Lücken im System

Seite 4: Kurzer Dienstweg

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Der Gesetzgeber sieht die Abmahnung als wichtiges Instrument vor, um einen funktionierenden Rechtsstaat zu gewährleisten. Sie soll helfen, kleine Rechtsstreitigkeiten auszuräumen, ohne die Gerichte zu bemühen. Abmahnen kann jeder, der durch die Handlung eines anderen seine Rechte verletzt sieht. Anlässe sind etwa eine falsche Preisangabe durch einen Wettbewerber, im Urheberrecht die unerlaubte Nutzung eines Werks, im Äußerungsrecht eine falsche Tatsachenbehauptung, im Markenrecht die ungenehmigte Nutzung eines geschützten Begriffs. Die Abmahnung soll quasi auf kurzem Dienstweg dafür sorgen, dass die vermutete Rechtsverletzung aufhört. In aller Regel wird der Abgemahnte aufgefordert, eine Unterlassungserklärung zu unterzeichnen. Damit diese Erklärung kein stumpfes Schwert ist, wird sie mit einer Strafandrohung "bewehrt". Verstößt der Abgemahnte gegen die von ihm unterzeichnete Erklärung, wird die darin genannte Geldstrafe wirksam (siehe Artikel Gegenwehr). Der neuralgische Punkt bei Abmahnungen sind die damit verbundenen Kosten. Der Abmahnung muss eine sorgfältige Prüfung vorausgehen, wenn der Abmahnende selbst sich nicht ins Unrecht setzen und dem Risiko teurer juristischer Abwehrmaßnahmen aussetzen will. Dazu braucht er juristischen Beistand. Dennoch gilt nach gängiger Rechtsprechung: Verschicken Rechtsabteilungen von Unternehmen derlei Schreiben, fällt allenfalls eine geringe Aufwandspauschale für den Empfänger an. Gebühren muss er nur erstatten, wenn die Gegenseite einen externen Rechtsanwalt beauftragt. Berechnet werden die Kosten nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG). Es spielt also keine Rolle, ob der Abmahner seinem Anwalt sehr teure Stundensätze bezahlt, dies betrifft lediglich das Innenverhältnis zwischen Anwalt und Mandant. Doch bietet der Vergütungsrahmen so viel Spielraum, dass er zu Missbrauch geradezu einlädt, denn die Erstattungssumme leitet sich aus dem Streitwert ab. Eigentlich soll dieser Streit- oder Gegenstandswert den potenziellen Schaden abbilden, der durch die Rechtsverletzung entstehen könnte. In der Praxis geben Anwälte oft völlig irrwitzige Summen an, um ihre Honorare in die Höhe zu treiben. Die Vergütungstabelle macht deutlich, warum: Im zu Beginn des Artikels genannten Fall Mario Alka beispielsweise dürfte der Streitwert realistisch betrachtet allenfalls bei 7000 Euro liegen. Daraus ergäbe sich laut RVG-Tabelle ein Anwaltshonorar von 375 Euro netto. Hinzu käme noch ein Zuschlag, falls die Anwältin erheblichen Aufwand gehabt hätte. Sie kommt auf die erwähnten 1099 Euro, indem sie 33.000 Euro ansetzt und erhöhten Aufwand geltend macht. Diese Form der Selbstbedienung, die bei Betroffenen nicht selten als Element einer verfassungswidrigen privaten Strafjustiz empfunden wird, ist die Regel: Streitwerte von 25.000 bis zu 100.000 Euro sind bei Online-Rechtsverstößen gang und gäbe und werden von eingeschüchterten Abgemahnten nur selten angefochten.