MIT Technology Review 6/2016
S. 86
Meinung
Bücher

Harte Schatten, helles Licht

Ein Bildband über den Bau des größten Solarthermie-Kraftwerks der Welt bietet eine betörende Ästhetik – blendet die Probleme allerdings völlig aus.

Jamey Stillings: The Evolution of Ivanpah Solar Steidl Verlag, 154 Seiten, 65 Euro

Am Anfang ist nichts als Wüste. Harte Schatten, weiter Horizont, zerrupfte Wolken. Auf der nächsten Buchseite legen sich plötzlich konzentrische Kreise über die Büsche – als habe man bei Google Earth versehentlich ein Layer mit Entfernungslinien angeklickt. Doch die Kreise sind nicht virtuell, sondern reale Zufahrtswege zur Installation von 347000 Spiegeln. Sie sollen Sonnenlicht auf drei je 140 Meter hohe Türme reflektieren, um Wasser für eine Dampfturbine zu erhitzen. Auf gut 14 Quadratkilometer verteilen sich die Spiegel des Solarkraftwerks Ivanpah in der kalifornischen Mojave-Wüste – mit 392 Megawatt das größte der Welt.

Der Fotograf Jamey Stillings hat den Bau vom ersten Spatenstich an begleitet, vom Helikopter aus, in kontrastreichen Schwarz-Weiß-Aufnahmen bei tief stehender Sonne. Damit ist ihm eine betörende Dokumentation gelungen. Wie Nascar-Linien schälen sich zunächst die ersten Umrisse des Kraftwerks aus der zerfurchten Wüste. Planierte Flächen und Reifenspuren verdichten sich zu abstrakten Grafiken. Dann sprießen die ersten Spiegel aus dem Boden – ungeordnet erst, später in Reih und Glied ausgerichtet. Nach gut zwei Jahren Bauzeit zeigt Stillings dann noch einmal ein großes Wüstenpanorama – diesmal mit gleißenden Lichtinseln aus Tausenden von Spiegeln.

Oktober 2012: Ivanpah bei Sonnenaufgang.

Die Geschichte hinter Ivanpah ist weniger schön. Umweltschützer beklagen unter anderem den Tod vieler Vögel, die durch den Hitzestrahl fliegen. Außerdem konnte das subventionierte Milliardenprojekt bislang nicht so viel Energie produzieren wie erwartet. Die kalifornische Aufsichtsbehörde für Energieversorger gab der Anlage im Frühjahr noch eine Galgenfrist von einem Jahr, um die zugesagten Strommengen zu liefern. Gleichzeitig werden die aufwendigen Solarthermie-Kraftwerke von Erdgas und Photovoltaik in die Zange genommen. Deren Kosten sanken in den letzten Jahren deutlich stärker als erwartet – zumindest in den USA.

Juni 2012: Arbeiter errichten einen sogenannten Heliostaten, der zwei Spiegel der Sonne nachführt.

Sollte Ivanpah scheitern, wäre das ein Fanal für die ganze Branche. Bereits jetzt wurden in der westlichen Welt zahlreiche ähnliche Projekte gestrichen, gingen Anbieter pleite. In Nordafrika und im mittleren Osten hingegen sind Solarthermie-Kraftwerke offenbar erfolgreicher (siehe S. 95). Und China will bis 2020 insgesamt zehn Gigawatt installieren. Der entscheidende Vorteil der Solarthermie: Sie kann die Wärme als flüssiges Salz zwischenspeichern und so theoretisch ununterbrochen Strom liefern, auch nachts. Aber ausgerechnet bei Ivanpah sind keine Wärmespeicher installiert.

In den Begleittexten zu Stillings Bildband ist von alldem keine Rede. Er konzentriert sich allein auf die Ästhetik. Und da können Gaskraftwerke und Photovoltaik-Anlagen einfach nicht mithalten. GREGOR HONSEL

ROMAN

Rosemarie Revisited

Die Geschichte scheint anfangs auf einen Hightech-Thriller hinauszulaufen, wie er auch von Michael Crichton oder Andreas Eschbach hätte stammen können: Die ehrgeizige Molekularbiologin Johanna will die genetischen Grundlagen des Alterns erforschen – mit keinem geringeren Ziel, als den Tod zu besiegen. Diese Erzählebene ist genretypisch gespickt mit gut recherchierten wissenschaftlichen Details und einschlägigem Slang. Dann aber nimmt der Plot eine bizarre Wendung: Bei einem Forschungsaufenthalt in den USA trifft Johanna einen verwahrlosten Mann, der altertümliches Deutsch spricht, sie für den Teufel hält und behauptet, 1776 geboren zu sein. Auf der Suche nach seinem Geheimnis gerät sie immer tiefer in einen Strudel aus Alchemie und Okkultismus, bis ihr wissenschaftlich geschulter Verstand endgültig kapituliert. Thea Dorn verquickt in ihrem Roman virtuos Zutaten aus Faust, Jurassic Park und Rosemaries Baby. GREGOR HONSEL

Thea Dorn: „Die Unglückseligen“. Knaus, 560 Seiten, 24,99 Euro (E-Book: 19,99 Euro)

GESCHICHTE

Zu den Monsternder Tiefsee

Wahrlich obskure Wesen wie den Buckligen Anglerfisch oder einen Tintenfisch in Vampirgestalt, der den Namen Vampyroteuthis infernalis erhielt, barg die erste deutsche Tiefsee- Expedition vom Boden des Atlantiks. Der Leipziger Zoologe Carl Chun startete im Juli 1898 mit Kollegen, einem Fotografen, einem Chemiker und einem Ozeanografen zu einer neunmonatigen Schiffsreise rund um die Erde, auf der sie das damals ungeahnt vielfältige Leben in Tiefen bis zu 5000 Metern studierten. In seinem Historienband „Valdivia“ schildert Rudi Palla zunächst die Vorgeschichte der Expedition: Chuns Begeisterung für die Erforschung der Meeresfauna einerseits sowie andererseits das Großmachtstreben und das Faible für alles Maritime von Wilhelm II. Beeindruckend aber ist vor allem, wie der Wiener Schriftsteller in seinen Schilderungen Chuns Beobachtungen und Anekdoten aus den Fahrtenbüchern mit Hintergrundwissen ergänzt. So bezieht Palla immer wieder den damaligen Forschungsstand mit ein und referiert auch die Historie der bereisten Orte. Dankenswerterweise relativiert der Autor auch Chuns bisweilen naive Statements über das Leben in den Kolonien und macht zudem deutlich, welch ein Verlust dem Schatz der Weltmeere durch die Klimaerwärmung droht. INGE WÜNNENBERG

Rudi Palla: „Valdivia – Die Geschichte der ersten deutschen Tiefsee-Expedition“. Galiani Verlag, 224 Seiten, 28 Euro

Sachbuch

Sehnsucht nach der Steinzeit

„Das Digitale ist fossil. Es verbrennt die Zukunft.“ Die einen lieben Harald Welzer für Sätze wie diesen, sehen sie darin doch eine kluge Analyse des jetzigen Wandels. Die anderen hassen ihn dafür, weil sie darin den deutschen Geist der Technikfeindlichkeit erkennen. In seinem aktuellen Buch „Die smarte Diktatur“ geht er zwar auf die Chancen des digitalen Wandels ein – aber am Ende fragt man sich, warum. Als Fazit empfiehlt der Soziologe unbeirrt die Entsagung. „Am besten schmeißen Sie Ihr Smartphone weg und besorgen sich, die gibt’s noch für Rentner, gute alte Handys, die nichts können. Die ultimative Alternative ist das iStone, ein Stück Granit, geformt wie ein iPhone.“ Willkommen in der Steinzeit. So lautet die Quintessenz eines Buches, das durchaus die richtige Kritik äußert, aber beim Lösungsvorschlag komplett überzieht. Nein, das Digitale ist nicht fossil. Es ist, was wir daraus machen. Wenn nur „16 Prozent der Auffassung sind, dass die Nachteile der Digitalisierung die Vorteile überwiegen“, wie Welzer aus einer Umfrage zitiert – dann sollte man sich schon überlegen, ob es ein paar Gründe dafür gibt. robert Thielicke

Harald Welzer: „Die Smarte Diktatur – Der Angriff auf unsere Freiheit“. Verlag S. Fischer, 320 Seiten, 19,99 Euro