c't 9/2018
S. 38
Test
High-End-Smartphone
Aufmacherbild

Kamera-Trio

High-End-Smartphone Huawei P20 Pro mit Dreifach-Kamera und Dreifach-Tele

Dreifach-Kamera, 40 Megapixel und KI sollen das P20 Pro zum besseren Kamera-Smartphone machen. Unter anderem sind wackelfreie Aufnahmen mit 6 Sekunden Belichtungszeit möglich. Huawei hat so viel richtig gemacht wie noch nie.

Was hat man an modernen High-End-Smartphones noch vermisst? Eine dritte Hauptkamera sicherlich nicht. Huawei baut dennoch eine ein ins Spitzenmodell P20 Pro.

Technisch unterscheiden sich die drei Kameras auf der Rückseite grundsätzlich voneinander, für die meisten Aufnahmen arbeiten sie aber im Team zusammen. Ganze 40 Megapixel nimmt die RGB-Kamera mit Smartphone-typischem Weitwinkel von 27 Millimetern auf – so eine hohe Auflösung hat man seit dem Nokia Lumia 1020 nicht mehr gesehen. Die danebenliegende Dreifach-Telekamera gab es sogar noch nie, sie erfasst nur 8 Megapixel und hat eine Brennweite von 83 Millimetern. Hinzu kommt eine monochrome 20-Megapixel-Kamera.

Letztere soll vor allem den Dynamikumfang erhöhen und den Autofokus beschleunigen. Als Grundlage dient das Bild einer der beiden RGB-Kameras – außer bei Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Fotografiert man im Weitwinkel, liefert die Aufnahme der Telekamera Tiefeninformationen. Im Porträtmodus beispielsweise stellt die Software den Hintergrund unscharf und erzeugt ein Bokeh. Das funktioniert erstaunlich gut; betrachtet man die Bilder auf dem Smartphone-Display, ist auf den ersten Blick kaum ein Unterschied zu Porträt-Aufnahmen mit echtem, optisch erzeugtem Bokeh zu erkennen. Doch wie auch bei Konkurrenten verschätzt sich die Software gelegentlich bei Vorder- und Hintergrund und stellt feine Details wie Haare zu Unrecht unscharf.

Künstlerische Intelligenz

In der Kamera-App kann auf die volle Auflösung von 40 Megapixel gewechselt werden. Standardmäßig sind 10 ausgewählt, denn nur in dieser Einstellung setzt das P20 Pro die von Huawei „Light Fusion“ getaufte Technik ein. Dabei handelt es sich um sogenanntes Pixel Binning, das im Fall des P20 Pro vier Sensorpixel zu einem zusammenrechnet. Es entstehen virtuelle Bildpunkte mit 4 Quadratmikrometern Fläche, die entsprechend mehr Licht einfangen sollen.

Außerdem hat Huawei möglichst viele der Kameraeinstellungen automatisiert. Der Hersteller spricht gar von künstlicher Intelligenz und hat zu diesem Zweck extra einen eigenen Coprozessor (NPU) eingebaut. Das System erkennt 500 verschiedene Motive und Situationen innerhalb weniger Sekunden und nimmt entsprechende Einstellungen vor.

Leider erfährt der Fotograf nicht, welche Einstellungen die Kamera vorgenommen hat. Ob die Automatik hilfreich oder hinderlich ist, hängt vom Motiv ab: Im Modus Blauer Himmel beispielsweise stellt sie Farben übertrieben knallig dar. Bei Nachtaufnahmen zeigt sich die „künstliche Intelligenz“ hingegen von ihrer besseren Seite: Brauchbare Aufnahmen mit bis zu sechs Sekunden Belichtungszeit können aus der Hand geschossen werden, weil die Software Verwackelungen herausrechnet. Es entsteht zwar immer noch viel Ausschuss, doch andere Kameras würden unter diesen Bedingungen gar nichts Brauchbares liefern.

In vielen Situationen erhält man bessere Ergebnisse, wenn man die „Master AI“ ausschaltet und die Auflösung auf 10 Megapixel belässt. Erst dann zeigt die Kamera, zu was sie fähig ist und konkurriert mit hoher Detailtiefe, natürlichen Farben und hohem Dynamikumfang mit den besten Mitstreitern. Mit vollen 40 Megapixel zu fotografieren ergibt keinen Sinn, da die Bilder stark an Qualität verlieren, Farbaberrationen und Verzeichnungen zeigen. Der Dreifach-Zoom hingegen stellte sich als nützlich heraus, und ist den Zweifach-Zooms anderer Smartphones überlegen.

Leider hat nur die Telekamera einen optischen Bildstabilisator, sodass Videos mit der Weitwinkelkamera stark verwackeln, obwohl die eigentliche Bildqualität auf Spitzenniveau liegt. Erst bei Full-HD-Auflösung und darunter und bei maximal 30 fps kann man einen digitalen Bildstabilisator aktivieren, der äußerst zuverlässig seine Arbeit verrichtet.

Hardware

Die restliche Ausstattung des P20 Pro erscheint dagegen unspektakulär. Grundsätzlich gehört die gesamte Hardware in die Kategorie „High-End“ auf Niveau anderer Spitzenmodelle.

Aus der Hand geschossen: Die „künstliche Intelligenz“ kümmert sich auch um die Bildstabilisierung.

Das OLED-Display ist hell und scharf und zeigt kräftige Farben und Kontraste. Wie beim iPhone X sind Lautsprecher und Frontkamera in einem unschönen Einschnitt („notch“) im oberen Teil des Displays untergebracht. Dafür fallen die Display-Ränder genauso dünn aus wie bei Apple; nur der untere Rand misst einen ganzen Zentimeter und schmälert den Eindruck vom modernen High-End-Handy. Stört der Notch, kann man ihn per Option verbergen. Das P20 platziert dann einen schwarzen Streifen an der oberen Display-Kante, sodass der Einschnitt nicht auffällt.

Der hauseigene SoC Kirin 970 hinkt bei Single-Thread-Berechnungen der High-End-Konkurrenz wie Qualcomm Snapdragon 835 und 845 und Samsung Exynos 9 Octa um 10 bis 15 Prozent hinterher. Bei Grafik-Benchmarks ist er in etwa gleichauf. In der Praxis spielen diese Werte aber keine Rolle, da das System flüssig läuft und Ladevorgänge kurz ausfallen.

Zwar gibt es zugunsten von Dual-SIM keinen Speicherkarten-Slot, doch die 128 GByte interner Speicher dürften fast allen Nutzern genügen. Mit 4000 mAh ist der Akku überdurchschnittlich groß dimensioniert, was sich in auffällig langen Laufzeiten niederschlägt. Ein Klinkenanschluss für Kopfhörer ist nicht eingebaut. Stattdessen liegen ein Headset und ein Adapter für die Typ-C-Buchse bei.

Das P20 Pro gibt es in drei Farben, von denen die Variante „Twilight“ besonders auffällt, da es sich um eine Art Flip-Flop-Lack handelt. Fingerabdrücke fallen auf der chromartigen Geräterückseite sofort auf. Das Gehäusedesign ist eindeutig ans iPhone X angelehnt.

Fazit

Tabelle
Tabelle: Huawei P20 Pro

Es gibt wenig auszusetzen am Huawei P20 Pro und die Ausstattungsliste lässt nichts vermissen. Zwar schießen andere High-End-Smartphones auch gute Fotos, doch mit keinem anderen kann man seine Kreativität so ausleben. Die angepriesene KI produziert zu oft Murks, als dass man sich blind auf sie verlassen sollte.

Mit einem Straßenpreis von 850 Euro begibt sich Huawei in Sphären, die man bislang nur von wenigen Herstellern gewohnt war. Das Gerät ist das Geld wert. Das gleichwertige Samsung Galaxy S9+ Duos kostet mittlerweile aber genauso viel. Es klingt vielleicht albern, ist bei einem Gerät dieses Preises aber nicht ganz unwichtig: Allein wegen des etwas dickeren unteren Displayrandes wirkt das P20 Pro von vorne nicht ganz so up to date wie iPhone X und S9. (hcz@ct.de)