Kommentar: Böse, böse - Amazon sperrt Kunden aus

Der größte E-Tailer der Welt will nicht mehr mit Kunden zusammenarbeiten, die viel Ware bestellen und wenig behalten - na und?

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Georg Schnurer

Oh mein Gott: Amazon, der weltweit größte E-Tailer, verwehrt doch tatsächlich Kunden, die aus seiner Sicht zu viele der bestellten Waren zurückschicken, den weiteren Einkauf. Die Netzgemeinde regt das auf und so wird diese Sau nun durch die Blogs getrieben.

Händler können sich ihre Kunden aussuchen - und das ist gut so, meint heise-resale-Chefredakteur Georg Schnurer.

Vor lauter „Skandal, Skandal-Geschrei“ fallen dabei aber einige Fakten unter den Tisch: Neu ist dieses Verhalten von Online-Händlern nun wirklich nicht. Bereits Anfang 2012 berichtete c’t in der Rubrik „Vorsicht Kunde“ über Kontensperrungen bei Amazon. Das Fazit damals: Zum Amazon-Wunsch-Image, der kundenfreundlichste Onlinehändler sein zu wollen, passt dieses Verhalten nicht. Doch verboten ist so etwas auch nicht. Selbst in der recht kundenfreundlichen EU hat jeder Händler das Recht, sich seine Kunden auszusuchen. Alles andere wäre auch ruinös für den Handel, denn eine hohe Retourquote verursacht hohe Kosten. Schließlich können viele der zurückgesendeten Produkte nicht mehr zum üblichen Preis an andere Kunden verkauft werden. Das schmälert den Gewinn des Händlers, treibt aber auch langfristig die Preise in die Höhe. Die Kosten für die vielen Rücksendungen müssen schließlich die anderen Kunden bezahlen, die Waren bestellen, weil sie diese wirklich kaufen wollen.

Mit der kompletten Sperrung der Kundenkonten von Vielzurückschickern schießt Amazon freilich etwas über das Ziel hinaus. An einem Amazon-Konto hängen schließlich noch viele weitere Dienste des Online-Giganten. Warum jemand, der zu viele Waren zurückschickt, auch vom Cloud-Dienst des Händlers ausgesperrt wird, ist kaum nachvollziehbar. Auch die Sperrung des E-Book-Kaufs via Kindle sollte Amazon nur dann veranlassen, wenn der Kunde tatsächlich zu viele eBooks bestellt und zurückgegeben hat. Hier wäre ein abgestuftes Sperrsystem angemessener.

Derzeit scheint Amazon allerdings nicht bereit zu sein, sich hier zu bewegen. Das mag zum Einen daran liegen, dass bislang nur wenige Kunden von einer Sperrung betroffen sind. Zum Anderen ist aber auch die Rechtslage wenig eindeutig. Natürlich ist eine Komplettsperrung „unverhältnismäßig“, doch Unverhältnismäßigkeit ist bei einer möglichen gerichtlichen Auseinandersetzung ein nicht allzu scharfes Schwert.

Möglicherweise sorgt die aktuelle Aufregung in der Netzgemeinde ja dafür, dass sich Kontroller (Kostensparer) und Marketiers (Imageschützer) bei Amazon mal an einen Tisch setzen. Dann könnte aus dem aktuellen „Basta! Gesperrt ist gesperrt“ vielleicht ein differenzierteres – etwa zeitlich begrenztes – Sperrmodell werden.

Mir persönlich wäre das die liebste Lösung. Allerdings kann ich auch mit der aktuellen Situation gut leben, denn auch als Käufer sollte man verantwortungsbewusst mit seinen Rechten umgehen. Wer einfach nur kopflos auf „kostenpflichtig bestellen“ drückt und erst nach Erhalt der Ware darüber nachdenkt, ob er das Bestellte überhaupt haben und bezahlen will, hat in meinen Augen einen Charakterfehler, den ich nur ungern mit meinen Einkäufen mitfinanzieren will.

Doch auch die Online-Branche darf die Hand gern gen eigener Nase führen: Wer den Kunden in der Werbung grenzenloses Rückgaberecht verspricht, muss damit leben, dass ihn einige Zeitgenossen beim Wort nehmen. Versender wie Zalando mussten solch verfehlte Werbung bereits mit extremen Rücksendequoten bezahlen und rudern nun fleißig zurück. (gs)