Berufsrisiko Jobwechsel

Der Wechsel zu einem neuen Arbeitgeber kann klappen, muss aber nicht. Das gilt für den "normalen" Mitarbeiter, aber auch für Manager. Vor allem wer von einem Industriekonzern in ein inhabergeführtes Unternehmen wechselt, muss sich umstellen.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Damian Sicking

Von EMC zur Bürotex: Thomas Piepenbreier

(Bild: Bürotex)

Lieber Bürotex-Geschäftsführer Thomas Piepenbreier,

Sie haben 21 Jahre in der IT-Industrie gearbeitet, bei amerikanischen Firmen wie Digital Equipment und EMC. Sie haben dort gelernt und Karriere gemacht. Zuletzt hatten Sie als Vertriebsdirektor die Verantwortung für 80 Mitarbeiter und rund 200 Millionen Dollar Umsatz. Seit einem halben Jahr stehen Sie nun beim schwäbischen Systemhaus Bürotex (220 Mitarbeiter, 42 Millionen Euro Umsatz) auf der Payroll. Mit den beiden Bürotex-Gründern Werner Führer und Ulrich Graß bilden Sie die Geschäftsführung und sollen vor allem im Vertrieb Akzente setzen.

Als ich vor einem halben Jahr erfuhr, dass Sie als Industriemanager zum inhabergeführten Systemhaus wechselten, war ich gespannt. Gespannt, ob und wie lange Sie sich in dieser Position halten werden. Denn die Chance zu scheitern, schätzte ich auf mindestens fünfzig zu fünfzig ein. Ein Jobwechsel ist bekanntlich immer mit einem Risiko verbunden. Wie viele Manager, auch "normale" Angestellte, haben für einen neuen, vielversprechenden Job ihren sicheren Arbeitsplatz aufgegeben und sind nach kurzer Zeit grandios gescheitert! In Ihrem Fall, lieber Herr Piepenbreier, kamen noch zwei risikoverstärkende Elemente hinzu: Sie wechselten von einem amerikanischen börsennotierten Unternehmen zu einer schwäbischen inhabergeführten Firma, und sie wechselten von der Industrie in den Handel. Viele, die vor Ihnen Ähnliches versucht hatten, sind gescheitert. Zu groß sind die Unterschiede in nahezu jeder Hinsicht (unter anderem Kultur, Umgang miteinander, Entscheidungsfindung, vor allem auch Umgang mit Geld).

Vor wenigen Tagen habe ich Sie am Firmensitz in Nürtingen besucht. Feststellung eins: Sie sind noch an Bord. Feststellung zwei: Sie sagen, dass Sie damals die richtige Entscheidung getroffen haben ("Ich fühl mich wohl hier."). Sie denken sogar daran, sich in Nürtingen oder Umgebung häuslich niederzulassen. Auch die Gesellschafter und Geschäftsführerkollegen Führer und Graß wollen, dass Sie bleiben. Man spricht bereits über eine Firmenbeteiligung. Kurzum: Offenbar passt es. Einfach nur Glück gehabt? Oder läßt sich etwas daraus lernen?

Im Jahr 2007, erzählten Sie mir bei meinem Besuch, fühlten Sie sich bei Ihrem früherem Arbeitgeber zunehmend unwohl. Aus dem amerikanischen Mutterland wurden Sie mit Entscheidungen und Forderungen konfrontiert, die Sie zum Teil falsch, zum Teil unsinnig fanden. Sie orientierten sich neu und fragten sich vor allem, was Sie wollten. Damals waren Sie 49 Jahre alt, also nicht mehr der Jüngste. Auch ein Aspekt. Eines stand sehr früh für Sie fest: Nach insgesamt 84 Quartalen beim Amerikaner darf es jetzt gerne mal was anderes sein. Am liebsten sein eigener Herr sein, derjenige sein, der die Entscheidungen trifft. In dieser Situation lernten Sie einen Unternehmensberater kennen, der auf Nachfolgeregelungen und Besetzung von Managementpositionen in Familienunternehmen spezialisiert ist. Gemeinsam mit ihm erarbeiteten Sie das Anforderungsprofil Ihres zukünftigen Arbeitgebers sowie der Aufgabe, die Sie dort übernehmen wollten. Anschließend machte sich der Berater auf der Suche nach IT-Firmen in Deutschland, die zu Ihren Vorstellungen passten. Diese schrieb er an und stellte Sie anonymisiert vor. Es kamen 18 Rückläufer interessierter Firmen, immerhin zehn von ihnen haben Sie besucht, mit sechs führten Sie intensive Gespräche. Der gesamte Prozess bis zur Entscheidung dauerte etwa ein halbes Jahr.

Mit Bürotex-Chef Führer haben Sie sich acht- bis zehnmal zu mal kürzeren, mal längeren Gesprächen getroffen. Schnell spürten Sie, dass die Chemie zwischen Ihnen stimmte. Irgendwann haben Sie beide festgestellt, dass es klappen könnte und gingen das Wagnis ein. Denn ein Risiko war es ja nicht nur für Sie, sondern auch für Firmenchef Führer. Vor allem, weil Sie vom Systemhausgeschäft bis dato – sagen wir es offen – null Ahnung hatten. In Ihrem "früheren Leben" haben Sie sich sogar ab und zu gefragt, wozu man ein Systemhaus überhaupt braucht.

"Wenn Sie als Manager von der Industrie in ein inhabergeführtes Unternehmen wechseln, dann müssen Sie sich im Kopf völlig neu einstellen", sagten Sie mir. Es sind "zwei unterschiedliche Welten". Nicht eine bessere und eine schlechtere, sondern einfach substanziell unterschiedliche Welten. Einer der größten Unterschiede ist der Umgang mit Geld. Bildlich gesprochen kann man sagen: In einem Konzern wird das für eine Neuanschaffung benötigte Geld von einem Bankkonto abgebucht, in einem inhabergeführten Betrieb erhält man es aus dem Portemonnaie des Chefs. Und wenn dieser Chef auch noch Schwabe ist ... Weitere Unterschiede: Entscheidungen werden schneller getroffen und umgesetzt (oft aus dem Bauch heraus ohne vorherige Wenn-Dann-Szenarien und "Präszionsanalysen"), es gibt weniger Reporting und Controlling, weniger Hierarchien (was nicht nur Vorteile hat), eine größere Identifizierung der Mitarbeiter mit dem Unternehmen, mehr Flexibilität. Ein weiterer wichtiger Unterschied in Bezug auf das Management: Die Manager müssen nicht nur strategisch, sondern auch operativ in Erscheinung treten und dafür sorgen, dass ihre Ideen umgesetzt werden (nicht selten müssen sie es selbst tun). Manager, deren Kernkompetenz darin besteht, gut delegieren zu können, werden sich schwertun.

Sie, lieber Herr Piepenbreier, hatten das Glück, dass Sie von Ihrem Unternehmensberater auf diese fundamentale Unterschiede zwischen einem Konzern und einem mittelständischen inhabergeführten Unternehmen vorbereitet worden sind und bereit und willens waren, diese Herausforderung anzunehmen. Ich denke, dass dies ein ganz wichtiger Aspekt ist, damit so etwas funktioniert. Sie sprachen in unserem Gespräch von dem "Erwartungshaltungsmanagement". Das heißt ganz wesentlich, nicht nur seine Erwartungen zu kennen, sondern auch möglichst genau in Erfahrung zu bringen, was einen in seinem neuen Job erwartet. Dafür braucht man Zeit, und zwar vor allem, bevor man die Unterschrift unter den Anstellungsvertrag setzt. Auch hier gilt: "Preparation is 90 per cent of the success!" Es hat den Anschein, dass dieses Erwartungshaltungsmanagement bei Ihnen und den Bürotex-Gesellschaftern gut funktioniert hat.

Weiterhin viel Glück und viel Erfolg!

Beste Grüße

Damian Sicking

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