Programmierte Erfindungen

Ist ein Serverprogramm, das je nach Anforderung eines Anwenders maß geschneiderte Webseiten ausspuckt, eine patentfähige Erfindung? Nach den deutschen und europäischen Bestimmungen eigentlich nicht. Aber ein System, welches automatisch die notwendigen Anpassungen erledigt, damit auch schwachbrüstige Zwerg-Server auf dieselben Anforderungen hin die passenden aktiven Webinhalte liefern können? Hier gibt es kein grundsätzliches Patenthindernis, sagt der Bundesgerichtshof. Software-Patentierung ist eines der ergiebigsten Streitthemen unter Patentrechtlern und Softwareentwicklern – und wird dies wohl auch auf absehbare Zeit bleiben.

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Von
  • Georg Schnurer

Deutsches und europäisches Patentrecht weisen mit identischem Wortlaut einen Patentierungsausschluss für Softwareprogramme auf. Danach gelten Programme für Datenverarbeitungsanlagen „als solche“ nicht als patentfähige Erfindungen. An dieser auf den ersten Blick ganz übersichtlich erscheinenden Vorschrift – und natürlich an deren Umsetzung im Rahmen der Patentierungspraxis – hat sich eine bereits viele Jahre dauernde, heftige Debatte entzündet.

Daniel Düsentrieb wird digital

Der erwähnten Formulierung lässt sich der gesetzgeberische Wille entnehmen, dass es für Software keinen unbeschränkten Zugang zum Patentschutz geben soll: Dieser Schutz ist für technische Problemlösungen bestimmt. Die gedankliche Leistung eines Programmierers zählt nicht als technische Leistung, also gibt es für Computerprogramme kein Patent.

Software ist allerdings immer auf Hardware angewiesen, um irgend etwas vollbringen zu können. Ein Computer, auf dem ein Programm läuft, ist nun wieder ein technischer Gegenstand. Er unterliegt also, anders als die Software, keinem Patentierungsausschluss. Was passiert, wenn in einem Patentanspruch neben dem Computer auch die Software erwähnt ist, wenn also die zum Patent angemeldete Lösung den Computer und ein spezielles Programm umfasst, das darauf läuft?

Wenn das Vorhandensein des Computers bereits genügen würde, um der ganzen Sache einen technischen Charakter und somit Patentfähigkeit zu verleihen, wäre es sehr leicht, die gesetzliche Schranke zu überwinden. Der Patentierungsausschluss wäre praktisch bedeutungslos. Das aber, so ein verbreiteter Rechtsstandpunkt, kann nicht sein: Wenn im Gesetz etwas von einem Patentierungsausschluss für Software steht, muss es so angewendet werden, dass es sich in der Praxis auch auswirkt.

Der Erfindung angemessen

Ein Programm, welches die Wetter - vorhersage von einer Website ausliest, kann nicht als patentfähige Erfindung gelten. Wenn dieses Programm aber mit einem Spezialdisplay abseits des PC kombiniert ist und bewirkt, dass Exzerpte der ausgelesenen Wetterdaten auf diesem ständig sichtbar sind, so wird einer solchen Erfindung ein Patentschutz grundsätzlich nicht verwehrt.

Die einschränkende Formulierung, dass Programme nur „als solche“ vom Patentschutz ausgeschlossen sind, macht andererseits klar, dass der Gesetzgeber nicht die Absicht hatte, alles, was in irgendeiner Form mit Software zu tun hat, von einer Patentierung auszuschließen. Wird beispielsweise die Steuerung eines Motors so verbessert, dass sich der Abgasausstoß vermindert, so liegt dem in vielen Fällen eine patentfähige Erfindung zugrunde. Tatsächlich kann es aber sein, dass der Motor, der gemäß der Erfindung betrieben wird, sich nur durch die geänderte Motorsteuerung, also im Grunde eine geänderte Software, von einem bisherigen Modell unterscheidet. Dass auf eine solche Erfindung trotz des Softwarebezugs ein Patent erteilt werden kann, ist allgemein anerkannt.

Es stellt sich allerdings die Frage, in welcher Form der Patentschutz für softwarebezogene Erfindungen dieser Art gewährt werden soll. Würde man den Patentschutz nur für die Kombination aus Motor und Steuerung geben, so wäre die Steuerung für sich genommen nicht direkt erfasst. Es könnten also Chips mit der neuen Steuerung verkauft und für die Nachrüstung bestehender Motoren genutzt werden. Der Lieferant des Chips würde am wirtschaftlichen Nutzen der Erfindung teilhaben, ohne dass der Erfinder etwas davon hätte.

Das wiederum entspricht nicht dem Wesen des Patentrechts. Dieses beruht auf dem Gedanken, dass ein Erfinder, der seine Erfindung der Öffentlichkeit zugänglich macht, im Gegenzug für einen begrenzten Zeitraum als einziger den wirtschaftlichen Nutzen daraus ziehen soll.

Praxis in Europa

Beim Europäischen Patentamt (EPA) hat die Beschäftigung mit der Patentierbarkeit von softwarebezogenen Erfindungen lange Tradition. Anfangs war es gängige Auffassung, dass die Frage nach dem technischen Charakter einer Kombination aus Software und Computer nicht pauschal beantwortet werden könne. Es müsse betrachtet werden, wo der „Kern der Erfindung“ liege. Sobald die Software diesen Kern ausmache, fehle es an technischem Charakter. Die Kombination aus einem bekannten Computer und einer neuen Software fällt bei diesem Verständnis offensichtlich unter den Patentierungsausschluss.

Die Praxis hat allerdings gezeigt, dass sich die Frage nach dem „Kern der Erfindung“ häufig erst nach einem Vergleich mit dem Stand der Technik beantworten lässt. Je nachdem, was bereits bekannt ist, kann der „Kern der Erfindung“ unterschiedlich verortet werden. Das widerspricht der Systematik des Gesetzes. Auf der Prüfungsebene der Patentierungsausschlüsse muss aus der Erfindung selbst heraus ersichtlich sein, ob es sich um Software „als solche“ handelt oder nicht.

Ein jüngerer Ansatz lässt deswegen jegliche Betrachtungen zum „Kern der Erfindung“ außen vor. Anstatt das Problem allein auf der Ebene der Patentierungsausschlüsse zu betrachten, nimmt man die Voraussetzungen einer Patenterteilung insgesamt in den Blick. Dabei kommt eine zweite wichtige Prüfungsebene ins Spiel – hierbei geht es darum, dass eine erfinderische Leistung erforderlich ist: Ein technisches Problem muss auf eine Weise gelöst worden sein, die für den Fachmann nicht offensichtlich ist. Bei der Prüfung erfinderischer Tätigkeit wird zwangsläufig ein Vergleich mit dem Stand der Technik durchgeführt, so dass automatisch die Information abfällt, welchen Beitrag die Erfindung zum Stand der Technik leistet.

Wenn auf Software „als solche“ mangels erfinderischer Tätigkeit kein Patent erteilt werden kann, ist es nach Auffassung des EPA nicht erforderlich, weitere Hürden auf der Ebene der Patentierungsausschlüsse aufzustellen.

Dort reicht es dann aber folgerichtig aus, wenn im Patentanspruch irgendein technischer Gegenstand erwähnt ist. Ob dieser neu ist oder bereits vorher bekannt war, spielt keine Rolle. Der bloße Patentierungsausschluss ließe sich folglich durch die Erwähnung eines gewöhnlichen Computers im Patentanspruch überwinden.

Diese Schlussfolgerung hat dem EPA den Vorwurf eingebracht, bei Softwarepatenten zu großzügig zu sein. Wenn man die Betrachtung nicht auf die Prüfungsebene der Patentierungsausschlüsse beschränkt, sondern das Konzept des EPA insgesamt betrachtet, wird jedoch deutlich, dass der Vorwurf zu kurz greift: Software „als solche“ wird auf einer anderen Prüfungsebene zwangsläufig aussortiert – nämlich dort, wo es um die erfinderische Tätigkeit geht.

Das Konzept des EPA hat den Vorzug, dass eine softwarebezogene Erfindung – wenn sie denn technischen Charakter aufweist – in allen ihren Ausprägungen geschützt werden kann. Im genannten Beispiel wird der Erfinder also nicht auf einen Patentschutz für die Kombination aus Motor und Steuerung verwiesen, sondern ihm steht der Schutz auch für die Motorsteuerung allein zu.

Grundsatzentscheidung

Viele intelligente Alltagsgeräte enthalten sogenannte Embedded- Systeme. Einen Weg, wie man solche integrierten Rechnerchen mit eingeschränkten Ressourcen dazu überreden kann, als Mini-Server dynamische Dokumente auf Grundlage standardmäßiger Vorlagen zu produzieren, will Siemens sich patentieren lassen.

Beim EPA läuft unter dem Stichwort „Raising the Bar“ seit einiger Zeit eine Initiative, für die Erteilung von Patenten höhere Hürden zu setzen. Im Zuge dieser Initiative hat die Präsidentin des Amts die Frage aufgeworfen, ob der Patentierungsausschluss für Software „als solche“ in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern hinreichendes Gewicht habe.

Da die Präsidentin nicht direkt auf die Rechtsprechung der Beschwerdekammern einwirken kann, versuchte sie es auf einem Umweg. Sie analysierte die Entscheidungen der Kammern und nahm vermeintliche Widersprüche zum Anlass, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung in Frage zu stellen. Damit verschaffte sie sich einen Grund, die Große Beschwerdekammer anzurufen und um Klärung zu bitten. Sie legte vier Fragen vor, deren Formulierung darauf hinweist, dass die Fragestellerin eine strengere Linie gegenüber Softwarepatenten befürwortet.

Die Große Beschwerdekammer folgte der EPA-Präsidentin jedoch nicht, sondern bestätigte in vollem Umfang die bisherige Linie. Sie kam zu dem Ergebnis, dass keine Uneinheitlichkeit in der Rechtsprechung vorliege. Die vermeintlichen Widersprüche seien lediglich einer normalen Weiterentwicklung der Rechtsprechung geschuldet.

Es bleibt also dabei, dass der Patentierungsausschluss leicht überwunden werden kann und dass die eigentliche Hürde auf der Prüfungsebene der erfinderischen Tätigkeit liegt, wo ein technischer Beitrag der Software gefordert wird. Bei der Frage, was man sich darunter genau vorzustellen hat, bleibt die Große Beschwerdekammer bewusst vage. Sie stellt lediglich fest, dass etwa eine Tasse – da sie Flüssigkeit transportieren kann – ein technischer Gegenstand ist. Ein Patentanspruch auf eine Tasse würde also keinem Patentierungsausschluss unterliegen.

Dennoch würde darauf kein Patent erteilt werden: Tassen sind bekannt. Verändert man die Tasse etwa durch den Aufdruck eines Bilds, erhält man möglicherweise eine Variante, die zuvor noch nicht bekannt gewesen ist. Ein Patent wird dafür trotzdem nicht erteilt, weil das geänderte Bild keinen technischen Beitrag leistet, es also nach wie vor an erfinderischer Tätigkeit mangelt. Im Übrigen ist die Große Beschwerdekammer der Auffassung, dass es ihr nicht zustehe, der Rechtsprechung in Bezug auf die Definition des Begriffs „Technik“ vorzugreifen.

Bundesgerichtshof schließt sich an

Kaum drei Wochen vor der Stellungnahme der Großen Beschwerdekammer äußerte sich der in letzter Instanz für das deutsche Patentrecht zuständige Bundesgerichtshof (BGH) am 22. April zu Softwarepatenten – eine Entscheidung, die seither heiß diskutiert worden ist. Der konkrete Anlass war die Rechtsbeschwerde, die Siemens gegen einen Beschluss des Bundespatentgerichts zur Ablehnung der Patentanmeldung DE 10232674 durch das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA) eingelegt hatte.

Der enge zeitliche Zusammenhang dürfte kein Zufall sein, sondern lässt darauf schließen, dass es eine Abstimmung zwischen dem BGH und der Großen Beschwerdekammer gegeben hat. Mit seiner Entscheidung schwenkte der BGH auf die Linie des Europäischen Patentamts ein. Damit ist nun auch für deutsche Patente klar, dass der Patentierungsausschluss leicht zu überwinden ist und dass auf der Ebene der erfinderischen Tätigkeit ein technischer Beitrag der Software gefordert ist.

Eine Tasse diente der Großen Beschwerdekammer als Beispiel, um verschiedene Prüfungsebenen für die Patentfähigkeit zu verdeutlichen. Als bloßer Gegenstand ist sie bekannt und somit nicht neu, als vielleicht neue Variante in kreativer Abwandlung ist sie zumindest nicht das Ergebnis erfinderischer Tätigkeit.

Der konkrete Fall, der dem BGH vorlag, betraf ein System zur „dynamischen Erzeugung strukturierter Dokumente“. Dieses soll beim Bearbeiten von Anwenderanforderungen eine Anpassung vornehmen und es so erlauben, auf Geräten mit eingeschränkter Leistung dieselben Vorlagen zu verwenden, die auch auf voll ausgestatteten Servern zum Einsatz kommen würden. Das klingt kompliziert und ist es auch.

In vielen Fällen ist es in einer Struktur aus Server und Clients sinnvoll oder sogar notwendig, dass der Server nicht nur vorgefertigtes Material bereithält, sondern das zu Liefernde abhängig von der jeweiligen Client-Anfrage dynamisch erzeugt. Das kann beispielsweise Datenbankausgaben betreffen. Um Webinhalte dynamisch zu erzeugen, gibt es verschiedene Techniken – von DHTML über Active Server Pages (ASP) und diverse Skriptsprachen wie Perl bis hin zum Einsatz von Java-Applets. Ein geeigneter Weg sind auch Java Server Pages (JSP). Bei der dynamischen Dokumenterzeugung legt der Server eine Basisstruktur zugrunde, die er einer Vorlage entnimmt. Um aufgrund der Vorlage und der Client-Anfragen die passenden Ergebnisse zu liefern, muss der Server über entsprechende Ressourcen verfügen. Wenn man etwa mit JSP arbeitet, ist eine Java-Laufzeitumgebung (Virtual Machine) erforderlich.

Sollen als Server allerdings Geräte dienen, die nur über geringe Ressourcen verfügen, wird die Sache schwierig. Denkbar wäre beispielsweise ein medizinisches Mess-Implantat, das auf Anfrage über Messverläufe in Form von dynamischen Webseiten Auskunft gibt. Bei solchen Geräten handelt es sich in der Regel um Embedded-Systeme, deren Rechenleistung und Speicherausstattung stark eingeschränkt ist.

Wenn der Mini-Server zu schwachbrüstig ist, um auf Grundlage einer vorliegenden Dokumenten-Basisstruktur das Gewünschte zu produzieren, könnte man ihm für seine Verhältnisse maßgeschneiderte Basisstrukturen spendieren – also proprietäre Vorlagen verwenden. Sollen dagegen einheitliche, serverunabhängige Vorlagen zum Einsatz kommen, braucht man eine Art Skalierer. Genau hier setzt die in der Siemens-Patentanmeldung vorgeschlagene Lösung an: Sie besteht im Wesentlichen darin, auf dem leistungsschwachen Server eine vereinfachte Abbildung der Anfrage des Clients und der Basisstruktur des Dokuments herzustellen. Als Ergebnis lassen sich die Standard-Vorlagen auch auf dem leistungsschwachen Server nutzen. Sie werden dann vielleicht nicht in vollem Umfang, aber doch in wesentlichen Zügen umgesetzt. Das Ganze soll zugleich den Einsatz der ansonsten nötigen umfangreichen Laufzeitumgebung entbehrlich machen.

Im Patentanspruch ist ein Server und damit ein technischer Gegenstand erwähnt. Allerdings ist der entscheidende Punkt die Software, mit der das Dokument dynamisch generiert wird. Wenn es um das viel zitierte Erfordernis der Technizität geht, stellt sich also die Frage, ob mit dieser Software ein technischer Beitrag geleistet wird.

Der BGH hat dies bejaht. Zwar mache es im Allgemeinen technisch keinen Unterschied, ob für die Erzeugung eines Dokuments eine bestimmte Software oder eine andere verwendet werde. Bei der vorliegenden Erfindung allerdings werde es erst durch die neue Software möglich, die dynamische Dokumentenerzeugung überhaupt auf dem leistungsschwachen Server durchzuführen. Damit könne die Software die technischen Gegebenheiten des Servers berücksichtigen, wodurch ein technischer Beitrag geleistet sei: Ein technisches Problem ist auf technische Weise gelöst worden, und zwar mit Hilfe von Software.

Diese Einschätzung des BGH bedeutet allerdings noch nicht, dass für die Siemens-Lösung letztendlich ein Patent erteilt wird. Offen ist nämlich noch die Frage, die bei der Prüfung aller Patente im Mittelpunkt steht: Bedurfte es tatsächlich einer erfinderischen Tätigkeit, um die in der Patentanmeldung beschriebene technische Lösung zu finden oder war diese für den Fachmann offensichtlich? Zur Beantwortung dieser Frage hat der BGH die Sache an das Bundespatentgericht zurückverwiesen. Dass die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit positiv ausfallen wird, ist keineswegs ausgemacht. In der allerersten Instanz hatte das Deutsche Patent- und Markenamt die Anmeldung nämlich noch mit der Begründung zurückgewiesen, dass die erfinderische Leistung nicht hinreichend sei.

Es geht weiter

An dem Beispiel der Siemens-Patentanmeldung ist gut zu erkennen, dass klassische, jahrelang gepflegte Schlagwörter gelegentlich zu kurz greifen. Es reicht beispielsweise nicht unbedingt mehr, die traditionellen Merkmale der Technizität abzuklopfen. Der Streit um Softwarepatente ist jedoch auch mit dem jüngsten BGH-Urteil keineswegs beigelegt. Er geht vielmehr nur in die nächste Runde. (gs)