Polizei sammelt per Notstandsparagraf Daten von Corona-Infizierten
Die niedersächsische Datenschutzbehörde hat den Transfer von Listen über Covid-19-Patienten an die Polizei untersagt, doch die macht weiter.
In Niedersachsen geht der Streit über die Weitergabe von Daten der Gesundheitsämter über Personen, die sich mit dem neuartigen Coronavirus angesteckt haben und daher einer Quarantänepflicht unterliegen, in die nächste Runde. Die Landesdatenschutzbeauftragte Barbara Thiel erklärte die Praxis am Freitag für unverhältnismäßig und rechtswidrig. Die Ordnungshüter wollen sich nun aber auch auf einen Notstandsparagrafen berufen, um trotzdem weiter an die Listen zu kommen.
"Die Übermittlung der Quarantänestatusdaten von den unteren Gesundheitsbehörden an die Polizei" erfolge nicht nur auf Basis von Paragraf 41 des jüngst reformierten niedersächsischen Polizeigesetzes und Regeln des Infektionsschutzgesetzes, heißt es in einem Behördenvermerk, den die Bürgerrechtsaktivisten von "Freiheitsfoo" veröffentlicht haben. Dabei geht es um die Gefahrenabwehr. Weiter kommt laut dem Dokument als "Rechtfertigungsgrund für die Behörde, die die Quarantäne anordnet" und den Status an die Ordnungshüter melde, aber auch "der rechtfertigende Notstand" nach Paragraf 34 Strafgesetzbuch (StGB) in Betracht.
Darin heißt es: "Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig." Voraussetzung sei, dass "bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt". Die Tat müsse zudem generell ein "angemessenes Mittel" darstellen.
Wichtiger als Datenschutz
Die Verfasser des Schreibens sehen von dieser Klausel längst nicht nur etwa einen Tyrannenmord gedeckt. Das Offenbaren des Geheimnisses des Patienten und des Arztes sei "einziges Mittel zum Schutz erheblich höherwertiger Interessen", begründen sie ihren Ansatz. Der Zweck des Eigenschutzes der Polizeibediensteten, um die weitere Ausbreitung des Corona-Virus in den eigenen Reihen zu verhindern, seien "eindeutig höher zu bewerten als" der Datenschutz.
"Es ist aus unserer Sicht mehr als fraglich, ob die Benennung eines solchen Rechtfertigungsgrundes bei nüchterner Betrachtung zulässig sein kann", geben die Freiheitsfoo-Mitstreiter dagegen zu bedenken. "Es scheint, als nutze die Polizei diesen Notstandsparagraphen, um sich selber einen Freibrief zur Begehung von Straftaten auszustellen." Das Dokument diene dazu, die Wiederaufnahme beziehungsweise den Weiterbetrieb der umstrittenen Datentransfers gegenüber dem Landtag zu rechtfertigen.
Die Pressestelle der Landesdatenschutzbehörde beantwortete eine Anfrage von heise online, wie die Klausel einzuschätzen sei, im Lauf des Montagnachmittags nicht. Netzpolitik.org hatte zuvor gemeldet, Thiel habe den niedersächsischen Gesundheitsämtern am Freitag offiziell untersagt, Listen von Coronavirus-Infizierten an die Polizei zu liefern. Darüber seien auch die Kabinettsreferate informiert worden. Die Daten unterlägen unter anderem der ärztlichen Schweigepflicht. Wer sie unbefugt übermittle, mache sich strafbar.
Datenfluss geht weiter
Dem Bericht nach hatte das Sozialministerium in Abstimmung mit dem Innenressort die Weitergabe von Listen vorige Woche verbindlich angeordnet. Thiel dementierte die Behauptung, dass sie in den Vorgang eingebunden worden sei. Ihr Veto hat wenig gebracht, die sensiblen Gesundheitsinformationen fließen laut Innenministerium derzeit weiter. Zuvor war bekannt geworden, dass die Polizei auch in anderen Bundesländern Listen von Coronavirus-Infizierten erhält. Bremens Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke) twitterte dazu, die Daten seien "fälschlicherweise" weitergegeben und "alle wieder gelöscht worden".
"Was sich hier gerade abspielt, ist ein Trauerspiel in mehreren Akten", kritisiert Thomas Ganskow, Vorsitzender der Piratenpartei Niedersachsen. Hier zeigte sich erneut, "dass die Möglichkeiten des Datenschutzes in diesem Land sehr begrenzt sind". Die Datenschutzbeauftragte sei zwar gegenüber den Behörden weisungsbefugt, nicht jedoch gegenüber der Regierung. Und die schere sich "einen feuchten Kehricht um schützenswerte Daten, um das eigene Versagen in Sachen Schutz der eigenen Polizeibeamten zu kaschieren".
[Update v. 07.04.2020, 10:34 Uhr]: Ein Sprecher der niedersächsischen Datenschutzbeauftragten teilte heise online inzwischen mit: "Wir halten die weiterlaufende Datenübermittlung für rechtswidrig. Unsere Forderung, die Übermittlung an die Polizei umgehend zu beenden, bleibt bestehen. Der Argumentation mit Paragraf 34 StGB können wir nicht folgen. Die Voraussetzungen für den rechtfertigenden Notstand sind aus unserer Sicht bezüglich sämtlicher Personen, deren Daten pauschal an die Polizei übermittelt werden, nicht erfüllt." (olb)