Ausgleichende (Un-)Gerechtigkeit

Seite 3: Abmahnungsgefahr!

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Abmahnungsgefahr!

Diese reichlich verschlungen angelegte Regelung sieht für Verkäufer zunächst ziemlich verheißungsvoll aus. Wenn ein Käufer sein Widerrufsrecht ohne Einbußen wahrnehmen will, darf er die Ware zunächst nur prüfen und nicht etwa in normalem Umfang so nutzen, wie es ein Eigentümer sonst tun würde. Eine solche erlaubte Prüfung entspricht dem, was auch in einem Ladengeschäft möglich gewesen wäre.

Im Einzelfall entstehen hier häufig Streitfragen darüber, was noch als Funktionsprüfung gelten kann und was man bereits als "bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme" ansehen muss. Das Aufschneiden einer Blisterversiegelung etwa kann nötig sein, um die Funktion eines gekauften Gegenstands prüfen zu können. Allerdings wird der Händler diesen entsiegelten Gegenstand anschließend nur schwer wieder verkaufen können. Es dürfte für einen Kunden, der sein Widerrufsrecht problemlos wahrnehmen will, also nur dann statthaft sein, eine Präsentationsverpackung irreparabel zu zerstören, wenn das zum Prüfen der Ware wirklich nötig ist.

Auch der Gesetzgeber hat solche Fragen offensichtlich als konfliktträchtig eingeschätzt. Das zeigt der Umstand, dass das Gesetz die Wertersatzpflicht unter anderem an die Bedingung geknüpft hat, dass der Händler seinen Kunden darauf hinweist, wie dieser die Ware prüfen kann, ohne sich wertersatzpflichtig zu machen.

Wenn der Käufer mit seiner Nutzung über eine bloße Funktionsprüfung hinausgeht, muss er beim Widerruf dem Verkäufer den Wertverlust ersetzen, den der Kaufgegenstand erlitten hat.

Für Anbieter bei eBay entpuppt sich diese Regelung bei näherem Hinsehen allerdings als nutzlos: Sie greift nur dann, wenn der Käufer "spätestens bei Vertragsschluss in Textform auf diese Rechtsfolge und eine Möglichkeit hingewiesen worden ist, sie zu vermeiden". Das ist bei Online-Auktionen grundsätzlich unmöglich, da erst zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses – also beim Auktionsende oder beim Druck auf den Sofortkauf-Button – feststeht, wer der Käufer ist. Das Problem besteht darin, dass ein Hinweis auf einer Webseite nicht die gesetzlichen Anforderungen für die "Textform" erfüllt.

Die Konsequenz: eBay-Händler dürften also, wenn ein Käufer sein Widerrufsrecht ausübt, keinen Anspruch auf Wertersatz für die Verschlechterung des Kaufgegenstands als Folge der bestimmungsgemäßen Ingebrauchnahme geltend machen [3].

Einige Gerichte sehen das – mit unterschiedlicher Begründung – anders. Sie billigen auch eBay-Händlern einen Wertersatzanspruch zu [4]. Wer sich jedoch darauf verlässt und in seiner Widerrufsbelehrung darauf hinweist, dass eine solche Wertersatzpflicht besteht, begibt sich in Gefahr: Er riskiert eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung von Konkurrenten, die eine solche Widerrufsbelehrung unter Berufung auf die Gegenansicht für unzutreffend halten.

Es ist dann auch nicht gerade klug, dergleichen Abmahnungen im Vertrauen auf die verkäuferfreundliche Rechtsprechung einiger Gerichte einfach zu ignorieren. Der missgünstige Konkurrent könnte bei einem von ihm passend ausgewählten Gericht eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung erwirken.

Einer solchermaßen absehbaren Niederlage kann man nur dadurch begegnen, dass man nach Erhalt der Abmahnung sofort zum Gegenangriff übergeht und bei einem verkäuferfreundlichen Gericht eine negative Feststellungsklage erhebt – mit dem Antrag, das Gericht möge feststellen, dass der mit der Abmahnung geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht besteht.