Stadtwerke MĂĽnchen versemmeln Stromanbieterwechsel
Wer nicht draufzahlen will, muss ab und an den Energielieferanten wechseln. Das sollte online problemlos funktionieren, geht in MĂĽnchen aber schon mal schief.
- Tim Gerber
Treue zahlt sich aus, aber nicht bei Energielieferanten. Sie locken vielmehr neue Kunden mit Boni und Rabatten, geben sinkende Preise an Bestandskunden aber nur mit Verzögerungen weiter – wenn überhaupt. Wer länger als ein, zwei Jahre beim selben Anbieter bleibt, zahlt drauf. Als der Vertrag bei seinem bisherigen Anbieter ausgelaufen war, suchte Axel K. über ein Vergleichsportal einen neuen Tarif. In seinem Vorort der bayerischen Landeshauptstadt erwiesen sich die Stadtwerke München mit ihrem Tarif "M-Strom" als attraktiv.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmung wird hier ein externer Podcast (Podigee GmbH) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Podigee GmbH) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.
Knapp ĂĽber 30 Cent sollte er dort fĂĽr die Kilowattstunde bezahlen, dazu eine GrundgebĂĽhr von 18,44 Euro im Monat. Bei seinem angenommenen Verbrauch von 2000 Kilowattstunden im Jahr belief sich der monatliche Abschlag auf 77 Euro. Bei Vertragsschluss sollte er einen Sofortbonus von 83,70 Euro sowie einen Neukundenbonus von 125 Euro erhalten.
Am 14. Mai schloss Axel K. über das Portal den Vertrag mit den Stadtwerken München als neuen Lieferanten ab und beauftragte die Stadtwerke zugleich, bei seinem alten Anbieter für ihn zu kündigen. Schon am folgenden Tag erhielt er von den Stadtwerken per E-Mail ein Begrüßungsschreiben, das die wesentlichen Bestandteile des geschlossenen Vertrages nochmals aufführte. Im nächsten Schritt werde man nun seinen alten Vertrag für ihn kündigen. "Sie brauchen nichts weiter zu tun", hieß es gleich zu Beginn des Schreibens in fett hervorgehobenen Lettern.
Schön, dachte sich Axel K., der Wechsel schien reibungslos zu verlaufen. Der Eindruck verfestigte sich, als ihn einen weiteren Tag später die Bestätigung seines aktuellen Stromlieferanten erreichte, dass sein Vertrag dort aufgrund der Kündigung zum 17. Juni ende. Zugleich erhielt er ein weiteres Schreiben der Stadtwerke München, mit dem sie ihm mitteilten, dass er erst ab dem 17. Juni von ihnen beliefert werden könne, da noch sein Vertrag bei seinem bisherigen Versorger laufe. Das war Axel K. bewusst und für ihn auch kein Problem. Der Vertrag sollte ohnehin für 12 Monate ab Lieferbeginn gelten.
Hände in den Schoß
Nun schien für Axel K. alles geklärt und folglich unternahm er in Sachen Stromversorgung guten Gewissens genau das, was sein neuer Anbieter ihm geraten hatte: nichts. Aus diesem Zustand der allgemeinen Zufriedenheit mit dem in Gang gesetzten Anbieterwechsel riss ihn am 13. Juni jäh ein Brief von E.ON. Der Energieriese fungiert in seiner Gegend wie in vielen Gebieten Deutschlands als Grundversorger. Das ist das Unternehmen mit den meisten Stromkunden in einem Netzgebiet. Das Gesetz verpflichtet sogenannte Grundversorger dazu, all jene Haushalte mit Strom zu kontrollierten Bedingungen zu beliefern, die keinen Vertrag auf dem freien Markt haben – aus welchen Gründen auch immer.
Ein Grundversorgungsvertrag kommt nahezu automatisch zustande. Dabei gelten Kündigungsfristen von wenigen Wochen, allerdings kostet die bezogene Energie meist auch deutlich mehr. Über 38 Cent sollte er dort für die Kilowattstunde berappen, gut 8 Cent mehr als bei seinem gewählten Anbieter.
Sofort rief er die Stadtwerke München an und wollte wissen, was das zu bedeuten habe. Man versprach ihm einen Rückruf, aber der kam nicht. Am 17. Juni wiederholte sich das Spiel, der versprochene Rückruf blieb erneut aus. An diesem Tag hätte eigentlich sein neuer Vertrag bei den Stadtwerken beginnen sollen. Da diese auf Anrufe nicht reagierten, schrieb Axel K. am 28. Juni eine E-Mail und bat um Klärung der Sache. Doch auch darauf reagierten die Münchner nicht. Statt ihnen hatte er nun den Grundversorger E.ON an der sprichwörtlichen Backe und den wird man nicht so ohne Weiteres wieder los, wie regelmäßige Leser dieser Rubrik wissen (siehe c’t 7/2023, S. 56).
Am 12. Juli schilderte Axel K. auch der Hotline des Vergleichsportals sein Problem. Von dort hörte er nur, dass sich die "Fachabteilung" melden werde. Davon wenig überzeugt wandte sich der Kunde nunmehr an c’t. Wir sahen uns die Unterlagen an und es lag auf der Hand, dass die Stadtwerke München wohl vertragswidrig gehandelt hatten, indem sie den Kunden offenbar nicht bei seinem örtlichen Netzbetreiber angemeldet hatten. Nachdem sein alter Lieferant dort ordnungsgemäß das Vertragsende hinterlegt hatte und er mangels Meldung durch den neuen Anbieter nun scheinbar ohne Vertrag dastand, wurde Axel K. vom Netzbetreiber an den Grundversorger gemeldet. Diese Vorgänge laufen heutzutage vollautomatisiert ab, da legt kein Mensch mehr Hand an.
Videos by heise
Verbindlicher Vertrag
Der Vertrag war wirksam geschlossen, denn die Stadtwerke hatten ihr Begrüßungsschreiben vom 15. Mai ausdrücklich als "Vertragsbestätigung" bezeichnet. Und den Lieferbeginn hatten sie auch bestätigt. Wir fragten deshalb am 15. Juli bei der Pressestelle der Stadtwerke München an und baten um Auskunft, was im Fall von Axel K. schiefgelaufen sei. Außerdem wollten wir wissen, warum niemand auf seine Anrufe und seine Mail reagiert hatte und was er denn sonst hätte tun müssen, um in den Genuss der vertraglich vereinbarten Belieferung zu kommen.
Am folgenden Tag erhielten wir eine Antwort von einer Sprecherin der Stadtwerke: "Aufgrund eines Missverständnisses in der Kommunikation zwischen den Marktpartnern sei der Lieferantenwechsel bislang nicht zustande gekommen. Die Stadtwerke hätten inzwischen telefonisch Kontakt mit dem Kunden aufgenommen, sich entschuldigt und den Lieferantenwechsel jetzt umgehend eingeleitet. "Als Entgegenkommen" werden die Stadtwerke München einen Ausgleich zu den SWM-Preisen für die kommende Schlussrechnung des Grundversorgers E.ON übernehmen. Dies sei mit dem Kunden ebenfalls besprochen und ihm schriftlich bestätigt worden.
Kurz darauf informierte uns Axel K. ebenfalls und leitete die inzwischen erhaltene E-Mail mit der Bestätigung der getroffenen Vereinbarung weiter. Zum 1. August war der Lieferantenwechsel dann tatsächlich bewerkstelligt. Dass die Stadtwerke ihm später noch die Mehrkosten, die ihm durch die zwei Wochen Grundversorgung entstehen werden, ersetzen wollen, ist jedoch keineswegs ein "Entgegenkommen", sondern schlicht ihre vertragliche Pflicht.
Fehler können überall vorkommen, das dürfte einer der wenigen bis heute unumstrittenen Äußerungen der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel sein. Es komme aber darauf an, dass man sie korrigiert. Doch genau damit hapert es zusehends gerade bei den Energieversorgern. Dass es mit dem Kundenservice bei windigen Zwischenhändlern nicht weit her sein kann, die neben Mobilfunk- und Telefonverträgen auch in Strom machen, wundert niemanden. Aber wenn schon altgediente und solide Stadtwerke wie die der Landeshauptstadt München nicht in der Lage sind, bei berechtigten Vertragsreklamationen wie jener von Axel K. anständigen Kundenservice zu bieten, ist das schon sehr bedenklich.
Bei Anruf Ignoranz
Am Telefon muss man sich erfahrungsgemäß gar nicht erst mühen. Axel K. hätte sofort zur E-Mail greifen und dabei eine eigene Adresse oder die eines Bekannten in Kopie setzen sollen, damit der Schriftwechsel später gut nachvollziehbar ist. Auch sollte man Schreiben an einen Energieversorger stets deutlich und wörtlich als "Verbraucherbeschwerde nach § 111a EnWG" kennzeichnen, am besten gleich im Betreff. Denn das Energiewirtschaftsgesetz schreibt an dieser Stelle vor, dass die Versorger innerhalb von vier Wochen auf solche Beschwerden antworten müssen.
Diese Verfahrensweise ist wichtig, wenn man sich anschlieĂźend an die Bundesnetzagentur oder eine Schlichtungsstelle fĂĽr Energie mit einer Beschwerde wenden muss, weil der Anbieter nicht oder nicht angemessen reagiert hat. Dort werden Beschwerden in aller Regel nur dann angenommen und bearbeitet, wenn man belegen kann, sich bereits erfolglos mit dem betroffenen Unternehmen in Verbindung gesetzt zu haben.
(tig)