4W

Was war. Was wird. Von Identifikationsfiltern und anderen Abschaltungen

Jugendliche Politikverdrossenheit? Ach, was, zürnt Hal Faber. Da ist niemand verdrossen. Oder welches Engagement hätten's denn gern?

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 44 Kommentare lesen
Was war. Was wird. Von Identifikationsfiltern und anderen Abschaltungen

Ja, ja, die Jugend heutzutage, die hat's auch nicht leicht, auch ohne AOL-CDs und Modem-Gepiepse.

(Bild: DisobeyArt / shutterstock.com)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Das bei Christies versteigerte KI-Gemälde von der Hackergruppe Obvious

*** Das war keine gute Woche. Wie in der letzten Wochenschau vermutet, ist Chelsea Manning in Beugehaft genommen worden, obwohl ihre Aussage nichts über Wikileaks verraten kann, weil sie mit Wikileaks nichts zu schaffen hat. Man kann dazu ihren Auftritt in Deutschland nehmen. Aber, auch das hat die letzte re:publica gezeigt, sie ist ein Mensch mit Prinzipien, zu denen der aufrechte Gang gehört. Doch auch der kostet etwas, nicht nur den Twitter-Account. So ist der eigentliche Skandal einer der US-Justiz, genau wie die Anklage und das Urteil im Fall von Reality Winner, verglichen mit dem milden Urteil für Paul Manafort. Natürlich gibt es Menschen, die diese Ansicht für eine Frechheit halten und meine Meinung über Wikileaks nicht teilen. Das ist alles eine Frage des Identifikationsfilters, um es einmal in den Begriffen einer Europa-Grünen zu sagen, die der Inhaltskontrolle mit Uploadfiltern zustimmt.

*** Ja, diese doofen Filter aber auch. Glaubt man der Justizministerin Katarina Barley, so sind Uploadfilter alternativlos. Man kann dieser Meinung sein, aber dann stellt sich die Frage, warum genau diese unsere Regierung von CDU/CSU und SPD einen Koalitionsvertrag aufgesetzt hat, in dem Uploadfilter explizit abgelehnt werden. So wird Politikverdrossenheit erzeugt, die von der Politik verdrossen beklagt wird. Bemerkenswert auch der angedachte Versuch, die zum 23. März geplanten Proteste durch eine vorgezogene Abstimmung ins Leere laufen zu lassen. So geht Europa, man könnte es Exit nennen. Und ewig wachsen die Memes. Was waren das noch für Zeiten, als die Rede von den Upload-Filtern des Axel Voss als Unsinn galt und als redaktioneller Fehler behandelt wurde. Jetzt sind sie offizielle Politik. Wenigstens die Bots bleiben laut, all die jungen Menschen, die eine unbeschwerte Jugend ohne AOL-CDs hatten und nun ihr ganz spezielles Internet in Gefahr sehen. So geht Politikverdrossenheit, die nicht etwa politikverdrossen ist, sondern mit Verve die Verdrossenheit mit dieser Politik ausdrückt.

*** Geht es Deutschland besser? Geht es nach dem Wirtschafts- und Energieminister Peter Altmaier, so ist Klimaschutz superwichtig und eine zentrale Herausforderung der Menschheit für die nächsten 100 Jahre, aber bitte doch nicht auf Kosten unseres Wohlstandes! Der ist offenbar am Allerwichtigsten, so Altmaier mit messerscharfem Verstand. Dass es eine Klimawende von unten geben könnte, wäre für den CDU-Politiker eine ganz unangenehme Entwicklung, man merkt es an den Kommentaren über die impertinenten Schüler, die Freitag für Freitag die Schule schwänzen. Dort, wo der Weltfrauentag ein Feiertag ist, mag sich auch ein BuPrä zeigen und von der Sache angetan sein.

*** Der Weltfrauentag ist gefeiert und die Linguist hat ihren Zweistufenplan zur Erneuerung der deutschen Sprache vorgestellt: Das Binnen-I, das Sternchen und der Schrägstrich machen Frauen eben nur zu Anhängseln der männlichen Form und sind damit abzulehnen im Diskurs der Diversitäten. Und ja, es gibt einen Ausweg, den aber unsere eigens für Frauen gebauten Tastaturen nicht mitmachen: "Am hübschesten wäre ein kleines i mit Sternchen statt i-Tüpfelchen. Das geben aber unsere Tastaturen noch nicht her, deshalb benutzen wir stattdessen vorerst ein Ausrufezeichen: Hörer!nnen." OK, gemacht. Die Karnevalist!n Annegret Kramp(f)-Karrenbauer (hahaha) ist wider Erwarten noch nicht zur ersten Bundeskanzler!nanwärter!n des verkrampftesten Volkes der Welt ausgerufen. Das mögen einige bedauern, indisponierte Politiker jedoch davon abhalten, Amok zu laufen.

*** Die Woche begann mit einer Aufklärung über die künstlichen Idioten des digitalen Kapitalismus und sie endete mit einer Premiere von Hi, AI, einem "Dokumentarfilm" über die Zukunft der künstlichen Intelligenz. Was da dokumentarisch gezeigt wurde, war etwas enttäuschend, denn die im echten Leben gefilmten Roboter waren alle etwas blöd, nicht nur mit abgeschraubtem Kopf. Wie heißt es treffend in der Rezension: "Verblüffend ist nur, wie sehr Chuck und Oma Sakurai um ihre gefühllosen Begleiter buhlen. Aber das Herz des Menschen ist groß, sogar Staubsaugerroboter haben darin Platz." Andererseits ist genau dieses Herz, der Hort einer Vernunft, die gegen die künstliche Intelligenz eingesetzt werden kann. Das behauptet die Schriftstellerin Ulla Hahn in der aktuellen FAZ hinter einer Artikel12-Wall, in der sie eine "World Community" der Autoren und Leser gegen die KI in Stellung setzt. "Jedes Lesen ist ein Auferweckungsprozess. Wir verschaffen dem Gedicht, der Musik, dem Bild einen Moment der Ewigkeit – und damit uns selbst. Eine Ahnung davon, was es heißt, unsterblich zu sein: im Geiste!" Das Ganze ist übrigens mit der Empfehlung an angehende Schriftsteller garniert, mindestens eine Programmiersprache zu lernen, für den Fall, dass es mit der Unsterblichkeit nicht klappt.

*** Wobei es sich bei Bildern lohnt, auf unsterbliche kĂĽnstliche Intelligenz zu setzen: Das von einem GAN (General Adaptive Network) produzierte Portrait von Edward Bellamy erzielte bei einer Auktion 432.500,00 Dollar und kam damit auf das 45-fache des angesetzten Wertes. Was Konsequenzen hat: Mit AICAN hat die erste kĂĽnstliche Intelligenz eine eigene Ausstellung in einer Galerie bekommen. NatĂĽrlich wird Google bald auch diesen Markt mit feschen Bildern dominieren. Sie haben einfach die besseren aktiven Neuronen da drĂĽben im Silicon Valley der Maschinen-Menschen. Oder sprechen wir schon von Mensch-Masch!nen, denen Networking alles bedeutet?

*** Mit der Unsterblichkeit mag manche KI und auch Ulla Hahn so ihre Probleme haben. Einer hat sie sicher nicht: Der große Zampano des ProgRock, Robert Fripp, dürfte für alle Zeiten in den Annalen der Musik als Mastermind von King Crimson gefeiert werden. Anlass dazu geben die Alben und Konzertmitschnitte ja genug, es ist aber seit Anfang des Jahres auch noch ein besonderer Anlass zu feiern – denn King Crimson wird 50, wobei Fripp immer noch die treibende Kraft ist. Am 13. Januar 1969 gaben sie ihr erstes Konzert, gefolgt von dem wegweisenden Album "In the Court of the Crimson King".

Dem viele weitere wegweisende Alben folgten, von "Larks' Tongues in Aspic"

ĂĽber "Red" und "Discipline",

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine Vimeo-Video (Vimeo LLC) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Vimeo LLC) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bis hin zu den "Forschungsalben" der ProjeKct-Phase, um nur einige wenige zu nennen.

Dass Robert Fripp die Sounds für Windows Vista komponierte, die so Mancher ihm als Verrat auslegte, sei ihm verziehen. Genauso wie Greg Lake aus der King-Crimson-Urbesetzung, dass er später die Kitsch-Seite bei Emerson, Lake & Palmer gab und vor allem auf den späten ELP-Alben für einige sensationell missglückte Schlagerausritte sorgte. Derzeit sind King Crimson auf Jubiläumstournee, wer ein Konzert in der Nähe besuchen kann, sollte nicht zögern: Die alten Herren sind gut drauf und spielen herausragenden, auch heute noch avantgardistischen ProgRock mit starken Funk- und Jazz-Einflüssen. Und es gibt diverse Neuveröffentlichungen von Konzertmitschnitten aus allen King-Crimson-Lebensphasen. Wer von ProgRock nicht King Crimson, sondern nur Genesis, Yes oder Emerson, Lake & Palmer kennt, der hat was verpasst.

Das Jahr, in dem das Internet viele Geburtstage feiern kann, könnte auch das Jahr sein, in dem das freie Internet zu Grabe getragen wird. Der Protest geht damit weiter, denn die Betroffenen realisieren mehr und mehr, dass "Identifikationsfilter" eine Vorzensur für freie Inhalte sind. Bekanntlich droht ein Streik bei Wikipedia das öffentliche Wissen am 21. März in allgemeines Unwissen aufzulösen. Wobei das Unwissen auch bei denen zu finden ist, die die Idee mit den Uploadfiltern für eine gelungene Sache halten. Das wird beim deutsch-französischen Kompromiss sichtbar, bei dem sich Web-Angebote parallel zum Upload eines rechtmäßigen Urhebers um eine Genehmigung "bemühen" und diese Bemühung auch noch als "ausreichendes Bemühen" dokumentieren müssen, für den Fall der Fälle, dass Klage erhoben wird.

Langsam kommt eine andere Abschaltung, die ganz unabhängig von den Upload-Filtern ist, nämlich die vom ungeliebtesten sozialen Netzwerk Google+. Das war ein Kommentarsystem, das viele dennoch mochten, weil dort zivil diskutiert wurde.

Schimpf! Zeter! Fluch!

Eigentlich sollte schon seit Donnerstag die Kommentierfunktion abgeschaltet sein, doch bislang sind nur ein paar Funktionen und Widgets verschwunden. Jedenfalls nähert sich die große Abschalte am 2. April. und der Gang in die Diaspora oder die Fediversen von Mastodon steht vielen Plus-Fans noch bevor. Dies nur als Erinnerung. Was bleibt, ist die Erfahrung, dass Menschen manierlich diskutieren können – aber das wissen die weisen Heise-Foristen ja längst. (jk)