Missing Link: Wie Russen einmal erfolgreich Cyberwar fĂĽhrten

Donald Trump wurde auch dank russischer Hilfe zum US-Präsidenten gewählt. Dafür gibt es inzwischen genug Indizien. Wichtig ist es nun, daraus Lehren zu ziehen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 945 Kommentare lesen
Missing Link:

(Bild: Shutterstock)

Lesezeit: 9 Min.
Inhaltsverzeichnis

Zwei Jahre nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten verfestigt sich das Bild jener Umstände, die zu dem überraschenden Votum geführt hatten. Vor allem in diesem Jahr ist dabei immer klarer geworden, welchen Anteil Hacker in Diensten des russischen Staats hatten und wie sie einen Cyberwar führten, auf den die Weltmacht USA nicht vorbereitet war. Das lag auch daran, dass er so ganz anders ablief, als es der Begriff gemeinhin suggeriert, denken doch die meisten bei "Cyberwar" an die durch Hacker lahmgelegte Fabrik oder gekappte Stromversorgung. 2016 war es jedoch ganz anders und noch ist nicht klar, ob daraus die richtigen Lehren gezogen wurden.

Vor allem der US-Sonderermittler Robert Mueller hat in diesem Jahr Licht ins Dunkel gebracht, wenn es um die Geschehnisse von 2016 geht. Aber auch der US-Kongress und eine Reihe von Reportern haben ihren Teil dazu beigetragen, dass immer klarer wird, was 2016 passiert ist. Nun hat mit Kathleen Hall Jamieson eine absolute Expertin zu US-Wahlkämpfen ihr Urteil abgegeben. In ihrem nur auf Englisch verfügbaren Buch "Cyberwar: How Russian Hackers and Trolls Helped Elect a President; What We Don't, Can't, and Do Know" trägt die Professorin an der University of Pennsylvania zusammen, warum sie meint, man könne mit hinreichender Gewissheit sagen, dass russische Hacker Donald Trump mindestens über die Ziellinie gehievt haben.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Ihre Ausführungen füllen die Lücken zwischen bereits hinlänglich diskutierten Begebenheiten des US-Wahlkampfs und begründen darüber hinaus das Urteil. Basierend darauf kann man ein Bild zeichnen, in dem ganz verschiedene Akteure kein gutes Bild abgeben, vor allem weil sie den Angreifern teilweise tatkräftig geholfen haben. Allen voran die Medien müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, durch Auslassung wichtiger Zusatzinformationen und durch die Fokussierung auf bestimmte Themen quasi über das Stöckchen gesprungen zu sein, das ihnen die Angreifer hingehalten haben. Letztlich haben sich aber genügend Wähler überzeugen lassen, weswegen das Wahlergebnis selbst nicht infrage steht.

Wir erinnern uns: Eines der beherrschenden Themen des US-Präsidentschaftswahlkampfs waren jene E-Mails von Hillary Clinton, in denen angeblich jede Menge Diskreditierendes stand. Anfang 2016 war es Agenten des russischen Militärgeheimdiensts GRU gelungen, in das E-Mail-Konto von Clintons Wahlkampfchef John Podesta einzudringen und Nachrichten abzugreifen. Die wurden an die Whistleblower-Plattform Wikileaks weitergereicht, von der sie später im Wahlkampf strategisch geschickt veröffentlicht wurden. Zwar fand sich in den E-Mails nichts wirklich inkriminierendes, aber auch wegen Fehlern in Clintons Wahlkampf konnten bestimmte Inhalte gegen sie gerichtet werden.

Clinton-Kritiker stürzten sich vor allem auf die Abschriften von Reden, die Clinton hinter verschlossenen Türen bei Banken gehalten hatte. Durch eine geschickte Auslassung wurde dabei eine Passage fälschlicherweise so gedeutet, als würde Clinton dafür plädieren, in der Öffentlichkeit das eine zu sagen und in geschlossenen Meetings das Gegenteil. Dieses Detail wurde im Wahlkampf immer wichtiger, genauso wie die konstante Quellenangabe "Wikileaks". Indem die Medien so die wahren Urheber auch noch verschleierten, auch als lange klar war, wer dahinter steckt, verhinderten sie auch einen Blick auf deren Motive, die sich von denen unterschieden, die Wikileaks hochzuhalten vorgibt.

Diese Details sind unerlässlich, weil es um ein prägendes Element des Wahlkampfs geht. Clinton hatte den Fehler gemacht und die Reden nicht veröffentlicht. Damit gab sie zuerst ihrem Vorwahlkonkurrenten Bernie Sanders Anlass zu Kritik und später den Republikanern – die ihr unterstellten, sie habe etwas zu verheimlichen. Den russischen Angreifern war es gelungen, dem Wahlkampf eine Stoßrichtung zu geben. Allein bei der Nachrichtenagentur AP waren 30 Reporter mit den E-Mails beschäftigt. Zweifellos wäre die Wahl anders verlaufen, wenn auch Donald Trumps Steuerbescheide veröffentlicht worden wären oder die Schweigegeldzahlungen an eine Porno-Darstellerin.

Das dieser Aspekt mit ziemlicher Sicherheit Einfluss auf das Wahlergebnis hatte, weist Jamieson anhand von Umfragen nach. Wenn man nicht den gesamten Kontext zitiert, können zwei Passagen aus den Reden den Eindruck erwecken, Clinton habe ein "öffentliches" und ein "privates Gesicht". Genau darauf wurde sie auch in den beiden Wahlkampfdebatten mit Trump angesprochen. Ein direkt zu den russischen Angreifern zurückzführender Narrativ gelangte also in die wichtigsten Veranstaltungen des Wahlkampfs, ohne dass die Urheber zur Einordnung genannt wurden. Tatsächlich zeigten Umfragen, dass Zuschauer der Debatten Clinton dann öfter dieser Heuchlerei unterstellten, als Nichtzuschauer.

Nicht zu vergessen, aber deutlich schwerer zu untersuchen ist außerdem die Beobachtung, dass die von Russland eingesetzten Internettrolle genau diesen Narrativ in nicht enden wollender Weise versuchten, in die öffentliche Debatte einzustreuen. Spätestens als das von Medien ohne die nötige Einordnung aufgegriffen wurde, hatten sie ein wichtiges Zwischenziel erreicht. Nicht unterschlagen werden darf dabei aber, dass Clinton und ihr Team sich mindestens zum Teil selbst in dieser Art angreifbar gemacht hatten. Es ist keineswegs ausgemacht, dass andere Kandidaten in vergleichbarer Weise hätten attackiert werden können. Gleichzeitig war auch Trump ein idealer Kandidat, vor allem, weil durch seine Wahl die USA innenpolitisch geschwächt wurden.

Angesichts des äußerst knappen Wahlergebnisses in den US-Bundesstaaten Wisconsin, Pennsylvania und Michigan, die alle mit weniger als 0,75 Prozent an Trump gingen, reichen in den Augen der Wahlexpertin schon diese Tatsachen, um einen entscheidenden Anteil der russischen Hacker und Trolle zumindest für wahrscheinlich zu halten. Weil der Abstand aber so gering ist, waren andere Begebenheiten möglicherweise ebenfalls Zünglein an der Waage – etwa Clintons Erkrankung. Die wurden aber nicht aus dem Ausland gesteuert und müssten deshalb in einem anderen Kontext untersucht werden.

In den entscheidenden Tagen des Wahlkampfs, als die Wähler vielerorts bereits an die Urnen gingen, kam jedoch eine Begebenheit hinzu, die ebenfalls direkt auf die Angriffen zurückgeführt werden kann. Verschiedene Entwicklungen im Wahljahr hatten den damaligen FBI-Chef Comey dazu bewogen, am 28. Oktober, also nur 11 Tage vor der Wahl, zu verkünden, dass die Ermittlungen zu Clintons E-Mails erneut aufgenommen werden würde.

Wie Comey später darlegte, wollte er angesichts eines erwarteten Wahlsiegs von Clinton vor allem Unterstellungen zuvorkommen, er sei nicht unabhängig gewesen. Von der Untersuchung erwartete man sich wohl keine neuen Erkenntnisse. Äußerungen Comeys legen weiterhin nahe, dass bei seiner Entscheidung Berichte über ein kompromittierendes Dokument hineinspielten, das geleakt werden könnte. Das Dokument gab es nicht, aber die Taktik der russischen Angreifer hatte offenbar einmal mehr Wirkung gezeigt.

Der Schritt des FBI-Chefs signalisierte den US-Amerikanern, dass an den Unterstellungen in Clintons Richtung etwas dran sein könnte. Und auch wenn die neuerliche Untersuchung noch rechtzeitig vorm Wahltag ergebnislos wieder eingestellt wurde, sprechen Erfahrungen und frühere Analysen dafür, dass sie Einfluss auf die Wahlentscheidung gehabt haben dürfte. Wichtig ist dabei auch, dass die US-Wähler 2016 mit beiden Kandidaten der großen Parteien ungewöhnlich unzufrieden waren und sich außergewöhnlich viele erst sehr spät entschieden. Umfragen zeigen, dass Trump unter diesen Spätentscheidern überraschend stark punkten konnte.

Natürlich werden in jedem Wahlkampf negative Details über Kandidaten öffentlich, die durchaus auch gezielt publiziert werden, um ihre Chancen zu verringern. Erfahrungsgemäß gleicht sich das aber ebenso aus, wie die immensen Wahlwerbemaschinen, erklärt Jamieson. 2016 war das jedoch anders. Auch weil negative Andeutungen über Clinton breit diskutiert und von etablierten Medien ausführlich verbreitet wurden, blieb Reportern weniger Zeit, um Ähnliches über Trump an die Oberfläche zu zerren. Dass es da genug gab, wissen wir inzwischen.

Und wenn es dann doch einmal der Fall war – wie bei jenem Tonbandmitschnitt von Trumps frauenfeindlichen Kommentaren vor einer Fernsehsendung – dann übertönte das gleich die ungewöhnlich deutliche Warnung der US-Geheimdienste vor Russlands Aktivitäten (am 7. Oktober genau 65 Minuten vorher veröffentlicht) und wurde selbst gleich vom sogenannten E-Mail-Skandal überdeckt (weniger als 30 Minuten später veröffentlicht). Waren die US-Geheimdienste davon ausgegangen, die beherrschende Debatte fürs Wochenende anstoßen zu können, war die Warnung vor Russland schon am Abend kein Thema mehr.

Für Jamieson ist klar, dass man mit hinreichender Sicherheit sagen kann, dass die russischen Agenten für entscheidende Prozentpunkte zugunsten von Donald Trump verantwortlich waren. Auch ohne "steinharte" Beweise gebe es genügend Informationen und Forschungen, die dieses Urteil unterstützen. Da jedoch nach aktuellem Wissensstand keine Wahlmaschinen oder die Wahl anderweitig direkt manipuliert wurde, gibt es keinen Grund, das Ergebnis selbst anzufechten. Wichtiger ist es, aus den Erkenntnissen Schlüsse zu ziehen und Vorbereitungen zu treffen, um eine ähnlichen Angriff auf eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft mit garantierter Meinungsfreiheit zu verhindern – egal aus welcher Richtung. In den USA stehen die nächsten wichtigen Wahlen ja nun schon wieder bevor.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes Video (Kaltura Inc.) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Kaltura Inc.) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

[Update 05.11.2018 – 08:30 Uhr] Der Einbruch in den E-Mail-Account von John Podesta geschah Anfang 2016. Die falsche Jahreszahl wurde korrigiert. (mho)