"Der Kampf um Marktanteile überdeckt bisweilen den kaufmännischen Verstand"

Um unnötige Retouren zu vermeiden, sind Onlinehändler genauso gefragt wie der Gesetzgeber. Denn Verbraucherschutz und die "Ich bin doch nicht blöd"-Mentalität mancher Kunden haben erst zu den Retouren-Exzessen geführt – nach dem Motto: Kauf auf Probe.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Matthias Parbel

Michael Gerke, COO der 004 Beratungs- und Dienstleistungs GmbH

(Bild: 004)

Hallo Herr Sicking,

vielen Dank für den launischen Text zu den Retouren im Onlinehandel, der mich natürlich zu einer Antwort herausfordert. Als Ghostwriter für eCommerce haben wir ja nicht nur die Rücksendungen unserer Kundenshops in der Abwicklung, wir sind mit der Vertixx GmbH auch im Resale-Geschäft dabei, die Retouren zu verwerten, um die Abschriften für unsere Kunden möglichst klein zu halten.

In Kürze: Ja ich stimme zu, bisweilen sind Bilder und Beschreibungen unzureichend für manchen Kunden, so dass die Retoure in der Tat durch eine vom Ist abweichende Erwartungshaltung des Kunden zustande kommt. Da können wir Online-Anbieter alle zusammen noch lernen. Aber es handelt sich in unserer Branche um homogene Güter, die von den einschlägigen Magazinen oft mit Testberichten versehen wurden. Daher haben die Kunden in der Regel ein sehr klares Bild von dem was sie kaufen und was sie als Lieferung erwarten können.

Die Frage ist aber auch die nach der wirtschaftlichen Seite der Aktivitäten. Im CE- und ITK-Umfeld handeln wir mit Ware mit relativ kurzen Lebenszyklen, dort ist es (eingedenk der Margen) oft wirtschaftlich nur schwer vertretbar, über die Daten des Herstellers oder der Datendienstleister hinaus noch selbst mit Bildern und Texten zu ergänzen, um das Einkaufserlebnis und die Entscheidungsqualität zu verbessern. Die Retourenquoten durch die Abweichung vom Ist lässt sich in diesen Fällen in der Regel verschmerzen. Zum problematischen Teil der IT-Retouren komme ich aber noch.

Bei Fashion, insbesondere bei Schuhen, ist die Retourenquote natürlich zu einem großen Teil der Passform geschuldet, da die Artikel trotz besten Willens der Kunden nicht passen. Hier kommt verschärfend hinzu, dass preisaggressive Anbieter häufig bei unterschiedlichen Dienstleistern fertigen lassen, so dass der Schuh des Herstellers X in Größe 37 ganz anders ausfällt als das letzte Modell, was in derselben Größe ohne Problem passte. Dazu kommt, dass Farbigkeit und deren Wirkung am Körper ebenfalls stark variieren. Diese Probleme kennen wir in der IT-Branche (noch) nicht. Im Gegenzug muss man aber auch festhalten, dass die Margen dieser Branchen gegenüber den Usancen in der IT auch höhere Retourenquoten kalkulatorisch beherrschbar erscheinen lassen. Außerdem ist das Passform Problem so alt wie der Versandhandel und grundsätzlich beherrschbar, der Marktaustritt von Quelle und Neckermann lag jedenfalls nicht darin begründet.

Die Wirkung der Kleidungsstücke und Schuhe in Kombination kann online sogar viel besser als früher im Katalog bedient werden, mit virtuellen Umkleidekabinen wie z.B. 004 Outfit4me, wo die Wechselwirkung der Artikel gut abgestimmt werden kann. Aber grundsätzlich glaube ich schon einen Trend der seriösen und "großen" Anbieter zu erkennen, nicht wie Sie schildern marktschreierisch eine tolle Darstellung zu einem lausigen Produkt zu geben und zu hoffen, der Kunde ist zu faul zur Retoure. Dagegen spricht, dass wir erstens alle gelernt haben, der Kunde ist eben nicht zu faul zum Retournieren und zweitens alle großen Anbieter wissen, dass derlei "Rosstäuscherei" durch die Shop- und Produktbewertungen der Kunden sofort abgestraft wird.

Kein seriöser Anbieter betreibt über Jahre teures Marketing, damit ihm dann die Bewertungen der Produktqualität um die Ohren fliegen. Man sieht ja schon, dass selbst die Bezahlung zu möglicherweise unpassenden Branchentarifen in Logistik-Abteilungen zum Shitstorm der Kunden führen kann. Den TV-Verkauf von Dingen, die die Welt nicht braucht, lasse ich dabei bewusst außer Acht.

Das Problem bei den Retouren egal welcher Warengruppe liegt in einer sich verbreitenden "Ich bin doch nicht blöd"-Mentalität mancher Kunden. Der gesellschaftliche Sittenverfall wird ja vorgelebt, wenn Fußball-Vorbilder Steuern hinterziehen und gierige "Boni-Banker" sich zu Lasten des Steuersäckels bereichern. Dann kann ich als Kunde in dem anonymen Online-Geschäft ja zumindest meine Rechte exzessiv ausleben. Da wird dann gern das Rückgaberecht zu einem "Kauf auf Probe" umgedeutet; man bestellt nicht nur 3 Farben in je 2 Größen, sondern auch Artikel, deren Kauf eigentlich gar nicht beabsichtigt ist, um sie sich "mal anzuschauen", Fracht inkl. Rücksendung zahlt ja der Verkäufer. Aus dem berechtigten und nachvollziehbaren gesetzgeberischen Interesse, den Distanzhandelskunden so zu stellen wie den im Ladengeschäft, haben sich Überregulierungen herausgebildet, die den Distanzhandel gegenüber dem stationären Handel benachteiligen.

Im stationären Handel kommt niemand auf die Idee, eine Zahnbürste oder Rasierer aus dem Karton zu nehmen, auszuprobieren und bei Nichtgefallen wieder in den Karton zu stecken – bei den Ausstellungsstücken verursacht allein der Gedanke daran schon Ekel. Im Versandhandel erhält der Lieferant aber den Rasierer inkl. umfangreicher DNA-Proben zurück, genau wie bei Zahnbürsten, Druckern, die schon ganze Diplomarbeiten erzeugt haben, und vielem mehr. Hier wirkt die Anonymität des Internets enthemmend, man muss ja mit dem "zugerichteten" Zeug nicht einem leibhaftigen Verkäufer gegenüber treten und sich schämen.

Hier wird man beobachten müssen, ob die anstehenden gesetzlichen Änderungen zu Frachtgebühren in der Lage sind, diese Entwicklung zurückzudrängen. Aber Jammern über den Sittenverfall greift natürlich zu kurz. Wenn ein Fashion-Händler zu exzessiven Retouren mit "Schrei vor Glück oder schick's zurück" auch noch einlädt, dann gewinnt man bisweilen schon den Eindruck, dass der Kampf um Marktanteile den kaufmännischen Verstand bisweilen überdeckt (der zweite Halbsatz ist nach ca. 6 Wochen aus der Werbung verschwunden) und man versteht die hämische Freude der stationären Kollegen und ihren Wunsch, die Retourenquoten im Onlinehandel mögen nur reichlich weiter steigen.

Mit besten Grüßen
Michael Gerke
COO 004 (map)