Was war. Was wird.
Können mündige Bürger souverän gleichzeitig mit moderner Technik und ihren Daten umgehen? Nicht nur T-Spion und Stasi 2.0 setzen Rahmenbedingungen, in denen auch das Wünschen wohl nicht mehr hilft, staunt Hal Faber.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Der extrem verschwörungskritsiche 23.5. liegt hinter uns. Es ist also an der Zeit, Bruder Leser, diese kleine Wochenschau mit einem kleinen Lied aus dem Badezimmer der Bathroom Brothers zu beginnen: Er ist nicht schwer. Schwestern mögen sich an Mustang Sally oder an Elenor Rigby der beiden Badewannen-Tenöre delektieren, doch habe ich die leise Befürchtung, dass der heutige Tag nicht von vielen Schwestern begangen wird. Jawohl, es ist Towel Day, den man mit dem berühmten Handtuch oder gleich mit dem ganzen Badezimmer begehen kann. Erst nach einigem Suchen fand sich die denkwürdige Kombination aus Towel Day-Feier und dem Algorithmus-Marsch, an dem eine Programmina teilnimmt.
*** Douglas Adams, der Nicht-Erfinder des Towel Days, hatte es nicht so sehr mit dem Programmieren und der Disziplin, er war aber ein großartiger Plauderer und ein netter Gastgeber. So darf ich mich an einen schönen Abend in Cannes anläßlich der Milia erinnern, nachdem mein Interview mit Peter Gabriel zu seinem neuen Computerspiel Eve ziemlich in die Hosen gegangen war. An der Hotelbar reparierte Adams die miese Stimmung mit einem seltsam schmeckenden pangalktischen Gurgelwasser für alle verlorenen Seelen auf verlorenen Planeten mit verlorenen Computern: Nichts ist verloren, denn wenn es verloren wäre, wärst du nicht hier, aber du bist es und so ist nichts verloren, schon gar nicht der berühmte verlorene Planet Magrathea.
*** Ich schreibe dies, während die Sonne über den Rand der norddeutschen Tiefebene wegkippt wie Hägars Boot am Ende der Welt. Gerade beginnt der Grand Prix europäischer Alpträume, wo es immer eine ausgesprochen gute Idee ist, ein Handtuch bei sich zu haben, wenn man denn zuhören und zusehen will und wenn diese kleine Wochenschau online zu lesen ist wohl bereits einen Gewinner feiern oder bejammern möchte, je nach Gusto. Aber alle guten Geschmäcker sind längst verloren und Tokio Hotel auf Platz 5 der US-Charts. Verloren sind wir alle, wie der Song, den Peter Gabriel für die Fußball-WM in Deutschland schreiben sollte. Dafür dürfen wir nun zur gründlich kontrollierten Fußball-EM "Can you hear me" vom Almdudler Enrique Iglesisas hören und das ist so unfassbar schlecht, dass sich ein Verlinken verbietet.
*** Was ist ein absurdes Leben im kleinen, bald vergessen Milliways am Ende der Galaxis verglichen mit der Existenz in der BRD anno 2008, in der es ein Steinchenmeier für besonders mutig hält, den Dalai Lama nicht zu treffen? Wir leben in einem Land, in dem die besonders mutigen Wolfgang Schäuble und Brigitte Zypries dazu aufrufen, die Werte des Grundgesetzes täglich zu leben, während munter über den Bau einer bundesweiten Abhörzentrale in Köln nachgedacht wird. Nur über das Kürzel ist man sich nicht einig, nachdem WDR – Wanzen dokumentieren den Rechtsstaat – am Einspruch eines Lokalsenders scheiterte. Wenn BND und Verfassungsschutz grundgesetzwidrig ihre rastlose Arbeit mit dem BKA poolen, können sie sich als Botschafter für Demokratie und Toleranz schon mal ausgehfein machen.
*** Konkurrenz haben sie nur in der Privatwirtschaft, in der die Lidlisierung weiter fortschreitet und nach Gelb-Blau auch einen zarten Magenta-Ton bekommen hat. Natürlich ist der Abgleich von Verbindungsdaten mit den bekannten Rufnummern von Journalisten schwerstens verboten. Das es dennoch gemacht wird und dann noch als "Operation Rheingold" über die Bühne geht, macht den Konzern vom Bonn am Rhein besonders sympathisch: Die "Auswertung mehrerer hunderttausend Festnetz- und Mobilfunk-Verbindungsdatensätze der wichtigsten über die Telekom berichtenden deutschen Journalisten und deren privater Kontaktpersonen" beweist mal wieder die schlimmsten Befürchtungen: wo ein Datenhaufen, da wird geschissen und beschissen. Da hilft auch der heute eingetrudelte Entschuldigungsbrief des schönen René nichts, der sich "zutiefst erschüttert" zeigt, weil das Ereignis offenbar unter seine Handyschale kroch. Nun will man mit einer angesehen Kölner Kanzlei über die nächsten Wochen ermitteln: Die gleichzeitig mitgeteilte Erkenntnis, dass "keine rechtswidrige Nutzung von Gesprächsinhalten, also kein Abhören von Gesprächen" stattgefunden hätten, hat man aber superschnell gefunden. Die entsprechenden Textbausteine hatte man wohl noch vom Radteam Magenta auf der Festplatte. Auch PR muss nachhaltig arbeiten in diesen Tagen, wenn der Geschäftsbereich T-Spion etwas Krisenmanagement braucht.
*** Vor dem "Parlament" der deutschen Ärzteschaft hat der Datenschützer Thilo Weichert eine herausragende Rede gehalten, die ihren Platz in Sozialkundebüchern sicher hat. Das Plädoyer für eine moderne Technik, in der mündige Bürger souverän mit ihren Daten umgehen, passt bestens zum neuen Grundgesetz, das ein Bürgerrecht auf einen sicheren Computer postuliert. Auf dem Papier mag es so gesehen toll sein, in solch einem modernen Staat zu leben, würden nicht Firmen wie besagte Telekom zeigen, wie wurscht manchen Menschen das Papier ist, auf dem die Gesetze stehen. Im Rahmen der gegebenen Normen hat Weichert zweifelsohne Recht, doch was bleibt, wenn es keine Sicherheit mehr gibt, dass sich Firmen, Krankenkassen oder Mehrwertdienstler an diese Normen halten? Was bleibt, ist Datenschutz als Handtuchhalter für die ahnungslosen Strags (Normalbürger): "Ein Handtuch hat einen immensen psychologischen Wert. Wenn zum Beispiel ein Strag dahinter kommt, dass ein Anhalter sein Handtuch bei sich hat, wird er automatisch annehmen, er besäße auch Zahnbürste, Waschlappen, Seife, Keksdose, Trinkflasche, Kompass, Landkarte, Bindfadenrolle, Insektenspray, Regenausrüstung, Raumanzug usw., usw."
*** Dass Plädoyer des schleswig-holsteinischen Datenschützers glaubt nicht nur an die Wirkung des Rechts, sondern auch an die Technik. Mit der elektronischen Gesundheitskarte kommt eine "Public Key Infrastructure" ins Haus, die mit immer mal wieder ausgetauschten Algorithmen auf Jahre hinaus das sicherste System überhaupt ist, was die Kryptologen derzeit nicht überlisten können. Hinzu kommt, dass bei der Gematik, die die Technik betreut, einige der besten PKI-Forscher sitzen. Doch auch hier gibt es ein Gegenargument: Die Gesundheitskarte wird das weltgrößte PKI-System werden. Bis jetzt hat niemand überzeugend darlegen können, dass PKI in diese Größenordnung skalieren und zuverlässig funktionieren kann, wenn Hunderttausende von Heilberufsausweisen und Millionen von Versichertenkarten im Umlauf sind. Das größte PKI-System dieser Art ist derzeit bei Microsoft in Betrieb und dort auch nicht im geplanten deutschen Umfang, weil nur signiert und nicht verschlüsselt wird. Wer aufmerksam die Nachrichten zum OpenSSL-Debakel von Debian verfolgt hat, wird durchaus seine Zweifel haben, ob das System der Gesundheitskarte funktionieren kann. Es gibt Leute, die viel davon verstehen und die erklären können, wie selbst unsere Selbsteintreibungs-Software ELSTER davon betroffen ist, dass Revocation Lists für Zertifikate nicht funktionieren: Skalierender Schlüsselrückruf ist ein ungelöstes Problem. Was sich hinter der Karten-FAQ auftürmt, ist größer als ein Elefant, wenn es zum Kartenverlust heißt: "Im zukünftigen Online-Verfahren bleiben die Daten auch bei Verlust der Karte erhalten. Sie werden auf Servern gespeichert und gehen somit nicht verloren." Wie war das blos noch mit Keksdose, Trinkflasche, Kompass, Landkarte und Bindfadenrolle? Nichts geht verloren, keine Panik. Nur das Handtuch sollte man nicht vergessen.
Was wird.
Noch hat die Fußball-EM nicht begonnen, mit Bällen, die von naturbelassenen Kindern genäht werden. Punktlich zum Anstoß, wenn die Krügerl mit dänischem(!) Bier gefüllt werden, drohen Österreichs Ärzte mit Streik, weil ihnen ihre e-card stinkt und die ELGA sowieso. Das muss die Österreicher nicht stören, weil sie eh gerne in ihren Betten bleiben. So schrieb die Tageszeitung heute: "Deutsche, wir mögen auf dem Rasen nicht die Angstgegner sein, doch in Sachen Sex sind wir auf dem besten Weg zum Meister." Nun hat Österreich gerade Kuba geschlagen und Teamchef Hickersberger Frauenbesuch auf Spielerzimmern verboten. Da deuten sich andere Ambitionen an, vor dem "Jahrhundertdrama" (Alfred Gusenbauer) am 16. Juni. Die Schweiz lasse ich heute beiseite, sie hat nach einer kleinen CIA-Gefälligkeit ein massives Problem mit der Archivierung.
Nein, noch schaut die Welt nicht in die "erweiterte Partyzone", wie Kanzler Gusenbauer sein Land nennt. Die Welt schaut nächste Woche nach Berlin. Die einen sind neugierig, was sich die SPD an "Scheiß"-Versprechern leistet, was die Kandidatur der Gesine Schwan anbelangt. Die anderen werden Köhler suchen, der vielleicht den Linuxtag besucht: Wer globalisierungskritisch von Monstern redet, hat sicher ein Herz für Aptenodyten und Eudypten und außerdem die Unterstützung des erklärten Bill-Gates-Fan Warren Buffet. Zumal es auch noch den Asterisk-Tag gibt und die IT-Profit für Neueinsteiger winkt. Wer jetzt noch keine Firma hat, der tusselt sich schnell den Geschäftsplan 2.0 zusammen und geht als Startup. Man sollte nur nicht auf altmodische Ideen kommen und etwa Software auf Lizenzbasis vertickern, das ist eine Abzocker-Masche, die nicht jeden Richter überzeugt. (Hal Faber) / (jk)