Teuflische Regeln und andere Ringe - zum 90. Geburtstag von Jay W. Forrester
Der US-amerikanische Computerpionier und Systemtheoretiker verbrachte sein Leben damit, die Arbeit von Schalt- und Regelkreisen zu untersuchen.
Heute feiert der US-amerikanische Computerpionier und Systemtheoretiker Jay Wright Forrester seinen 90. Geburtstag. Der gelernte Elektronikingenieur verbrachte sein Leben damit, die Arbeit von Schalt- und Regelkreisen zu untersuchen. Vom Computerbau ĂĽber das Fabrikmanagement, von der Stadtentwicklung bis zu den Wachstumsgrenzen unserer Gesellschaft beeinflussten seine Ideen Generationen von Wissenschaftlern.
Jay Wright Forrester wurde am 14. Juli 1918 in Climax im US-amerikanischen Bundesstaat Nebraska geboren. Er wuchs auf einer einsamen Farm zwischen Climax und Anselmo auf, auf der seine Eltern, ein Lehrerehepaar, zu ĂĽberleben versuchten. "Eine Farm ist ein sehr einfacher Regelkreis von Angebot und Nachfrage, von Marktpreisen und WettereinflĂĽssen. Ein Fehler und die Ernte ist hin oder das Vieh stirbt. Das Leben ist hart, die Regel-Mechanismen sind sehr praktisch und alles andere als theoretisch", heiĂźt es in Forresters Jugenderinnerungen zu diesem Regelkreis.
Bereits mit 9 Jahren soll der handwerklich sehr geschickte Jay fĂĽr alle mechanischen Reparaturen auf der Farm verantwortlich gewesen sein, vom Ford T bis zum ersten Traktor. Obwohl die Farm keinen Strom besaĂź, bastelte er aus Magneten und Spulen elektrisch geladene Fliegengitter. Auf der Farm entwickelte er einen windgetriebenen Stromgenerator, der Energie in alten Autobatterien speicherte.
Später studierte Forrester Elektrotechnik an der Universität Nebraska und gewann einen Preis für die Erfindung eines elektrostatisch arbeitenden Staubsaugers, zusammen mit einer Einladung, 1939 am High Voltage Laboratory des MIT (Massachussetts Institute of Technology) zu arbeiten. Nach einem Jahr wechselte er zum "Servomechanisms Laboratory", das im II. Weltkrieg Servomotoren für Radar- und Flaksysteme entwickelte.
1944 wurde Forrester vom MIT mit dem Projekt Whirlwind betraut. Whirlwind sollte ein Flugsimulator werden, in dem Piloten der US-Marine mit überraschenden Situationen wie zum Beispiel in einem Wirbelsturm richtig reagieren lernen sollten. Forrester und seine Kollegen Perry Crawford und Robert Everett versuchten sich zunächst an einem analogen Simulator, kamen aber nach einer der ersten ENIAC-Demonstrationen auf die Idee, einen Computer zu bauen.
Schließlich leitete der 30-jährige Forrester ein Team von 175 Ingenieuren, die für eine Million Dollar einen Rechner bauten, der am 20. April 1951 startete – als das Militär längst das Interesse an der Maschine verloren hatte. Doch die Arbeit war nicht umsonst: Unter dem Eindruck der russischen Atombombentests wurde aus dem Projekt Whirlwind heraus das Flugabwehrsytem SAGE entwickelt (Semi Automatic Ground Environment), das vom Lichtgriffel bis zum interaktiven Bildschirm der Computertechnik viele Impulse gab. Forresters bester Student Ken Olsen gründete die Digital Equipment Corporation (DEC) und bedachte seinen Lehrer später mit einem Posten im Aufsichtsrat der Firma.
Als Simulationstrainer sollte Whirlwind in Echtzeit auf den Flugschüler reagieren können. Forresters Truppe experimentierte mit Williams-Kilburn-Röhren, dann mit 3D-Gattern von Leuchstoffröhren, bis Forrester die von An Wang gefundene Lösung des Kernspeichers perfektionierte. Am 11. Mai 1951 meldete Forrester seinen den Computerbau revolutionierenden Speicher zum Patent an, dass ihm als US-Patent Nr. 2736880 am 28. Februar 1956 gewährt wurde.
Nach dem "Misserfolg" des Projects Wirlwind wechselte Jay Forrester in die gerade gegründete MIT Sloan School of Management, eine wirtschaftswissenschaftliche Fakultät. Ausschlaggebend war ein Gespräch mit einem Manager von General Electric, der über Friktionen in den Produktionsabläufen der Fabriken klagte, die zwischen Überproduktion und Leerlauf oszillierten. Forrester war überzeugt, dass ein geordneter Input und Output das Problem beheben können und entwickelte dafür die Theorie der Systemdynamik, deren Was-Wäre-Wenn-Schleifen heute Allgemeingut geworden sind. Als Forrester in einem Aufsatz über Industriedynamik seine Ideen vorstellen wollte und dafür Formeln brauchte, schuf sein Student Dick Bennett SIMPLE (Simulation of Industrial Management Problems with Lots of Equations), aus der unter Forresters Leitung die sehr einflussreiche Softwarefamilie Dynamo entstand.
Nicht nur aus deutscher Sicht verdient es festgehalten zu werden, dass Jay Forrester am MIT mit Gert von Kortzfleisch zusammenarbeitete, der die Systemdynamik in Deutschland bekannt machte. Während Forrester seine Dynamik-Theorien in der Stadtentwicklungsplanung (Urban Dynamics) verfeinerte, machten sich Schüler wie Erich Zahn daran, die Systemdynamik auf die Gesellschaft und Marktwirtschaft zu übertragen. Ihre Arbeit führte dazu, dass Forrester Aurelio Peccei und Eduard Pestel vom Club of Rome kennen lernte. Der gleichaltrige Pestel besorgte schließlich von der Volkswagenstiftung die Finanzmittel, mit denen Forrester und seine Mitarbeiter am MIT Modelle der globalen Entwicklung durchrechnen konnten. Das Resultat war die Studie von den Grenzen des Wachstums, bis heute das einflussreichste Buch über die Zukunft der Weltwirtschaft. Unter dem Titel "Der teuflische Regelkreis" veröffentlichte Forrester seine eigenen Anteile an dem Werk.
In seiner Stuttgarter Rede (PDF-Datei) zur Entstehungsgeschichte seiner Theorien zog Jay W. Forrester im Jahre 1989 eine Bilanz seiner Forschungen: "Ich dachte, ich würde für vielleicht 200 Leute auf der Welt etwas beschreiben, das sie als interessantes Modell auf ihren Computern untersuchen können. Damit lag ich falsch, wie sie wissen." (Detlef Borchers) / (anw)