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Was war. Was wird. Nach dem Bruch ist vor dem Bruch.

Bevor man Bücher verbrennt, verbietet man sie erstmal. Und bevor man nach rechts ausschert, tut man so, als hätte man von nichts gewusst, wütet Hal Faber.

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Was war. Was wird. Nach dem Bruch ist vor dem Bruch.

Ach. "Das war ein Vorspiel nur..." Allerdings noch kein so weitgehendes, wie es Heine einst beklagte, der (nicht nur) prophetisch festhielt, "dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen".

(Bild: MASSIMILIANO PAPADIA / Shutterstock.com, Zitat aus: Heinrich Heine, Almansor. Eine Tragödie.)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Aus der Schriftenreihe der Friedrich Naumann-Stiftung

*** Im Westen nichts Neues. Im Osten auch nicht. Bevor die Bücher verbrannt wurden, wurden sie dort verboten. 1930 wurde der Nationalsozialist Wilhelm Frick zum Innen- und Volksbildungsminister von Thüringen ernannt. Eine seiner ersten Amtshandlungen war es, den Antikriegsroman Im Westen nichts Neues für den Schulunterricht zu verbieten. So einen Roman könne unmöglich jemand geschrieben haben, der im Krieg an vorderster Front gekämpft habe. Eine Haltung, die dem beurlaubten Geschichtslehrer Björn Höcke gefallen dürfte. Seine AfD will bekanntlich das Volk bilden. Eine Bildung, von der auch diese Werte-Union in der CDU schwärmt, die mit ihrem Hans-Georg Maaßen an der Spitze den von der AfD gewählten Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich begrüßte. Leutselig und lächelnd lief Maaßen dieser Tage auf dem europäischen Polizeikongress herum und wurde an einigen Ständen freudig empfangen. Gut möglich, dass Maaßen in die wahltaktischen Pläne der AfD eingeweiht war.

*** Die Haltung der Eintagsfliege Thomas Kemmerich dürfte Höcke und seinen Flügel dagegen kaum interessieren. Mit seiner Wahl ist der Partei ein großer Coup gelungen. Sie konnte zeigen, wie schnell Machtgier und Leichtsinn (oder war es Dummheit?) der sogenannten bürgerlichen Mitte ausgenutzt werden kann, sie konnte zeigen, wie "das System" und diese "Systemparteien" ausgetrickst werden können. Amüsiert dürften sie jetzt das Gestammel eben dieser Mitte verfolgen, die den Tabubruch zu rechtfertigen sucht. Dabei macht sie aus dem sozialdemokratisch orientierten Linken Bodo Ramelow einen SED-Nachfolgepräsidenten, den man keinesfalls die Hände schütteln und ihn wählen darf. Auf das Gebrabbel kann die AfD verweisen und wieder einmal behaupten, wie gleichgeschaltet diese Mitte doch ist. Und wenn die groteske Hufeisentheorie aufgefahren wird, können AfDler die Köpfe schütteln und darauf verweisen, dass sie doch keine Faschisten sind: Wo bitte sind die Kampfverbände, die die NSDAP von Anfang an begleiteten? Und so ein Gauforum127 wie das in Weimar wolle man auch nicht, wo jetzt so ein schönes Einkaufszentrum daraus geworden ist. Nur ein klitzekleiner Widerspruch bleibt: Da ist ein Gericht, das geurteilt hat, dass der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke Faschist genannt werden darf, während AfD-Oberchef Alexander Gauland das anders sieht und meint, dass der Faschismus in Deutschland verboten ist.

*** Die FDP und ihr Christ-Tur-Tur Lindner hat bei der Wahl von Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gezeigt, dass sie ihre braunen Wurzeln nicht vergessen hat. Man denke an die SS-Leute August Martin Euler, Martin Derichsweiler und besonders Margarete Hütter, die nach dem Kriege die DVP und die FDP mitgründeten und 1950 dafür warben, dass deutsche Kriegsverbrecher nur noch "Kriegsverurteilte" genannt werden sollten. Man denke an die Jungen Adler der FDP, die Paramilitärisch agierten und "Saalschutz" betrieben. Man denke an die FDP-Forderung von Hermann Becher, die Reichsflagge Scharz-Weiß-Rot wieder einzuführen und seine Bezeichnung der Widerstandskämpfer des 20.Juni 1944 als "Landesverräter". Es war der junge Rechtsanwalt Gerhart Baum, der als Vorsitzender der Jungdemokraten das Ehrengerichtsverfahren gegen Becher führte, eben jener Baum, der jetzt angesichts des Schachzuges in Thüringen nur noch fassungslos ist.

*** Ja, wir haben einmal hier auf dieser Webseite des kleinen Verlags aus der norddeutschen Tiefebene vor gerade mal ein paar Jahren geschrieben, dass wir die FDP noch einmal vermissen werden. Nichts könnte falscher sein in diesen Tagen. Oder vielleicht doch nicht? Ja, diese AFDP vermissen wir keineswegs, deren Spitzenpersonal sich windet und krümmt. Die FDP, um die es uns damals ging, die FDP einer Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, eines Gerhart Baum, eines Burkhard Hirsch, ja, die vermissen wir immer noch. Glücklicherweise haben sich die Grünen ein bisschen darauf besonnen, das Feld der Bürgerrechte auch in Digitalien nicht ganz unbestellt zu lassen, nachdem die FDP ausfällt. Lange genug hat es ja gedauert.

*** Aber vielleicht war in Thüringen ja die Technologie Schuld. Nach den ersten beiden Wahlgängen brauchte es nur 10 Minuten, bis die Laserdrucker die neuen Wahlzettel mit den Namen von Bodo Ramelow, Thomas Kemmerich und Christoph Kindervater gedruckt hatten. Das ist schon arg knapp, um sich in der bürgerlichen Mitte Gedanken zu machen, wen man da wählt, wenn eine einfache Mehrheit ausreicht. Wie überhaupt das Denken in dieser Mitte Probleme macht: Eine CDU-Vorsitzende, die nach diesem Desaster fordert, dass Grüne und SPD einen der CDU genehmen Kandidaten präsentiert, hat das Prinzip der Wahl nicht wirklich verstanden. Nun, wo die Schwäche der FDP und der CDU für autoritäre Lösungen bekannt sind, kann man sich fragen, ob wir erfolgreich mit Antikörpern geimpft sind.

*** Ja, Auschwitz wurde von der Roten Armee befreit. Das darf aber kein Grund sein, auf einer Gedenkfeier Karten zu präsentieren, die dem Weltbild des russischen Präsidenten entsprechen. Er gibt bekanntermaßen den Polen die Mitschuld am Ausbruch des zweiten Weltkrieges. Ausgerechnet die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem hat auf einem Forum zum Gedenken an Auschwitz historisch falsche Videos gezeigt und sich nun gegenüber Polen in dieser Woche dafür entschuldigt. Auf den Videos, die in Anwesenheit von Wladimir Putin gezeigt wurden, war weder die Aufteilung Polens durch Deutschland und die Sowjetunion gezeigt worden noch die Okkupationen in Westeuropa durch die Deutschen. Für eine Gedenkstätte, die so viel Wert auf die korrekte historische Aufarbeitung legt, ist der Vorgang mehr als eine "Panne".

*** Gut ist es, dass jetzt mehrere Initiativen auf das Schicksal von Julian Assange aufmerksam machen, dem in den USA ein Schauprozess droht. Was dort im Zuge der Ermittlungen gegen den CIA-Mitarbeiter Joshua Schulte ans Tageslicht kommt, ist mehr als seltsam. Schulte hatte Assange und Wiklieaks mit den Leaks Vault 7 und Vault 8 versorgt. Nun kommt heraus, dass das FBI als Ermittlungsbehörde nach der Festnahme von Schulte über ein Jahr wartete und dann die Dateien inkognito in einem Starbuck-Coffeeshop als Beweismittel "sicherte". Ein ähnlicher Umgang mit den Beweisen könnte bei der anonymen Grand Jury, die Assange wegen Spionage verurteilen möchte, gravierende Folgen haben. Unterdessen gibt es Neuigkeiten vom vergessenen Edward Snowden: Er hat seinen russischen Anwalt beauftragt, seine Aufenthaltserlaubnis zu verlängern. Bittere Ironie: Der Wikileaks-Zuträger Joshua Schulte wünschte sich für den selbstständig und auf eigenes Risiko handelnden Whistleblower Edward Snowden die Todesstrafe.

Die Tempomacher für vernünftige Politik in Thüringen hat es aus der Kurve getragen. Etwas verzögert hat Speed King Thomas Kemmerich seinen sofortigen Rücktritt erklärt. Der aber auf sich warten ließ, bevor es dann doch noch was wurde. Ob sich Kemmerich wie Ritchie Blackmore fühlt, über den es anlässlich des Speed Kings hieß: "Blackmore zersplitterte in nur fünfzig Sekunden die gängigen Konventionen der Beat-Ära, und machte die sechziger Jahre der Popmusik zur Historie". Aber damit ist Blackmore Unrecht getan und Kemmerich dann doch zu viel Bedeutung zugemessen. Denn wie schon erwähnt, ist es die Dummheit der sogenannten "bürgerlichen Mitte", die hier etwas zertrümmert – und zwar nicht einfach nur kulturhistorische Bedeutsamkeiten. Die nächste Wahl, auf der das viel geschmähte Volk das Sagen haben wird, findet in Hamburg in diesem Februar statt. Zur gefälligen Erinnerung sei an die Wahl des Jahres 2001 erinnert, als CDU und FDP und die Partei Rechtsstaatliche Offensive des rechten Populisten Ronald Barnabas Schill den Stadtstaat regierten. Auch damals gab es Proteste, besonders als Schill die Einwanderungspolitik für alles Mögliche verantwortlich machte. Es muss nicht immer der Vergleich mit Weimar sein.

Ich habe mich geirrt. Die Debatte über die Gesichtserkennung ist noch lange nicht vorbei, nur weil das Innenministerium einen entsprechenden Gesetzentwurf vorerst zurückgestellt hat. Vorbereitungen laufen, die Gesichtserkennung auf eine ausgeklügelte Basis zu stellen.

Wird schon seine Richtigkeit haben mit der Videoüberwachung und der zentralen Speicherung, gell?

Da ist die Berliner Polizei, die 167.578 ihrer Datenbanken um phänotypische Merkmale erweitert hat. Da ist der BKA-Chef Holger Münch, der einen grundsätzlichen Handlungsbedarf bei der Überwachungstechnik sieht und von der "zentralen Speicherung öffentlicher Videoüberwachung" schwärmt, die in "anderen Ländern Europas" die Polizeiarbeit wesentlich beschleunige. Welche Länder das sind, ließ Münch offen. Vielleicht meinte er die Schweiz, wo man an einer Überwachungsmaschine werkelt. Womit wir wieder bei den Wahlen zur Hamburger Bürgerschaft sind. (jk)