Was war. Was wird. Hamstert Hölderlin!
Ja, diese Ausländer, jetzt kommen sie schon als Viren über die Grenze! Es gibt nichts Dummes, was manche Leute nicht in die Welt setzen würden, klagt Hal Faber.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** "Wir hatten in jenen Tagen nicht so etwas wie gedruckte Zeitungen, um Gerüchte zu verbreiten und über Dinge zu berichten, damit sie durch Erfindungen der Menschheit verbessert werden konnten, wie es der Fall ist, seit ich lebe." So beginnt der zweite Absatz der großen Reportage von Daniel Defoe über die Große Pest von London. Das Tagebuch der Pest, wie es im großen Internet Archive verwahrt wird, ist ein Lehrstück über den Wert von Nachrichten, über die Geschwindigkeit der Nachrichtenproduktion und die Rolle der aufgeklärten Obrigkeit bei der Verhängung von Quarantäne. Defoe arbeitete 1720 als Journalist in London, wo er nach der Aufhebung der Pressezensur im Jahre 1690 eine lesehungriges, sehr gut informiertes Publikum hatte, das seine Artikel schätzte. Er reagierte auf seine Weise auf die Nachricht, dass in Marseille die Pest ausgebrochen war und schrieb zahlreiche Artikel, in denen er den "Quarantine Act" der britischen Regierung verteidigte. England sollte geschützt werden, in dem allen Schiffen das Einlaufen in Häfen untersagt wurde, die aus Ländern kamen, in denen die Pest gemeldet worden war. Damit diese Maßnahme greifen konnte, mussten die Nachrichten schneller als die Schiffe die Insel erreichen und in der Zeitung schnellstens und weitreichend verbreitet werden. Der Journalist Defoe beließ es nicht dabei, für die Quarantäne zu werben und vor der Pest zu warnen. Eine Serie von Artikeln "Due Preparations for the Plague, as well for Soul and Body" folgten, in denen Ratschläge für das Lüften von Wohnungen gibt. Auch den guten Rat, große Ansammlungen zu vermeiden, kann man bei Defoe finden.
** Mit seinem Tagebuch der Pest greift Daniel Defoe zu einem Trick. Als Daniel Foe war er zur Zeit der große Pest als Kleinkind aufs Land gebracht worden und so schreibt er als Henry Foe seine Reportage von der Pest, als sei er mittendrin gewesen im großen Sterben. Der Seuchen-Reporter wollte mit der detailfreudigen Schilderung der Pest seine Leser vor der trügerischen Gewissheit warnen, man sei gerüstet, der Pest zu entgehen. Ein Staat mag robust genug sein, drastische Maßnahmen wie die Quarantäne zu verhängen, doch richtig antifragil kann er nicht sein. Es ist kein Zufall, wenn das Frontispiz von Hobbes' Leviathan eine leere Stadt zeigt, in der nur zwei Pestärzte mit ihren Schnabelmasken vor einer Kirche zu sehen sind. Staatliche Politik ist immer Biopolitik. In diesen Tagen merkt man es nicht nur am britischen Sonderweg, über den ein Daniel Defoe sicher entsetzt wäre. Aus Furcht vor einer angenommenen "Müdigkeit" der Bevölkerung setzt man dort auf die Wirkung einer künftigen Herdenimmunität, frei nach der Erkenntnis von Lems Roman Der Schnupfen: ""Solche Dinge passieren eben auf unserer Welt. Die Menschheit hat sich so vermehrt und verdichtet, dass atomare Gesetze sie zu lenken beginnen."
*** Man merkt die Biopolitik auch daran, wie über die erfolgreiche Coronavirus-Bekämpfung in Taiwan berichtet wird, nämlich fast gar nicht. Dabei gehörte Taiwan im Jahr 2003 zu den am schwersten betroffenen Ländern, als der SARS-Virus das Land erreichte. Gleich drei zentrale Behörden wurden gegründet, die am 31. Dezember sofort ihre Arbeit aufnahmen. Die positiv getesteten Personen wurden übrigens über ihre Mobiltelefone ständig überwacht, ob sie die Quarantäne-Auflagen einhielten, sofern sie nicht in Krankenhäuser verlegt wurden. Stattdessen gibt es Lobeshymnen auf das Festland. Dort, wo das Virus herstammen soll, leben offenbar komische Tiere und noch komischere Menschen. Eine solche Betrachtung ist beliebt, doch schwachsinnig, denn sie verkennt, welchen Einfluss der Mensch und seine Umweltpolitik auf die Habitate hat. Man muss halt alles im Kontext sehen. Und erkennen, dass es auch eine soziale Ansteckung gibt, mit einer Historie, die Entstehung von Krankheiten noch unter ganz anderen Aspekten verdeutlicht.
*** Wir sind eine Welt in einer von Menschen gemachten Welt, das kann man als Antwort auf den scheidenden Donald Trump schon singen, der den Unsinn von einem "ausländischen Virus" in Kameras brabbelte. Vielleicht klingt es nicht ganz so schön wie die Gesänge der Menschen in Italien, aber eben echt. Oder wie wäre es mit dem klassischen deutschen Durchhaltelied schlechthin, wie es nach Forschungen von Musikwissenschaftlern tief im kollektiven Bürgergedächtnis verankert sein soll? Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern soll angeblich die Nummer 1 sein. Keine Angst, Rosemarie, was in der Welt passiert, ist alles halb so schlimm, auch wenn die nächste Whisky-Bar geschlossen hat. Ja, harte Sachen taugen nicht nur zur Desinfektion, sondern sind nötig, wenn eine Mehrheit der Bürger glaubt, mit der Lockerung des Datenschutzes und einer Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung den Virus bekämpfen zu können. Dazu passt es, es, wenn Gesundheitspolitiker wie Karl Lauterbach oder Jens Spahn umstandslos von Gefährdern oder Gefährdungslagen sprechen.
Was wird.
Vor nunmehr 80 Jahren begannen die ersten "Bomben" damit, die verschlüsselten Funksprüche der deutschen Wehrmacht zu entschlüsseln. Das klappte nach einigen Verbesserungen und half dabei, den Krieg abzukürzen. Ob man so weit bis zur Aussage gehen kann, das ohne die Entschlüsselungen die Atombombe auf Deutschland gefallen wäre, ist eine schwierige Frage, die sich bei der Vorbereitung der Feiern zum 75. Jahrestag des Kriegsendes stellt – falls überhaupt im Mai gefeiert werden kann. Eigentlich sollte der Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus mit Großveranstaltungen am Feiertag begangen werden, die allesamt noch in den Veranstaltungskalendern aufgeführt sind, während Megatreffen wie die re:publica bereits verschoben sind. Nun lässt sich ein historischer Feiertag nicht so einfach in den Sommer hinein verschieben wie eine Versammlung schwitzender Netizens, doch stellt sich die Frage, was passieren soll und dem Tag angemessen ist. Nur in Russland stellt sie sich nicht, denn dort ist die größte Militärparade alle Zeiten unter dem ewigen Putin geplant. Mit aktuell 47 Infizierten und keinem Todesfall steht man bestens da – in der Statistik.
In Quarantäne lässt es sich bekanntlich mit guten Büchern aushalten, wie es #bücherhamstern ja beweist.
Mit vielen Terminen in Laufen, Tübingen und Marbach gehört auch Hölderlins 250. Geburtstag am kommenden Freitag zu den ausgefallenen Jahrestagen. Traurig klirren die Fahnen, und die Gedichte werden auf Facebook gestreamt.
"Du räumst dem Staate denn doch zu viel Gewalt ein. Er darf nicht fordern, was er nicht erzwingen kann. Was aber die Liebe giebt und der Geist, das lässt sich nicht erzwingen. Das lass’ er unangetastet, oder man nehme sein Gesez und schlag’ es an den Pranger! Beim Himmel! der weiss nicht, was er sündigt, der den Staat zur Sittenschule machen will. Immerhin hat das den Staat zur Hölle gemacht, dass ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte.
Dann, wann die Lieblingin der Zeit, die jüngste, schönste Tochter der Zeit, die neue Kirche, hervorgehn wird aus diesen beflekten veralteten Formen, wann das erwachte Gefühl des Göttlichen dem Menschen seine Gottheit, und seiner Brust die schöne Jugend wiederbringen wird, wann - ich kann sie nicht verkünden, denn ich ahne sie kaum, aber sie kömmt gewiss, gewiss. Der Tod ist ein Bote des Lebens, und dass wir jezt schlafen in unsern Krankenhäusern, diess zeugt vom nahen gesunden Erwachen. Dann, dann erst sind wir, dann ist das Element der Geister gefunden!"
(jk)