c't 18/2023
S. 58
Titel
Android Auto und CarPlay - Kampf ums Cockpit

Führungsfrage

Der Kampf ums Cockpit zwischen Autoherstellern, Apple und Google

Autohersteller bauen immer mehr und immer größere Displays in ihre Fahrzeuge ein. Doch ob sie am Ende noch die Inhalte bestimmen, ist fraglich. Viel spricht dafür, dass das Smartphone gewinnt.

Von Sven Hansen

Neulich bei einer Testfahrt für Journalisten: Mit einer Oberklasselimousine beende ich meine Runde und nähere mich auf der A9 dem Ziel. Fast hätte ich es erreicht – leider nur fast. Das Onboard-Navi weiß nichts von der Vollsperrung der Ausfahrt Garching-Nord, der Umweg kostet mich 50 Minuten. Den Zug nach Hause kann ich gerade noch erreichen, komme aber ins Grübeln. Säße ich als Besitzer im Cockpit eines solchen Fahrzeugs jenseits der 150.000-Euro-Marke, würde es mir schon ziemlich stinken, wenn der Teenager auf der Rückbank mit Google Maps die besseren Verkehrsinformationen in der Hand hielte.

Geht es um das Thema Navigation, liegt Google momentan weit vorn. Dort gibt es die besten Live-Daten, weil so viele Kunden mit Google Maps unterwegs sind und umgekehrt. Das ist vor allem ein Problem für diejenigen, die das Quasi-Monopol angreifen wollen. Was sollte ein Hersteller dem Kunden schon bieten können, wenn es bei Google alles gratis gibt?

Doch was die Autohersteller grämt, darf die Kundschaft freuen. Denn jeder, der ein Smartphone mit Datentarif in der Tasche trägt, hat die wichtigsten Zutaten fürs perfekte In-Car-Infotainment griffbereit. Selbst die besten Infotainment-Systeme der Hersteller bieten kaum mehr Funktionen. Bleibt nur die Frage, wie man die Fähigkeiten der Smartphones im Fahrzeug nutzbar macht.

Mit Apple CarPlay und Android Auto haben die zwei wichtigsten Handy-Betriebssysteme die Antwort parat. In diesem Artikel werfen wir einen kurzen Blick auf die Auto-Schnittstellen der großen Zwei und zeigen Möglichkeiten und Grenzen auf. In allen Neufahrzeugen sind die Schnittstellen vorhanden, im schlimmsten Fall muss man im Konfigurator zwischen 100 und 300 Euro investieren, um sie freizuschalten. Im Test ab Seite 62 geht es um Adapter, mit denen sich das Smartphone kabellos in junge Gebrauchte integrieren lässt. Ab Seite 70 beleuchten wir schließlich, wie Sie sich CarPlay oder Android Auto in beliebige Fahrzeuge holen, vom jungen Gebrauchten bis zum Oldtimer mit H-Zulassung.

Smartphone auf vier Rädern

Mobiltelefone im Auto sind Fluch und Segen zugleich. Nicht umsonst verweisen Kritiker auf das hohe Ablenkungspotenzial. Der Blick aufs Handy führt immer wieder zu kritischen Verkehrssituationen oder gar zu Unfällen. Hier setzen CarPlay und Android Auto an, indem sie das Smartphone ins Ablagefach verbannen. Im Idealfall liegt es dort während der gesamten Fahrt und lädt kabellos oder per USB. Der Fahrer interagiert mit dem Smartphone ausschließlich über das Display des Infotainment-Systems oder per Sprache, der Griff zum Telefon ist überflüssig.

Dabei übernimmt das Smartphone die Regie über die Bild- und Tonausgabe im Fahrzeug. Entweder via USB oder kabellos über Bluetooth und WLAN werden die Informationen ans Infotainment geschickt und dort angezeigt. Die Oberflächen von Android Auto und CarPlay sind gegenüber der Smartphone-Ansicht deutlich reduziert, auf Touch- und Sprachbedienung hin optimiert und sollen die Ablenkung vom Straßenverkehr so auf ein Minimum reduzieren.

Besonders praktisch: Statt in der Telefonbuchansicht zu wühlen, kann man Siri oder dem Google Assistant einfach sagen, wen man anrufen will oder wer welche Textnachricht bekommen soll. Weitere wichtige Funktionen sind die Audiounterhaltung über Spotify, Tidal & Co. und die Navigation. Denn selbst, wenn man auf altbekannten Wegen unterwegs ist, kann man dank der Live-Verkehrsdaten der Navi-App unangenehme Überraschungen umfahren.

Spricht man allgemein von „Android im Auto“, tut begriffliche Klärung not, denn man muss zwischen Android Auto, Android Automotive OS (AAOS) und dem Android Open Source Project (AOSP) unterscheiden. Googles Auto-Betriebssystem ist eine vollwertige Software fürs Onboard-Infotainment und wird derzeit von Herstellern wie Volvo, Polestar und Renault eingesetzt.

Ins AAOS lassen sich die Google Automotive Services (GAS) integrieren, also die Navigations-App Google Maps, ein Zugang zum Play Store und Googles Sprachassistent. Google lizenziert sie nur im Paket, was jüngst das Bundeskartellamt auf den Plan gerufen hat. Es will prüfen, ob der Konzern durch die Bündelung seine Marktmacht ausnutzt, um seine Position im Fahrzeugbereich auszubauen. Ginge es nach den Autoherstellern, würden sie gerne nur Teile der Automotive Services integrieren. So könnten sie die Google-Navigation anbieten, aber Googles Play Store weglassen und einen eigenen App-Store betreiben.

Andere Hersteller nutzen das Android Open Source Project, das man anpassen muss. So hat etwa BMW einen Wechsel von Linux zu AOSP angekündigt, um auf die für Android zahlreich vorhandenen Ressourcen zurückgreifen zu können. Android läuft zwar unter der Haube, wird aber nach außen kaum als solches zu erkennen sein. Volkswagen hat seine Pläne für ein handgestricktes, konzernweites OS auf die lange Bank geschoben. Die Hardwareplattform PPE (Premium Platform Electric), die vorwiegend in den hochpreisigen Fahrzeugen von Audi oder Porsche zum Einsatz kommt, setzt ebenfalls auf das AOSP mit eigenem App-Store.

Android Auto ist schließlich die Variante, um die sich unser Schwerpunkt dreht. Die Schnittstelle macht das Infotainment-System des Fahrzeugs zum Empfänger eines per Kabel oder Funk angebundenen Smartphones mit Android OS. Apple wandelt in Sachen Fahrzeug-OS übrigens auf Googles Pfaden: CarPlay als Smartphone-Schnittstelle ist schon lange verfügbar, das Car-OS von Apple lässt indes noch auf sich warten. Ende dieses Jahres soll es erste Fahrzeuge mit dem im vergangenen Jahr kurz vorgestellten CarPlay 2.0 geben, mit Multi-Display-Unterstützung und tieferer Integration in die Fahrzeugelektronik.

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