c't Fotografie extra 8/2020
S. 100
Exotische Papageien in Heidelberg
Aufmacherbild

STADT DER SITTICHE

HEIDELBERG

Wenn Sven Meurs wilde Tiere porträtiert, findet er sie in heimischen Großstädten. Hier erklärt der Profi, wie er mitten in Heidelberg exotische Papageien fotografiert.

Grüne Papageien, mitten in der Stadt? Echt jetzt? Ja, und es sind so viele, dass es unmöglich entflohene Tiere sein können. Die Vögel haben einen neuen Lebensraum in der Stadt gefunden und sich fröhlich vermehrt. Nach mehr als 16 Jahren Seite an Seite mit den Halsbandsittichen ist mein Erstaunen über die bunten Gesellen der Faszination gewichen – und die ist immer noch so groß wie am ersten Tag in meiner Heimatstadt Köln. Damals dachte ich noch, das wäre etwas Außergewöhnliches. Heute ist klar: Die grünen Sittiche leben entlang der Rheinschiene, von Düsseldorf im Norden bis Speyer im Süden, in fast allen größeren Städten. Und das gleich zu Dutzenden. Schon seit den 1960er-Jahren kann man sie beobachten, am besten natürlich im Winter, wenn kein Laub an den Bäumen hängt und die Tiere nicht im Grün der Baumkronen untergehen. Denn dann offenbaren nur kräftige Schreie ihre Anwesenheit. Diese sind, wie bei so vielen Tieren, beim Beobachten und Aufspüren der beste Indikator. Meist verraten sich Wildtiere durch charakteristische Geräusche oder Gerüche, bei den Halsbandsittichen ist es nicht anders.

Nistkästen am Pflegeheim

Immer noch kursiert das Gerücht, dass die ersten Halsbandsittiche aus dem Kölner Zoo ausgebrochen sind, dabei gab es dort überhaupt keine Halsbandsittiche. Sie sind vielmehr aus der defekten Voliere eines privaten Züchters entkommen und haben sich dank ihrer flexiblen Lebensweise schnell etablieren können. Auch in Heidelberg, wo nach offiziellen Schätzungen heute etwa 1000 von ihnen leben und sich sehr gut fotografieren lassen, sind sie vermutlich Gefangenschaftsflüchtlinge oder bewusst ausgesetzte Tiere. Seit 1990 fliegen die Sittiche durch Heidelberg und lassen sich überall in Parks und Gärten des Stadtgebietes beobachten. Häufig trifft man sie in den Platanen entlang des nördlichen Neckarufers, im Garten vom Schloss Heidelberg und an der Pflegeheimat St. Hedwig, deren Fassade sie sich als Brutstätte in Toplage ausgesucht haben. Warum sollten Stadttiere einen anderen Geschmack als Stadtmenschen haben?

SCHLAFBAUM Wenn die Nacht hereinbricht und alle Halsbandsittiche ihren Platz auf dem Schlafbaum eingenommen haben, können Sie die Tiere in den blattlosen Bäumen gut fotografieren. Nikon D7200 | 55 mm | ISO 2500 | f/22 | 15 s
NISTKASTEN Das Bild ist an der Pflegeheimat St. Hedwig entstanden. An diesem frühen Mittag war das Wetter leider verhangen und trüb. Nikon D7200 | 500 mm | ISO 500 | f/4.5 | 1/2000 s

Der ursprüngliche Lochfraß an der Fassade des Pflegeheims ist mittlerweile dank des Einsatzes des Biologen Michael Braun Geschichte. Die Papageien hatten alte Spechthöhlen in den Fassaden vergrößert. Michael Braun brachte überall Nistkästen an, die mit einem Styroporkern ausgekleidet sind. In deren warmes Inneres legen die Sittiche ihre Eier. Das gibt Braun die Möglichkeit, die Tiere zu erforschen. Schöner Nebeneffekt für uns Fotografen: Hier lassen sich die Vögel im Flug mit hoher Wahrscheinlichkeit fotografieren. Denn wenn im Frühjahr die Brutsaison beginnt, die jungen Sittiche geschlüpft sind und die Eltern sie füttern, dann herrscht Hochbetrieb am Nistkasten. Die Geduld des Fotografen wird nicht zu sehr auf die Probe gestellt, denn immer wieder kommen die Elterntiere zum Füttern angeflogen.