c't Fotografie extra 8/2020
S. 114
Städte an der Romantischen Straße
Aufmacherbild

UNTERWEGS DURCH STADTLANDSCHAFTEN

AUF DER ROMANTISCHEN STRASSE

Historische Stadtbefestigungen, Stadtschlösser, opulente Kirchenmauern oder prachtvolle Brunnen, sie laden ein zum Verweilen und Staunen. In unserer modernen Welt sind historische Stadtbilder selten geworden. Doch es gibt sie noch, quer durchs Land wie etwa entlang der Romantischen Straße. Eine davon ist die Augsburger Altstadt, sie bietet Ihnen fotografische und reichlich kulturelle Highlights zwischen Gegenwart und nostalgischer Sehnsucht.

Tausche ich mich im Freundeskreis über das Motiv „Stadtlandschaft“ aus, begegnet mir häufig eine gerümpfte Nase: „Die Stadt als Motiv kommt, wenn überhaupt, im Sommerurlaub in Frage!“ Hier bieten pittoreske Orte in Italien wie in der Cinque Terre oder La Serenissima, die venezianische Lagunenstadt stimmungsvolle Blicke. Gleiches gilt für verträumte französische oder auch südenglische Dörfer und Städtchen.

Sicherlich, unsere heimischen Städte zwischen Küste und Alpen, bieten aufgrund verschiedenster Umstände eher autogerechte Stadtbilder. Doch gibt es sie noch: Nostalgisch anmutende Stadtkerne umgeben von Stadtmauern mit Türmen und Toren, Bastien und Zitadellen, die einst vor Aggressoren Schutz boten. Enge, unwegsame Gassen, in denen einst Händler ihre Waren anpriesen. Marktplätze mit facettenreichen Brunnen, Prachtstraßen mit reich verzierten Kaufmannshäusern und Patrizierpalästen.

Fotografisch betrachtet wecken verbliebene Stadtbefestigungen, historische Prachtbauten wie auch alte Kirchengewölbe oder Klostergemäuer bei mir Sehnsüchte nach einer Zeitreise in der Baukunst neben Zweckmäßigkeit einer ungeschriebenen Harmonie folgte. Mir kommt es mitunter vor, dass sich beim Verweilen in historischen Gemäuern meine Wahrnehmung von Zeit und Raum von unserer funktions- wie zweckbezogenen Gegenwart entkoppelt.

Herausforderungen unserer Zeit

Stadtperspektiven, ob historisch oder modern ausgerichtet, erfordern ähnlich wie das klassische Landschaftsmotiv Ihr Geschick in der Bildkomposition. Hier gilt es ebenso auf verschiedenste Fallstricke zu achten. Dazu zählen zum Beispiel parkende wie einfahrende Fahrzeuge aller Art. Das gilt für die Bewegungsunschärfe ebenso wie für an- oder abgeschnittene Autos, Busse, LKW wie auch Motorrad- und Radfahrer. Mit Fahrzeugen im Bild verwurzeln Sie das Motiv in der entsprechenden Epoche. Denken Sie an ältere Reiseführer, wenn Ihnen dort ein Fahrzeug aus den 1980er Jahren ins Auge sticht. Gleiches gilt für abgebildete Menschen mit ihren Kleidern und Frisuren.

Es klingt banal, ist allerdings ebenso ein Ärgernis: Verkehrs- und Hinweisschilder am Bildrand. Gleiches gilt für Mülltüten, -tonnen und Container, die wahlweise den Vordergrund zieren oder als Farbtupfer im Hintergrund auftauchen. Leuchtreklame, genauer gesagt Reklame, die von der Hauswand auf den Bürgersteig oder die Straße hinausragt, erfordert ebenso Ihre Aufmerksamkeit bei der Wahl des Bildausschnittes. Graffitis für sich genommen bieten eine eigene Motivwelt. Als Wandverzierungen an Stadt-, Kirchen- oder auch Friedhofsmauern ebenso wie auf Hauswänden fordern sie Sie als Fotografen in der nachfolgenden Bildbearbeitung heraus.

ROTES TOR IN AUGSBURG Blick auf das Rote Tor in Augsburg von den Wallanlagen der ehemaligen Bastei mit der Basilika St. Ulrich im Hintergrund. Um einen Blick auf die nachfolgende Altstadt zu erhalten, nutzen Sie am besten die laublose Jahreszeit P. S.: Diese Perspektive präsentiert Ihnen in nassen, bewölkten Winternächten ebenfalls eine beeindruckende Aussicht. Mittelformat-Sensor | 50 mm | ISO 50 | f/11 | 1/80 s | 4900 K | Stativ

Ein Blick auf historische Aufnahmen als Quell der Inspiration lässt erkennen, dass es zu Beginn der Fotografie um die Mitte des 19. Jahrhunderts, als sich die ersten Fotografen mit ihren unhandlichen Apparaten auf die Straße wagten, weder Oberleitungen für Straßenbahnen noch Wartehäuschen an Haltestellen gab. Ähnlich verhält es sich mit den Stühlen, Tischen und den dazugehörigen Sonnenschirmen (evtl. auch Heizpilzen) in den zahlreichen Straßencafés unserer Zeit. Ebenfalls in die unbeliebte Kategorie der „Störelemente“ fallen aus fotografischer Sicht Baustellen mit ihren gut sichtbaren Warnschildern, Bauzäunen und nicht zuletzt mobilen Toilettenhäuschen.

Während in der Malerei Unliebsames kurzerhand nicht in das Bild übertragen wird, muss der Fotograf sehr wohl überlegen, inwieweit er das Alltagsgeschehen des städtischen Treibens in sein Lichtbild integrieren will. In unserer Zeit, in der wir häufig bemüht sind, uns auf das Erhabene, das Ansehnliche, das Harmonische wie Wohltuende zu konzentrieren, wird es herausfordernd, diese Alltäglichkeiten auszugrenzen. Das gilt unabhängig für moderne oder historische Stadtszenen.