Vor 20 Jahren: 10 Minuten, die allen helfen [Update]

Eine halbe Million Volkszähler schwärmten heute vor 20 Jahren aus, um die Menschen in der Bundesrepublik zu befragen.

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Von
  • Detlef Borchers

Heute vor 20 Jahren schwärmte eine halbe Million Volkzähler aus, um die Menschen in Westdeutschland zu befragen. Mit dem Stichtag 25. Mai 1987 wurde die letzte umfassende Volkszählung durchgeführt, musste ein umfassender Fragebogen (PDF-Datei) ausgefüllt werden. Zuvor hatte unter dem Slogan "10 Minuten, die allen helfen" eine der aufwendigsten Werbekampagnen der Bundesregierung in Funk, Fernsehen und Zeitschriften für die Akzeptanz der Volkszählung geworben. Denn vier Jahre vorher war eine Volkszählung am Widerstand der Bevölkerung gescheitert.

Die letzte deutsche Volkszählung hatte eine turbulente Vorgeschichte. Ursprünglich wäre die Volkszählung des gesamten deutschen Volkes im Jahre 1981 fällig gewesen. Während die DDR die Zählung durchführte, konnten sich Bund und Länder in der BRD nicht über die Finanzierung der Zählung einigen. Die Volkszählung wurde auf den 27. April 1983 verschoben, unter anderem mit dem Argument, eine besonders detaillierte Volkszählung wissenschaftlich vorzubereiten. Das Ergebnis war ein umfassender Fragebogen, der mit kleinen Änderungen dann 1987 zum Einsatz kam.

Dieser Fragebogen wurde heftig kritisiert und politisch wie juristisch bekämpft. "Zählt nicht uns – zählt eure Tage" rief man auf Demonstrationen gegen die Volkszählung. 1984 stand vor der Tür, das symbolische Jahr des Orwell'schen Überwachungsstaates. Bereits beschlossene Sache war die Einführung eines maschinenlesbaren Personalausweises zur Beschleunigung des Datenabgleichs mit Fahndungslisten. Für besondere Empörung sorgte eine Bestimmung der Statistiker, dass die Volkszähler Kopfprämien für aufgestöberte Bürger ohne polizeiliche Anmeldung bekommen sollten. Geklagt wurde gegen die Weitergabe der Volkszählungsdaten an die Meldeämter wie gegen den umfangreichen Fragenkatalog. Auch die zehnjährige Aufbewahrungsfrist der Fragebögen war Gegenstand der Kritik.

Eine Klage von zwei Hamburger Rechtsanwältinnen führte schließlich am 15. Dezember 1983 zum berühmten Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichtes, das den Gedanken der informationellen Selbstbestimmung als Grundrecht einführte: Wenn Bürger nicht mehr wissen, wer was wann über sie weiß, werden sie versuchen, sich möglichst unauffällig zu verhalten. Das anbiedernde "ich habe nichts zu verbergen" widerspricht dem Grundrecht der eigenen Persönlichkeit: "Freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus."

Nach dem gescheiterten Anlauf von 1983 untersuchten die Statistiker erstmals, ob statt des Personen-Zensus eine Hochrechnungsmethode zum Zuge kommen sollte, die in Skandinavien schon praktizierte registergestützte Zählung. Die Qualität der damaligen Melderegister wurde jedoch als völlig ungenügend beurteilt. Mit den Ermahnungen der Verfassungsrichter versehen, starteten die Statistiker darum vor der Volkszählung vom 25. Mai 1987 eine teure Werbekampagne in allen zeitgenössischen Massenmedien mit dem immer gleichen Claim:

"Wie Sie heißen, ist uns egal. Ihr Name hilft uns beim Zählen und wird später vernichtet. Ihr Egon Hölder. Leiter des Statistischen Bundesamtes. Volkszählung. 10 Minuten, die allen helfen."

Insgesamt kostete die Volkszählung 1987 über eine Milliarde DM. Über die Kosten und Nutzen dieser Volkszählung streiten sich die Statistiker bis heute. Eine Fraktion ist der Auffassung, dass die Zusicherung der Anonymität Erfolg hatte, die andere vermutet, das mit Falschangaben im großen Stil passiver Widerstand geleistet wurde. So ergab die Volkszählung, dass die IT-Branche nicht weniger als 160 Tätigkeitsfelder und Berufe aufweist, von Unix-Spezialisten bis zum Locher. "Irgendwo gibt es also noch Sortiermaschinen und Tabelliermaschinen", wunderte sich die Computerwoche, während Statistiker eher darauf tippten, dass ein Schimpfwort mit dem Umlaut Ö von der Scan-Software als Beruf gedeutet wurde.

Die computerisierte Auswertung der Volkszählung dauerte 18 Monate. Sie ergab, dass eine Million mehr Menschen arbeiteten und rund eine Million Wohnungen weniger als angenommen vorhanden waren. Die Zahl der in Deutschland lebenden Ausländer musste um 12 Prozent nach unten korrigiert werden. Im damaligen Berlin lebten 133.000 Menschen mehr, während München 90.000 Einwohner weniger hatte. Der Länderfinanzausgleich wie der kommunale Lastenausgleich mussten um 700 Millionen DM korrigiert werden.

Nach der Volkszählung von 1987 wurde für 1991 die nächste Volkszählung in Einklang mit der DDR geplant, doch dieses Vorhaben wurde durch den Beitritt der DDR gestoppt. Damit neue Daten für die Planung verfügbar werden, ist Deutschland 2010/11 bei einer EU-weiten registergestützten Volkszählung dabei. Dabei sollen rund 7,5 Millionen Bürger "klassisch" befragt und 16,5 Millionen Immobilienbesitzer per Post zur Datenabgabe aufgefordert werden, die restlichen Informationen aus den Melderegistern kommen. Allerdings wächst derzeit in der politischen Debatte der Appetit auf weitere Datenzugriffe und Datenabgleiche. Zuletzt hat sich der Bundesrat für einen stärkeren Datenabgleich der Behörden ausgesprochen. (Detlef Borchers) / (anw)