Über 1000 Demonstranten protestierten gegen den Überwachungsstaat
In Frankfurt setzten Bürgerrechtler ein Zeichen gegen eine "ausufernde Überwachung" und die neuen Bespitzelungspläne aus dem Bundesinnenministerium. Auch grüne und schwarze Politiker zeigten sich besorgt.
In Frankfurt am Main setzten am Samstagnachmittag bei einer Demo nach Angaben der Veranstalter 1500 bis 2000 Bürgerrechtler ein Zeichen gegen eine "ausufernde Überwachung". Die Polizei schätzte die Zahl der Demonstranten auf etwa 1000. Unter dem Motto "Freiheit statt Angst" zogen die Demonstranten durch die Frankfurter Innenstadt und skandierten Sprechchöre wie "Stoppt den Überwachungswahn". Auf Plakaten verglichen sie die Privatsphäre mit Sauerstoff und wehrten sich dagegen, Datenschutz als "Verbrechen" abzustempeln.
Ganz aktuell wendete sich der Protest etwa gegen den heftig umstrittenen Plan von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU), im Rahmen eines neuen Anti-Terrorpakets das Überwachungsnetz deutlich auszubauen und etwa der Polizei einen automatischen Zugriff auf digitale Passbilder und später Fingerabdrücke aus Ausweisdokumenten zu ermöglichen. Weiter sprachen sich die Teilnehmer etwa gegen die im Raum stehende Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten, verdeckte Online-Durchsuchungen, die zunehmende Videoüberwachung öffentlicher Plätze, die Aufzeichnung des Flugreiseverkehrs und einen automatischen Kfz-Kennzeichenabgleich auf öffentlichen Straßen aus.
Zu der Kundgebung hatten unter der Führung des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung mehr als 20 Organisationen und Gruppen aufgerufen, darunter der Chaos Computer Club (CCC), die Grüne Jugend und der Bundesvorstand der Grünen, die Jungen Liberalen, Die Linke sowie Hochschul- und Menschenrechtsvereinigungen. Die Demonstration hatte deutlich mehr Zulauf als die beiden ersten Veranstaltungen dieser Art, an denen sich in Berlin und in Bielefeld im vergangenen Jahr jeweils zwischen 250 und 300 Personen beteiligten. Die momentan geführte hitzige Diskussion über weitere tief greifende Änderungen an der Sicherheitsarchitektur durch die von Schäuble angestrebte Stärkung der präventiven Überwachung dürfte ihren Teil zu dem wachsenden Zuspruch an derartigen öffentlichen Protestbezeugungen beigetragen haben.
Während der Innenminister seinen Kritiker lautes Geschrei aus Unverständnis und mangelnde Kenntnis der Verfassung vorwirft, diese gleichzeitig aber ändern will, droht ihm die Unterstützung in der eigenen Fraktion teilweise wegzubrechen. Zumindest sieht der CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer den CDU-Kollegen auf "einem ganz schmalen Grat" wandeln. Auf der einen Seite stehe "das ausgesprochen hohe Sicherheitsbedürfnis in der deutschen Öffentlichkeit". Auf der anderen Seite "der Schrecken davor, vom Staat bis in die letzte Ecke der Privatsphäre ausleuchtbar zu werden", sagte er der Münchner Abendzeitung.
Er müsse dabei bisweilen an die visionäre Schrift "1984" von George Orwell denken, begab sich Ramsauer für einen CSU-Politiker auf ungewöhnliche Pfade. "Das Erschreckende ist, dass sich die Begründung von heute absolut deckt mit der aus Orwells Roman, nämlich: Sicherheit durch Ausforschen des Bürgers." Es sei sehr genau abzuwägen, wie angemessen die Überwachung sei und aus welchen Anlass die Bürger bespitzelt würden. Er halte es "für zu weitgehend, wenn mit der präventiven Keule aller sicherheitstechnischer Mittel 82 Millionen Deutsche über einen Kamm geschert" würden. Ramsauer warnte: Nicht jeder dürfe "von vornherein" zu einem möglichen Kriminellen und Sicherheitsrisiko abgestempelt werden.
Parallel zu der Frankfurter Kundgebung verabschiedete der Länderrat der Grünen in Bremen den Antrag "Bürgerrechte im digitalen Zeitalter schützen". Während Schäuble gerade versuche, "im Wochentakt mit neuen Vorschlägen Raubbau" an den Grundfreiheiten zu betreiben, fordert die Oppositionspartei unter anderem eine klare Ablehnung sowohl der Vorratsdatenspeicherung als auch der geplanten heimlichen Online-Durchsuchung privater Festplatten auf PCs oder von Speicherplattformen im Internet. Die vorgeschlagenen Erweiterungen der Ermittlungsmethoden "gaukeln eine allumfassende Sicherheit vor, die es nicht geben kann", heißt es zur Begründung. Die Auseinandersetzung mit Terrorismus und organisierter Kriminalität dürfe nicht dazu führen, "dass wir die Errungenschaften des demokratischen Rechtsstaates leichtfertig opfern."
Konkret appellieren die Grünen etwa an die Regierungskoalition, sich prinzipiell von dem von ihr bislang unterstützten Vorhaben zur "umfassenden und verdachtsunabhängigen Totalprotokollierung" der elektronischen Kommunikation der gesamten Bevölkerung zu distanzieren. Eine derartige "Speicherorgie" und weit reichende Registrierung des Verhaltens der Menschen in Deutschland, die über 80 Millionen Bürger unter Generalverdacht stelle, sei inakzeptabel. (Stefan Krempl) / (jk)