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Was war. Was wird. Von schlimmen Zeichen und schlimmen Zeiten.

Panik! Panik! Panik? Ach nee, doch nicht. Die Zeiten sind schlimm genug, da reicht das normale Entsetzen völlig aus, meint Hal Faber.

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Was war. Was wird. Von schlimmen Zeichen und schlimmen Zeiten.

Don't panic. Und Katzenbilder gehen immer.

(Bild: Olesya Tseytlin / Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Die Planeten lügen nicht, die Aussichten sind düster: Der Merkur ist rückläufig, das ist ein ganz, ganz böses Omen. Schreckliches passiert deshalb in der virenverseuchten Welt: Keine Tourismusmesse in Berlin, nur die Bundesliga reimt sich auf Corona und ist damit sicher. Die Fechter lassen ihre Säbel fallen und wir fühlen uns ganz wie in einem schlechten Film. Oder in einem guten Computerspiel.

*** Ach, könnten wir doch wie Prinz Prospero mit tausend netten Menschen in die stille Abgeschiedenheit einer befestigten Abtei und dem roten Tod entkommen, über den Edgar Allen Poe schrieb. "Und nun erkannte man die Gegenwart des Roten Todes. Er war gekommen wie ein Dieb in der Nacht. Und einer nach dem andern sanken die Festgenossen in den blutbetauten Hallen ihrer Lust zu Boden und starben – ein jeder in der verzerrten Lage, in der er verzweifelnd niedergefallen war. Und das Leben in der Ebenholzuhr erlosch mit dem Leben des letzten der Fröhlichen. Und die Gluten in den Kupferpfannen verglommen. Und unbeschränkt herrschte über alles mit Finsternis und Verwesung der Rote Tod."

*** Ach und oh, hätten wir doch wenigstens die magischen Kräfte eines Mike Pence, der das Coronavirus nur anzustarren braucht, damit es verschwindet. Doch die Zeichen stehen schlecht und die Märkte stöhnen und jammern, schreibt die FAZ. Nur die taz hat da noch den Durchblick: "Wer auf Aktien-Prickeln aus ist und Geld übrig hat, kann gerne zocken. Für alle anderen gilt: Vorsicht ist die Mutter der Coronakiste."

*** Dabei haben Sterndeuter, Wahrsager und Quacksalber schon lange die Zeichen gesehen, die von einem großen Unheil kündeten. Wie heißt es noch in den Prophezeiungen des Nostradamus, in den Centuren II, Nummer 46 mit einem klaren Hinweis auf den großen Beweger Trump, im Original der große Motor genannt, der die Pest bringt:
Nach dem großen menschlichen Zwist, folgt noch Schlimmeres. Der große Regent (Beweger) erneuert die Jahrhunderte. Regen, Blut, Milch, Hunger, Feuer und Seuchen, Am Himmel, Feuer zu sehen, fliegen lange Funken.
Apres grâd troche humain plus grâd s'appreste Le grand moteur les siecles renouuelle: Pluye sang, laict, famine, fer & peste, Au ciel veu feu, courant longue estincelle.

Auch in unseren Tagen haben sich die Zeichen gezeigt, die gar schlimme Zeiten angekündigten. Flackerte da nicht Beteigeuze, die rechte Lunge im Sternbild Orion? Und war da nicht dieser schreckliche Moment, als die heilende Quelle aus der Öl spendenden Bibel versiegte da in Dalton, der Stadt mit 94 Kirchen und 33 Tausend Einwohnern? Wo sie doch die Visionen von Trump hatten, der mit göttlichen Beistand allen Kugeln und Viren trotzt. Schließlich sind die USA eines der Länder, in denen es kaum "paid sick leave" gibt, was bedeutet, dass man krank auf der Arbeit erscheint.

*** Ja, verglichen mit dem großen Motor Trump sind unsere Politiker von einem anderen Kaliber. Sie geben zu, nicht alles zu wissen und verhindern zu können und bekommen so von unverhoffter Seite Lob: So geht Demokratie, so kommt Vertrauen in die Politik zurück, verkündet die taz. Ein erstaunliches, ein verblüffendes Urteil über den größten Digitalisierungs-Minister aller Zeiten, der dieser Tage mit seinem Patientendaten-Schutzgesetz den Datenschutz von Patientendaten aushebelt. Denn was steht da im "Kleingedruckten": Die elektronische Patientenakte kommt 2021, das Sperren von Daten durch den mündigen Patienten frühestens 2022.

*** Bleiben wir bei diesem Datum: Bei dem Tempo, mit dem sich die britische Anhörung zur Auslieferung von Julian Assange entwickelt, dürfte 2022 ein realistisches Endziel sein. Im Mai oder Juni geht es weiter, bis zum Jahresende. Dann gibt es noch zwei weitere Instanzen nach dem britischen Recht und dann ist da noch der europäische Gerichtshof, der eingeschaltet werden könnte, obwohl Großbritannien gerade von Europa weg driftet. Bis dahin gibt es anrührende Reportagen, aber auch kritische Nachfragen zur Dramatisierung des Falles. Die wirklich wichtige Frage, warum Assange über die gesamte Zeit in einem ihn offenbar deprimierenden Gefängnis bleiben muss und nicht in einer gesünderen Umgebung leben kann, wird nicht gestellt. Ein Aufruf zu seiner sofortigen Freilassung hatte viele prominente Unterzeichner, die durchaus (noch einmal) die Kaution stellen können. Doch ist die Anhörung selbst schon seltsam genug: Ein für die USA auftretender Anwalt kann behaupten, dass Assange durch Veröffentlichungen bei Wikileaks Menschenleben riskiert habe, muss dies aber nicht beweisen. Und die Gegenseite macht eine Buchveröffentlichung von Journalisten für diesen Dammbruch verantwortlich. Vielleicht wird man ja herausfinden, dass der US-Anklage genau 6 Tage Jabber-Material fehlen und auf dieser Basis urteilen.

*** Er war einer der jungen brillanten Mathematiker, die im zweiten Weltkrieg für die britische Luftwaffe Rechenmodelle entwickelte, wie man möglichst effektiv Bombenteppiche über deutsche Städte legte, eine Matheaufgabe, für die er sich Zeit seines Lebens schämte. Ein Thema, das auch diese Wochenschau und meine Leser beschäftigte. Nun ist der Mathematiker und Physiker Freeman Dyson im Alter von 96 Jahren nach einem Unfall in der Cafeteria der Princeton University gestorben. Der nach Amerika ausgewanderte Brite schrieb mit dem Beweis der Äquivalenz der Feynmannschen Quantenelektrodynamik einen der berühmtesten mathematisch-physikalischen Aufsätze. Die Idee zu dem Beweis kam ihm, wie er schrieb, als er mit dem Greyhound-Bus durch die USA tourte.

*** Freeman Dyson hatte viele manchmal richtig abgefahrene Ideen: Als selbst erklärter Umweltschützer wollte er spezielle genetisch modifizierte Carbon-Bäume züchten, die effektiv die Luft säuberten. Mit seinem Sohn George versuchte er, in einem Baumhaus abseits der Zivilisation zu überleben. Als Weltraumpionier untersuchte er zunächst den Nuklearantrieb von Großraketen im Orion-Projekt und schlug dann vor, die Menschheit müsste sich in ausgehöhlten Kometen auf die Reise zu anderen Sternensystemen machen. Intelligentes Leben vermutete er auf Planeten, bei denen weit fortgeschrittene Zivilisationen mit einer selbst gebauten Schutzhülle ihren gesamten Energiebedarf von der jeweiligen Sonne bezogen. Seine letzte wissenschaftliche Veröffentlichung schrieb er im Alter von 88 Jahren über das Gefangenendilemma, seine Autobiographie "Maker of Patterns: An Autobiography Through Letters" schrieb er mit 95 basierend auf den Briefwechseln mit seinen Kindern Esther und George Dyson. "Wenn wir ins Universum hinausblicken und erkennen, wie viele Zufälle in Physik und Astronomie zu unserem Wohle zusammengearbeitet haben, dann scheint es fast, als habe das Universum in gewissem Sinne gewusst, dass wir kommen."

*** Aber natürlich gibt es in diesen schlimmen Zeiten auch gute Zeichen. Dass "There is no evil", ein Film unter anderem darüber, was autoritäre Regime mit den Menschen machen, den Goldenen Bären auf der 70. Berlinale gewonnen hat, ist ein solches. Auch an alle diejenigen hierzulande, die meinen, sich in die guten alten Zeiten zurücksehnen zu müssen.

Wohin wir auch kommen, wir leben jedenfalls in interessanten Zeiten. Mit einem Grundsatzurteil hat das Bundesverfassungsgericht die Menschenwürde gestärkt und mit dem Recht des Menschen auf selbstbestimmtes Sterben erweitert. Das ist ein großer Schritt für eine Gesellschaft, die sich frei macht von christlichen Frömmeleien und jenen Verboten, die Selbstmord mit dem Leben in der Hölle bestraften. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben ist als Akt autonomer Selbstbestimmung nicht auf das sichtbare Lebensende begrenzt. Die Hilfe soll nicht durch Ärzte erfolgen, sondern durch Sterbehilfe-Vereine. Deshalb müssen jetzt Mindeststandards für die Suizidhilfe beschlossen werden, damit kein Schindluder getrieben wird mit dem Exitus.

Ob in Deutschland ein neues Kapitel kollektiver Ethik geschrieben wird, ist noch nicht auszumachen, doch mit dem selbstbestimmten Sterben ist etwas in Gang gekommen, das über das Gerede von abend- und morgenländischen Werten und Religionen hinausgeht. Vielleicht kann man sich mit dieser erlangten Freiheit dem mörderischen Kapitel der Euthanasie widmen, so kurz vor all den Gedenkfeiern zum Todestag von Anne Frank.

(jk)