Ende der Zivilisation kommen.
Weltweit fliehen Millionen Menschen vor Hitzewellen, Dürren und anderen Naturkatastrophen. In vielen Regionen ist der Klimawandel schon jetzt eine "Frage von Leben und Tod", mahnt UN-Generalsekretär António Guterres. Auch der deutsche Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber macht sich große Sorgen um die Zukunft der Menschheit. Seit Jahren begleitet er die Klimadiplomatie. Und sieht sie zunehmend kritisch.
Strengen sich die Staaten genug an im Kampf gegen die Erderwärmung?
Schellnhuber: Das Defizit ist irrsinnig. Kaum ein Staat tut genug. Wir fahren diesen Planeten gerade an die Wand. Und niemand steigt auf die Bremse, sondern alle drücken das Gaspedal noch durch. Wir rasen wirklich auf eine Wand zu, und der Crash könnte letztlich das Ende unserer Zivilisation herbeiführen. Wir sind weit, weit weg von einer Dynamik, die das Pariser Abkommen umsetzen und die Erderwärmung unter der 1,5-Grad-Marke halten würde.
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Wie bewerten sie die diesjährige Klimakonferenz?
Schellnhuber: Sie soll eine Betriebsanleitung für die nationalen Anstrengungen im Klimaschutz verabschieden – möglichst transparent, möglichst offen, möglichst fair. Ich denke, da könnte einiges herauskommen. Das zweite Thema ist der Wunsch, dass die Länder sich in die Augen schauen und sagen: Ja, wir tun mehr. Einige tun das, aber viel zu wenige. Es hat sich nun hier ein teilweise nerviges, teilweise aber auch kreatives Chaos gebildet, wie bei allen Klimakonferenzen – mit völlig offenem Ausgang.
Sind diese riesigen Konferenzen mit tausenden Teilnehmern ĂĽberflĂĽssig?
Schellnhuber: Das Format der Klimakonferenzen läuft sich möglicherweise tot. Es ist ein rasender Stillstand hier in Katowice. Ich war auf der ersten Weltklimakonferenz dabei, die Angela Merkel als Umweltministerin geleitet hat. Der Klimakonferenzbetrieb ist seitdem bunter geworden, größer, aber eben auch eine Blase, die sich immer schneller um sich selbst dreht. Es ist auch eine globale Bürokratie erwachsen. In Richtung einer Senkung der Treibhausgas-Emissionen aber ist viel zu wenig geschehen. Deshalb muss die Reduktion von Treibhausgasen zusätzlich zu und jenseits von den UN-Klimagipfeln überall vorangetrieben werden: natürlich in und zwischen Staaten, aber auch in den Kommunen, in Unternehmen.
Das klingt frustriert.
Schellnhuber: Dies ist wahrscheinlich meine letzte Klimakonferenz, weil ich wieder dieses massive Déjà -vu-Erlebnis habe. Alle sind unglaublich beschäftigt, alle sind unheimlich gestresst, und für das Klima gibt es vielleicht einen Millimeter Fortschritt.
Könnte Deutschland mehr tun?
Schellnhuber: Wenn es ein Land gibt, dass ökonomisch und technisch in der Lage zu einem ökologischen Umbau wäre, dann doch ganz sicher Deutschland mit seiner Vollbeschäftigung und den Überschüssen in der Staatskasse. Der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen, dem ich angehöre, schlägt vor, das etwa mit einer Reform der Erbschaftsteuer zu bezahlen, um soziale Schieflagen zu vermeiden. Es sollen nur diejenigen belastet werden, die es sich wirklich leisten können.
Wie kann der Klimaschutz schneller vorankommen?
Schellnhuber: Wir müssen außerhalb dieser Klimapolitik-Blase Bewegungen in Gang setzen. Denn die innere Bewegung dieser Konferenz hier ist fast nicht mehr messbar. Bezahlen dafür werden die jungen Leute, speziell in den verletzlichsten Gesellschaften weltweit. Jungen Leuten, die ich treffe, sage ich: Eure Zukunft wird euch gerade gestohlen – seid ihr nicht zornig, seid ihr nicht ärgerlich?
Wie kann es gelingen, die Menschen mitzunehmen?
Schellnhuber: Wir müssen uns ganz grundsätzlich fragen: Sind wir nicht eigentlich im falschen Film? Müssen wir nicht die Dogmen von Wachstum und Konsum in Frage stellen? Denn wir sind ja keinesfalls glücklicher in dieser modernen Gesellschaft, die die Umwelt ausbeutet. Das bedeutet nicht, dass wir in Holzhütten zurücksollen. Was uns aber fehlt ist eine neue Erzählung davon: Was bedeutet eigentlich ein gutes Leben? Wie sollen meine Kinder in 50 Jahren leben? Und: Brauche ich wirklich die Braunkohle aus der Lausitz dafür, die schlecht ist fürs Klima? Oder machen wir aus dieser Region nicht vielleicht besser ein Superlabor des Fortschritts, mit starken Investitionen für saubere und zukunftsfähige Technik?
ist Direktor Emeritus des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und gründete das Institut im Jahr 1992. Er ist Professor für Theoretische Physik an der Universität Potsdam und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU).
(olb)