MIT Technology Review 2/2016
S. 28
Horizonte
Internet
Aufmacherbild
Illustration: Dadu Shin

Kampf um die Anonymität

Noch nie war es leichter, anonym und vertraulich zu kommunizieren. Doch was für die einen mehr Freiheit bedeutet, sehen die anderen als gefährliche Waffe von Kriminellen und Terroristen. Der Kampf zwischen den beiden Lagern läuft – und er wird über die Zukunft des Internets entscheiden.

Draußen huscht die Landschaft vorbei. Drinnen hat niemand einen Blick für sie übrig. Während wir im ICE mit 250 Stundenkilometern durch Brandenburg rasen, tippen meine Abteilnachbarn eifrig auf ihren Smartphones herum. Nur die ältere Dame im Sitz neben mir nicht. Sie möchte lieber ganz altmodisch plaudern – und beginnt mir unvermittelt von ihrer Reise zu erzählen. Sie sei 69 Jahre alt und besuche ihren Sohn und dessen Frau und Kinder in Stuttgart. Ob sie dort häufig zu Besuch sei? Schon kramt auch sie ein Smartphone heraus und zeigt mir Fotos der beiden Enkel, die ihr der Sohn per WhatsApp geschickt hat. Ob es ihr wichtig sei, dass WhatsApp solche Nachrichten verschlüsselt, frage ich. „Ja“, sagt sie. „Es gibt ja Leute, die nach Bildern von Kindern suchen im Internet. Ich melde mich auch nirgends mit meinem Namen an, weil ich immer wieder unaufgefordert Werbung kriege.“

Michael Morell, ehemaliger stellvertretender CIA-Direktor Foto: Imago/ Zuma Press

Moment mal? Die nette alte Dame neben mir legt Wert auf digitale Privatsphäre? Lange schien es so, als hätten die Snowden-Enthüllungen keine Wirkung auf das Verhalten des Otto-Normal-Surfers gehabt. Ändert sich das nun doch? Und wenn ja, wird das zarte Pflänzchen digitaler Privatsphäre in Zeiten des globalen Terrors nicht schon bald wieder ausgerissen?