Vom "kühlen, belebenden Wind der Selbstverantwortung", oder: FoeBuD/Digitalcourage und die Verteidigung der Privatsphäre

Eine "galaktische Gemeinschaft von Lebewesen", die für Informationsfreiheit in der Informationsgesellschaft und ein "neues Menschenrecht auf weltweite ungehinderte Kommunikation" kämpft: Auch nach 30 Jahren hat Digitalcourage noch viel zu tun.

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Vom "kühlen, belebenden Wind der Selbstverantwortung", oder: FoeBuD/Digitalcourage und die Verteidigung der Privatsphäre

padeluun, mit Rena Tangens Gründungsmitglied von FoeBuD/Digitalcourage, auf der Demo "Freiheit statt Angst" im Jahr 2009

(Bild: Digitalcourage)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Ausweislich seiner Satzung wurde der "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs" am 30. Mai 1987 gegründet, doch erst in diesen Tagen feierte man bei Digitalcourage in Bielefeld den 30. Geburtstag. In dieser Logik gibt es auch hier nachträgliche Grüße und Glückwünsche an die "galaktische Gemeinschaft von Lebewesen", die sich da laut Satzung zusammenfand um für Informationsfreiheit in der Informationsgesellschaft und ein "neues Menschenrecht auf weltweite ungehinderte Kommunikation" zu kämpfen. Was aus einem Kunstprojekt heraus entstand, startete mit einem ganz besonderen Missing Link, mit einer Schaufensteraktion.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Drei Tage lang wurde im Jahre 1985 der Chaos Computer Club (CCC) in Bielefeld in einem Schaufenster ausgestellt. Dort, wo eine Firma namens Art d’Ameublement ihre Expertise für "Rahmenbau für MultiMedien und modernste Kunst" anpries, saßen komische Leute vor seltsamen Maschinen, leuchteten nachts die Bildschirme mit Apfelmännchengrafik. Der Auftritt des Hackerklubs wurde Kunst, weil das Herumsitzen vor dem Rechner von den Möblierern Rena Tangens und padeluun zu einer Performance erklärt wurde. Später kamen Happenings dazu, wie etwa eine Bit-Napping Party für den Austausch raubkopierter Software im November 1987 in Bielefeld oder im September 1988 auf dem European Media Art Festival in Osnabrück. Für solche medienwirksamen Aktionen, begleitet von Hausdurchsuchungen, aber auch von Verschlüsselungs-Workshops parallel zum Bit-Napping (Datenschleuder Heft 24 mit Bericht zum Bit-Napping) brauchte man Geld und Geräte und etwas Struktur.

So wurde der "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs" als Backbone gegründet. Der Name wie die Groß- und Kleinschreibung karikierten die schwer bürokratische Kommunikationsverhinderin namens Deutsche Bundespost, die ein Telefon FeTAp (Fernssprechtischapparat) nannte oder eben KFeAp (Kompaktfernsprechapparat), wenn es keine Wahlscheibe besaß. Zur staatlichen Verhinderung nur kurz: Ohne Zulassungsnummer des Fernmeldetechnischen Zentralamtes (FTZ-Nummer) durfte nichts an das Telefonnetz angeschlossen werden.

Rena Tangens (vorne mitte) und padeluun (vorne links) von Digitalcourage übergeben einen Offenen Brief mit Protest-Unterschriften zur EU-Datenschutzgrundverordnung (2013)

(Bild: Digitalcourage; Fotografin Verena Hornung; EU-Datenschutz; Lizenz Creative Commons CC BY-SA 2.0 )

Ganz unbürokratisch sollte es hingegen beim FoeBuD zur Sachen gehen, wenn die Auswirkungen neuer Kommunikationsformen auf die Gesellschaft und auf das einzelne Lebewesen transgalaktischer Natur erkundet werden sollen. Huch! Bielefeld hat einen Computerclub, berichtete das Stadtmagazin Ultimo. Nicht einfach nur Scheißcomputer sagen, wenn es ums Lernen der Technik geht, erklärte das Blatt: "Und allemal lernt man diese Geräte besser verstehen, wenn man mal selber mit seinen Fingern auf einer Tastatur 'herumhackt', als wenn man nur Artikel im Stern über angeblich real existierende Cracker liest oder einen umgeschulten Bio-Lehrer als Informatik'spezialist' ertragen muss."

Neben dem bereits existierenden Veranstaltungsformat Public Domain übernahm der FoeBuD die Einrichtung und den Betrieb einer Mailbox namens Bionic, von der heute nur noch die Systemdaten existieren. In die einschlägigen Mailbox-Verzeichnisse schrieb man ausdrücklich, dass der Upload und Download von Software gar nicht gern gesehen ist: "Wir sehen uns als globalen Dorfbrunnen, als Treffpunkt im großen Netzwerk aller wissensdurstigen Menschen." Im Rahmen der damals üblichen Mailboxverbinungen war Bionic an das Z-Netz angeschlossen. Im Gegensatz zu anderen Netzen wie etwa dem Fidonet verstand sich das Z-Netz ausdrücklich als Zusammenschluss politisch interessierter Gruppen.

Dies hatte denn auch prompt Konsequenzen. Als der Jugoslawienkrieg ausbrach war das von Eric Bachmann aufgebaute Zamir Transnational Netzwerk_blank ein Versuch, die Kommunikation unter den Menschen im zerfallenden Jugoslawien mit Hilfe der Mailbox in Gang zu halten. Damals konnte man aus Serbien keine Gespräche mit Kroatien führen, ein Hack war gefragt. Ausgerechnet die kleine Bionic-Mailbox in Bielefeld machte es möglich, dass es eine Kommunikation zwischen Zagreb und Belgrad, Ljubljana und Tuzla oder Pristina und eben dem belagerten Sarajevo gab.

2012 kam der neue Name: Aus FoeBuD wurde Digitalcourage

(Bild: Detlef Borchers)

An diese heilende Kraft der Verständigungsversuche inmitten des vielfachen Völkermordes will der Starkoch Wam Kat auf dem anstehenden Chaos Communication Congress in Leipzig mit dem Vortrag "Zamir Transnational Network und das Zagreb Diary" erinnern, der aller Voraussicht nach gestreamed wird. Wam Kat war 1992 als Helfer nach Zagreb gereist, arbeitete dort als Sysop der lokalen Mailbox und schrieb für seine Kinder in den Niederlanden ein Tagebuch.

Bereits beim Bit-Napping hatte der FoeBuD Vorträge über Verschlüsselungssysteme gehalten. Auch im Z-Netz wurde dies propagiert. Doch ein echter Durchbruch begann im Jahre 1992, als der Verein sich entschloss, das erste deutschsprachige Handbuch zu PGP zu veröffentlichen, das später aktualisiert und erweitert wurde. Angesichts der aktuellen Kritteleien über PGP kann nicht genug betont werden, wie wichtig dieser Schritt war. Als Journalist konnte ich mitteilungsbedürftige Whistleblower ausbremsen, ein einigermaßen verständliches Buch empfehlen und auf die dann verschlüsselte Rückmeldung warten. Natürlich ist in dieser Bewertung die Hoffnung auf ein besseres System inbegriffen, das Digitalcourage heute mit pEp propagiert.

Im Laufe der Jahre wurde von FoeBuD die Veranstaltungsreihe "Public Domain" bewusst politischer aufgestellt. Als Beispiel dafür kann die Debatte um RFID-Chips genannt werden. Hier traten zunächst Techniker auf, die ausführlich über die Vor- und Nachteile von aktiven und passiven Transpondern referierten oder ein Blick in die Rüstungsgeschichte warfen, um die Herkunft der Technik zu beleuchten. Mit der hochschwangeren Katherine Albrecht änderte sich das, denn zusammen mit der US-Aktivistin wurde ein Geschäft der Metro-Kette besucht, das 2004 mit diesen Trackern experimentierte. Diese Aktion kam nicht von ungefähr, weil der FoeBuD ab dem Jahr 2000 die deutschen Big Brother Awards für Datenkraken verlieh und schon im allerersten Jahr die Payback-Karte auszeichnete, die heute in veränderter Version bei fast jedem Einkauf nervtötend abgefragt wird – und wenn's die nicht ist, lautet die fast schon vorwurfsvolle Frage nach irgendeinem der Konkurrenzsysteme wie der DeutschlandCard.

Die Kundenkarten, die Metro bei dem Besuch von Katherine Albrecht verteilte, enthielten schon die RFID-Chips zum einfachen Punktesammeln – was aber verheimlicht wurde. Gegen diese Form der Datenausspähung versuchte der FoeBuD, mit einer Privacy Card eine Art gemeinschaftltiches und anonymes Punktesammeln einzuführen, scheiterte aber vor Gericht. Als die CeBIT erstmals einen eigenen Ausstellungsbereich für RFID-Technologien eröffnete demonstrierte der FoeBuD auf der Messe.

Erfolgreicher war man mit einer anderen Aktionsform im Bündnis mit anderen Initiativen, der Demonstrationsreihe "Freiheit statt Angst". Sie fand zunächst in Bielefeld unmittelbar vor der immer populärer werdenden Preisverleihung der Big Brother Awards statt. Auf dem Höhepunkt der Demonstration gegen den überhand nehmenden Überwachungsstaat versammelten sich in Berlin im Jahre 2008 nach Polizeiangaben 30.000 Menschen und 2013 über 10.000 Menschen, dazwischen gab es Versuche mit dezentralen Protestaktionen in der ganzen Bundesrepublik. Im 30. Geburtstagsjahr des Vereins versuchte man, im Regen den Berliner Gendarmenmarkt zu füllen, doch das Motto Freiheit 4.0 zündete nicht.

Der Big Brother Award, die jährlich (nicht nur in Deutschland) verliehene Auszeichnung für besonders üble Datenkraken.

(Bild: Bernd Sieker, Big Brother Award, Lizenz Creative Commons CC BY-SA)

Bereits mit dem Anti-Terrorgesetz von 2001 unter dem damaligen Innenminister und mehrfachen Big Brother Award-Preisträger Otto Schily (2005 für sein Lebenswerk geehrt) begann der Bielefelder Verein, sich auch juristisch gegen die Überwachungstendenzen zu wehren. Zu nennen wäre etwa die Verfassungsbeschwerde gegen das später gescheiterte Überwachungsprojekt ELENA noch unter dem Namen FoeBuD oder die Klage gegen das Websperren-Gesetz. Die letzte Aktion dieser Art ist die Verfassungsklage gegen den Staatstrojaner.

Dort, wo Klagen nichts hilft, hilft das Gelächter weiter und nicht nur dann, wenn es um die Big Brother Awards geht. Da dieses Missing Link am 1. Advent erscheint, ist es mehr als passend, auf den lustigen Adventskalender zur digitalen Selbstverteidigung von Digitalcourage hinzuweisen, der seit 2014 mit Hingabe gepflegt wird. Tag für Tag öffnet sich ein Türchen mit Erklärungen wie der zur Wahl der richtigen Suchmaschine.

Für all dieses und noch viel mehr geht der Dank an den Verein unverdrossener galaktischer Lebewesen, die beharrlich den "kühlen, belebenden Wind der Selbstverantwortung" (Peter Glaser) bis in die letzte Ecke des Internet pusten. Möge die Puste weiter mit euch sein.

  • Zwischen 30.000 (Zählung der Polizei) und 100.000 (Zählung der Veranstalter) Teilnehmer beteiligten sich 2008 an "Freiheit statt Angst", der bislang größten Datenschutz-Demo, organisiert unter anderem vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, dem FoeBuD, dem CCC, dem DJV und der Piratenpartei
  • Und ewig grüßt das Murmeltier: Auch 2010 war die Vorratsdatenspeicherung eines der beherrschenden Themen auf der "Freiheit statt Angst"
  • Im Jahr 2014 kamen nach Angaben der Veranstalter (einem breiten Bündnis von Bürgerrechtlern, zu denen Digitalcourage gehörte) immerhin noch 6500 Menschen zur "Freiheit statt Angst"

(jk)