MIT Technology Review 12/2016
S. 80
TR Mondo

SPANIEN

Gefiederte Detektive

Mit Möwen illegalen Mülldeponien auf der Spur. Foto: powell83/Fotolia

Möwen als Umweltpolizisten? Das klingt seltsam, könnte in naher Zukunft aber schon Realität sein. Die spanisch-französische Forschergruppe um Joan Navarro von der Estación Biológica de Doñana in Sevilla zeigt, wie es gehen könnte. Wie sie im Online-Magazin „Plos One“ berichteten, versahen die Wissenschaftler Anfang Mai 2015 im südspanischen Nationalpark Doñana 19 Mittelmeermöwen mit GPS-Sendern.

In den darauffolgenden Wochen konnte das Team genau verfolgen, wohin die Vögel zur Nahrungssuche flogen. Eine Luftaufnahme zeigte, was sich an den Zielorten befindet: Küste, eine Lagune, eine legale Müllkippe oder eben nichts, was Möwen besonders anziehen dürfte. Da die Stelle in zehn Kilometer Entfernung von der Kolonie aber wiederholt von fünf Vögeln aufgesucht wurde, kontrollierten die Forscher den Ort und fanden eine kleine illegale Deponie für Hausmüll.

Müll ist ein lukratives Geschäft. Illegale Deponien sind deshalb nicht nur in armen Ländern an der Tagesordnung: „Im Vergleich zu konventionellen Überwachungsmethoden erlaubt die GPS-Tracking-Methode, größere Gebiete wesentlich kostengünstiger abzudecken, und das selbst in gefährlichem Gelände“, schreiben die Forscher. Die „gefiederten Detektive“ – so der Titel der Studie – bewegten sich in einem Gebiet von 9444 Quadratkilometern. Die weiteste Entfernung zur Brutkolonie betrug 122 Kilometer.

Die mit Solarzellen betriebenen GPS-Sender können über Jahre funktionieren. Zumal das Gerät für die Möwen keine große Belastung darstellt, denn es wiegt gerade einmal 2,5 Prozent ihres Körpergewichts. Aber die Forscher sind sich auch im Klaren darüber, dass die Suche ihre Grenzen hat: „Sie funktioniert nur bei organischem Müll und nicht bei Bauschutt, Elektromüll oder gefährlichen Gütern.“

REINER WANDLER

ISRAEL

Trinkwasser aus der Luft

Das Gerät von Water-Gen produziert Trinkwasser in feuchtwarmen Gegenden. Foto: Water-Gen

Sauberes Trinkwasser ist an vielen Orten der Welt knapp – vor allem in heißen Gegenden. Dennoch ist gerade dort die Luftfeuchtigkeit oft besonders hoch. Für diese Regionen hat das israelische Start-up Water-Gen ein Gerät entwickelt, das Wasser aus der Luft gewinnt. Benötigt wird jedoch ein Stromanschluss.

Bisher hat die Firma aus Rishon LeZion mit dem Militär diverser Länder zusammengearbeitet, nun soll jedoch die Zivilbevölkerung profitieren. Dafür lässt der Apparat namens GENius feuchte Luft an einem kühlen, mit künstlichen Blättern aus Plastik bestückten Kern kondensieren. Rund 300 Wattstunden elektrischer Energie pro erzeugtem Liter Wasser werden benötigt. Das gleiche Verfahren setzt Water-Gen auch in Luftentfeuchtern und Wäschetrocknern ein.

Zur Trinkwasserbereitung werden Geräte in mehreren Größen – für Schulen, Krankenhäuser, Dörfer oder nur für eine Familie – angeboten. Bevor sie Ende 2017 auf den Markt kommen sollen, werden sie noch in Städten wie Mumbai oder Mexiko City getestet.

INGE WÜNNENBERG

ITALIEN

Keine Wirkung – kein Geld

„Bubble Boy“: Mit dem sterilen Zelt, in dem Kinder wie David Vetter lebten, wurden die Immundefekte, zu denen ADA-SCID zählt, bekannt. Foto:AP /Texas Children's Hospital/Dpa Picture-Alliance

Mit 594000 Euro ist Strimvelis eine der teuersten Einmalbehandlungen, die auf dem Markt sind. Doch dies bedeutet nicht, dass der Preis unangemessen wäre. Denn bei Strimvelis handelt es sich um eine speziell für die seltene, oft tödliche Krankheit namens ADA-SCID entwickelte Gentherapie. Der behandelte Gendefekt wurde durch Kinder wie den „Bubble Boy“ bekannt. Das Immunsystem des Jungen war so schwach, dass ihn Raumanzüge von der Außenwelt abschirmen mussten.

Entwickelt hat Strimvelis das Mailänder San Raffaele Telethon Institut. Die Therapie nutzt einen Virus, um das fehlende Gen in das Knochenmark der kranken Kinder zu transportieren. 2010 erwarb der britische Pharmakonzern GlaxoSmithKline daran die Rechte und bietet die seit diesem Jahr in Europa zugelassene Therapie nun ausschließlich in Mailand an. In einer Studie konnten 15 von 18 Patienten vollständig geheilt werden.

Mit Strimvelis verbunden ist ein weiteres Novum: eine Geld-zurück-Garantie bei Misserfolg. „Das Medikament hat sein Wort zu halten, sonst zahlen wir nicht“, sagt Luca Pani, Generaldirektor der italienischen Zulassungsbehörde und Arzneimittelagentur L’Agenzia italiana del farmaco.

Damit relativiert sich der auf den ersten Blick hohe Preis. Denn die Gentherapien sollen mit einer einmaligen Behandlung die vollständige Heilung erzielen. Die bisher einzige andere Möglichkeit dazu ist bei ADA-SCID eine Knochenmarktransplantation, sie aber kostet leicht eine Million Dollar. Andere Patienten erhalten für 250000 Dollar im Jahr Injektionen.

Die italienische Arzneimittelagentur ist bekannt für ihre eigenwilligen Kostenmodelle. Im Falle einiger Krebsmedikamente hat sie durch die Überprüfung der Wirksamkeit bereits mehr als 250 Millionen Euro an Erstattungen eingesammelt. Bei Strimvelis ist aufgrund der Studie zu erwarten, dass eine von sechs Behandlungen zurück-erstattet werden muss.

Die große Frage ist aber nicht, ob Gentherapien zu teuer sind. Die Frage ist, ob Firmen daran etwas verdienen können, vor allem, wenn es sich um äußerst seltene Krankheiten handelt. In Europa werden zum Beispiel nur rund ein Dutzend Kinder jährlich mit ADA-SCID geboren. Würden alle Strimvelis erhalten, brächte dies GlaxoSmithKline rund acht Millionen Dollar ein: kein großes Geschäft für einen Konzern, der im Jahr Medikamente für mehr als 30 Milliarden Dollar verkauft.

GlaxoSmithKline jedenfalls geht nicht davon aus, viel Geld mit Strimvelis zu verdienen. Ihre Firma sehe ein, dass man einen Preis für Medikamente ansetzen müsse, der auch aufgebracht werden könne, sagt Anna Padula, Sprecherin der Sparte für seltene Krankheiten. Einstweilen betrachte der Konzern die Behandlung als Möglichkeit, Patienten zu helfen und Erfahrungen mit Gentherapien zu sammeln: „Wir hoffen, dass Strimvelis das erste von einer ganzen Zahl von innovativen Gentherapie-Medikamenten sein wird.“

Das kann sich allerdings nur ein großer Konzern leisten. Die kleine holländische Firma uniQure hat schon 2012 die Zulassung für Glybera erhalten – die erste Gentherapie zur Behandlung der seltenen Erbkrankheit Lipoprotein-lipasedefizienz, bei der die Betroffenen Fettmoleküle nicht abbauen können. Glybera ist erst im Vorjahr einmal eingesetzt worden. Eine Million Euro hat uniQure dafür verlangt. Trotzdem besteht die Gefahr, dass Glybera wegen fehlender Nachfrage in Europa und Zulassungsschwierigkeiten in den USA am Ende ganz vom Markt verschwindet.

ANTONIO REGALADO