Lücken im System

Seite 5: Zypries setzt halbherzig auf Kostendeckelung

Inhaltsverzeichnis

Bundesjustizministerin Zypries: "Manche Rechtsanwälte operieren mit Phantasiezahlen."

Mittlerweile sind Verbraucherbeschwerden zu überteuerten Abmahngebühren auch bei Bundesjustizministerin Brigitte Zypries angekommen. Am 26. Mai las sie beim deutschen Anwaltstag in Köln dem versammelten Berufsstand die Leviten. Zwar halte sie es mit dem chinesischen Sprichwort: "Um eines wurmstichigen Stückes willen werfe niemals den ganzen Stamm weg." Aber es könne nicht akzeptiert werden, dass beispielsweise ein 15-jähriges Mädchen, das ein Foto seiner Lieblings-Popgruppe auf seiner Homepage eingestellt hat, eine vierstellige Anwaltsrechnung erhalte, tönte die Ministerin publikumswirksam. Zypries kündigte eine geplante Gesetzesänderung bei der Streitwertfestlegung an. Diese "Deckelung" soll aber, so sie denn überhaupt umgesetzt wird, nur für geringfügige Urheberrechtsverstöße gelten. In anderen Rechtsbereichen, etwa im bei Massenabmahnern besonders beliebten Markenrecht, bleibt also voraussichtlich alles wie gehabt. Gegenüber c't erläutert sie ihren Vorschlag:

c't: 1000 Euro Gebühr oder mehr für einen kleinen Rechtsverstoß. Übertreiben die Anwälte nicht bei der Festsetzung des Streitwerts, um mehr Gebühren kassieren zu können?

Zypries: Schon nach geltendem Recht dürfen Anwälte für Abmahnungen nicht beliebig hohe Gegenstandswerte festsetzen, um dann entsprechend hohe Gebührenrechnungen zu schreiben. Nach Paragraph 12 Abs. 4 UWG müssen die Bedeutung der Sache und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Abgemahnten berücksichtigt werden.

c't: Der juristische Laie ist aber doch schon allein mit der Einschätzung von Gegenstandswerten überfordert.

Zypries: Wenn jemand eine Rechnung mit sehr hohen Anwaltsgebühren bekommt und sie für ungerechtfertigt hält, dann sollte er nicht bezahlen, sondern sich dagegen wehren. Konkret: Er sollte sich entweder an einen Anwalt oder an die Verbraucherzentralen wenden. Notfalls müssen dann die Gerichte die Rechnung überprüfen.

c't: Dennoch werden überzogene Gegenstandswerte von Gerichten oft akzeptiert, weil die Vergleichbarkeit fehlt.

Zypries: Wir haben Hinweise darauf, dass manche Rechtsanwälte mit Phantasiezahlen operieren. In letzter Zeit wenden sich immer mehr Privatleute an mich, die für die einmalige Verletzung eines Urheberrechts eine Abmahnung mit einer zuweilen sogar vierstelligen Anwaltsrechnung ins Haus geschickt bekommen - zum Beispiel weil sie unberechtigt einen Stadtplanausschnitt auf ihrer Webseite verwendet haben. So etwas ist natürlich nicht akzeptabel. Deshalb wollen wir bei nichtgewerblichen Urheberrechtsverletzungen eine Regelung vorsehen, die bei einfachen Fällen mit einer nur unerheblichen Rechtsverletzung nicht mehr als 50 bis 100 Euro für Abmahnung und Anwalt nach sich zieht.

c't: In welchem Gesetz könnte eine solche Regelung stehen?

Zypries: Die Begrenzung werden wir wahrscheinlich im "Zweiten Korb" verankern, also der anstehenden Reform des Urheberrechts, die demnächst im Deutschen Bundestag beraten wird.

c't: Im britischen Rechtssystem muss die erste Abmahnung für den Empfänger kostenfrei sein. Wäre das nicht auch hierzulande eine Alternative?

Zypries: Das glaube ich nicht. Wenn es darum geht, durch Rechtsverletzungen in großem Stil Geld zu verdienen, müssen sich die Geschädigten selbstverständlich dagegen wehren können - auch mit einer Abmahnung. Warum sollte jemand, dessen Rechte verletzt sind, dann auf den Kosten für die erste Abmahnung sitzen bleiben?

c't: Suchmaschinen erlauben das Aufspüren von Rechtsverstößen in Sekundenschnelle. Diese Recherchemöglichkeit eröffnete Massenabmahnern ein lukratives Betätigungsfeld. Lässt sich dem ein Riegel vorschieben?

Zypries: Sie haben Recht: Im Internet lassen sich Rechtsverstöße leichter finden als beispielsweise in Printmedien. Das heißt aber doch nicht, dass diese Rechtsverstöße weniger gravierend wären und nicht verfolgt werden dürften. Wenn jemand 1000 Verstöße gegen sein Recht feststellt, soll er auch in jedem Einzelfall dagegen vorgehen können. Privatpersonen werden mit Abmahnungen ohnehin meist nur überzogen, wenn sie im Internet rechtswidrig Inhalte anbieten. Der passive Internet-Nutzer dagegen ist kaum Ziel von Abmahnern. (map)