Angriff auf das Home Office - Killer für die Produktivität?

Ist Arbeiten im Home Office schlecht für die Produktivität? Das behauptet jedenfalls ein aktueller Zeitungsartikel, der sich auf zwei wissenschaftliche Studien beruft.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Damian Sicking
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Robert Schmitz, Geschäftsführer, Avaya

(Bild: Avaya)

Lieber Avaya-Geschäftsführer Robert Schmitz,

gestern brachte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) einen Beitrag mit der Überschrift "Der Unsinn des Home Office". Um es gleich zu sagen: Unsinn ist in diesem Zusammenhang vor allem eins – die Überschrift. Und dann noch einiges andere, was in dem Artikel behauptet wird, wie zum Beispiel dass das Home Office "gefährlich" sei. Aber eins nach dem anderen.

Die zentrale These des Artikels lautet: Menschen, die allein im Home Office arbeiten, sind weniger produktiv und zeigen schlechtere Arbeitsleistungen als solche, die im Team arbeiten. Dabei stützt sich die Redakteurin auf zwei Experimente, die in wissenschaftlichen Zeitschriften publiziert worden sind. Bei der ersten Studie ließ man Studenten Briefe eintüten. Dabei stellte man fest, dass die Studenten mehr Briefe pro Stunde eintüten, wenn sie zu zweit sind als wenn jeder im stillen Kämmerlein für sich alleine arbeitet. Die Wissenschaftler erklären diesen Befund damit, dass sich der langsamere Student von seinem schnelleren Kollegen anstacheln und motivieren ließ und somit seine Arbeitsleistung erheblich steigerte. Auch die schnelleren Studenten waren im Team produktiver als einzeln, wenn auch nicht so deutlich wie bei den schwächeren Briefeintütlern.

Das zweite Experiment wurde mit Kassierern bzw. Kassiererinnen in einem Supermarkt durchgeführt. Auch hier kam man zu ähnlichen Ergebnissen. Langsamere Kassierer scannten in einem definierten Zeitraum erheblich mehr Ware ein, wenn ein schnellerer Kollege nebenan hockte, als wenn sie an der einzigen Kasse saßen, die gerade im Betrieb war. Interessant: Nur dann arbeiteten die langsameren Kassierer schneller, wenn sie von den leistungssstärkeren Kollegen auch gesehen werden konnten; saßen die langsmeren im Rücken der schnelleren, hatte dies keinen positiven Einfluss auf die Arbeitsleistung der schwächeren Kollegen. Der wesentliche Faktor, der die weniger produktiven Kassierer also zu einer Intensivierung ihrer Anstrengungen antreibt, scheint also die soziale Kontrolle zu sein.

Aus diesen Erkenntnissen leiten die Autoren die totale Ablehnung des Home Office ab. Ich zitiere aus dem FAS-Artikel: "Ein Home Office ist gefährlich. Selbst besonders gute Mitarbeiter werden schlechter, wenn sie nicht mit Kollegen zusammenarbeiten, für besonders schlechte gilt das erst recht. Zudem ist es für alle Mitarbeiter kontraproduktiv, die Motivierten, Schnellen und Effizienten daheim arbeiten zu lassen, denn dann wird das ganze Team schlechter."

Das ist in dieser Pauschalität natürlich Unsinn. Ich will mal davon absehen, dass es doch ein wenig sonderbar anmuten würde, wenn eine Kassiererin ihren Chef fragen würde, ob sie morgen wohl im Home Office arbeiten dürfe. Nein, was bei den hier zitierten Experimenten auffällt, ist natürlich, dass es sich bei den Tätigkeiten um rein quantitative Aufgaben handelt, also von den "Probanden" lediglich gefordert wird, eine einfache und intellektuell anspruchslose Tätigkeit in einem definierten Zeitraum so schnell und so oft wie möglich zu bewältigen. Es macht ja sowohl bei den Studenten als auch bei den Kassierern wenig Sinn zu fragen, ob die Briefe auch qualitativ gut eingetütet bzw. die Artikel qualitativ gut eingescannt wurden. Es handelt sich in beiden Fällen um reine Tätigkeiten, bei denen sich das Ergebnis nur an einem mengenmäßigen Output bemisst, und für solche Arbeiten mögen die Schlussfolgerungen der Wissenschaftler und die Skepsis in Bezug auf das Home Office plausibel sein.

Für alle anderen Aufgaben, die mit einem qualitativen Aspekt verbunden sind, gilt dies aber nicht, zumindest nicht in dieser Pauschalität. Grundsätzlich gilt hier: Je mehr Gehirnschmalz für das Lösen einer Aufgabe erforderlich ist – konzeptionelles und kreatives Arbeiten zum Beispiel –, desto besser eignet sich das Home Office (ablenkungsfreie Arbeitsbedingungen natürlich vorausgesetzt). Oft ist die Frage ja nicht "entweder – oder", sondern "sowohl – als auch". Es kommt auf die Art der Aufgabe, auf die Tätigkeit an, die einen eignen sich für Home Office, andere wiederum nicht. Eine generelle Verteufelung des Home Office ist ein genauso großer Unsinn wie seine Verklärung.

Lieber Herr Schmitz, die Firma Avaya scheint ja ein Spezialist für Fragen rund ums Home Office zu sein. Auf Ihrer Homepage haben Sie sich sogar explizit mit der Frage befasst, wie man die Produktivität der Mitarbeiter im Home Office steigern kann und geben ein paar Antworten darauf. Also wer ist besser geeignet, aus seiner Sicht einen Kommentar zu dem FAS-Artikel zu geben als Sie?

Beste Grüße!

Damian Sicking

Und hier die Antwort von Robert Schmitz.

Weitere Beiträge von Damian Sicking finden Sie im Speakers Corner auf heise resale. ()