Was macht eigentlich ein Chief Digital Officer?
Ein CDO ist im Allgemeinen für die Digitalisierungsstrategie eines Unternehmens zuständig. Doch dabei wollen andereManager gern mitreden. Ein Überblick.
Die Allianz hat einen, wie auch BASF, Daimler, E.on, Merck und SAP – den Chief Digital Officer oder CDO. Die Axel Springer SE und künftig auch Bosch installieren sogar mehrere. Das Creative-Commons-Projekt CDO-Kompass beziffert deren Zahl heute schon auf mindestens 320 namentlich bekannte Titelträger – mit wachsender Tendenz vor allem im Mittelstand.
Erfunden hat den CDO vor etwa sechs Jahren das Beratungs- und Marktforschungsunternehmen Gartner. Der CDO sollte die Herausforderungen der Digitalisierung nicht nur kennen, sondern auch Strategien zu deren Bewältigung entwickeln können. Das Ziel war ein Chef für digitale Innovation, der nicht durch Abteilungsdenken eingeschränkt wäre. Außerdem sollte der CDO Kenntnisse in der Informationstechnik, in Marketing und Vertrieb sowie Forschung und Entwicklung mitbringen.
Die Liste der nötigen Talente und Aufgaben ist so lang, dass man sich fragt: Wissen die Unternehmen wirklich, was sie mit der Stelle wollen? Hinter vorgehaltener Hand wird gemunkelt, dass wohl eine ganze Reihe von CDOs nur berufen wurde, weil jemand im Top-Management diese Funktion besetzt wissen wollte. Und genauso gibt es jene, die aus eigenem Antrieb eine CDO-Position anstreben, weil die nicht nur unter Headhuntern als Karrieresprungbrett gilt. Eine im Juli dieses Jahres veröffentlichte Studie der Berliner Hochschule für Technik und Wissenschaft (HTW) differenziert zudem eine Reihe von unterschiedlichen CDO-Typen. Die Liste beginnt beim „Prediger“ und „Change-Apostel“, spannt sich über Analytiker, Konservative und Kreative bis zum „Leichtfuß-CDO“, der seine Stärke vor allem im Umgang mit Social Media hat.
Oliver Merx, einer der beiden Initiatoren des CDO-Kompass, ist nah dran an den CDOs im deutschsprachigen Raum und zudem als Digitalberater für einen Finanzkonzern tätig. Darüber, was genau ein CDO können und tun müsse, existieren unterschiedlichste Ansichten, berichtet auch er. Das Aufgabenspektrum variiere je nach Wirtschaftszweig erheblich. In der Medienbranche liege der Schwerpunkt auf der Kommunikation, in Fertigungsbetrieben auf der Technik, im Finanz- und Handelssektor auf der Geschäftsmodell-Entwicklung und dem Marketing. Gemeinsam hätten alle CDOs jedoch, dass sie sich ihre eigenen Strukturen schaffen müssen, weil es dafür noch kein Strickmuster gebe.
Damit ihnen dies gelingt, müssen zumindest ihre Aufgaben und ihre Position in der Hierarchie des Unternehmens exakt umrissen sein. Nur so lassen sich Kompetenzstreitigkeiten eindämmen. Der CDO sollte hoch genug platziert sein, um gehört zu werden. Er muss zudem über eigene Ressourcen – Personal und Finanzmittel – verfügen.
Das ist umso wichtiger, als etwa die Hälfte der CDOs, darin sind sich die aktuellen Studien einig, von außerhalb kommt, also kein eigenes Netzwerk im Unternehmen hat. Diese Digitalchefs agieren mehr oder weniger unabhängig vom Chief Information Officer (CIO), dem Leiter der Firmen-IT, Ihm sind sie hierarchisch allerdings oft gleichgestellt, und im Idealfall ergänzen sich beide: Der eine verfolgt eine externe (Marketing-) Perspektive, der andere berät ihn hinsichtlich der internen Umsetzung.
Wenn es jedoch schlecht läuft, betrachten sie einander als Konkurrenten und versagen sich die gegenseitige Unterstützung.
Um diese Klippe zu umschiffen, vereinen manche Unternehmen beide Positionen. Einer, der diese Doppelrolle spielt, ist Dirk Ramhorst, CIO und seit Kurzem auch CDO der Wacker Chemie. Die Personalunion hat aus seiner Sicht Vorteile: Sie verhindere das Entstehen einer „Parallel-IT“ und die Spaltung des technischen Personals in eine „Zweiklassengesellschaft“. Der ansonsten „programmierte“ Konflikt um Ressourcen, Prozesshoheit und nicht zuletzt interne Anerkennung sei damit obsolet. Auch das Marktforschungsunternehmen Gartner, anfangs erklärter Verfechter des Non-IT-CDOs, rät mittlerweile den CIOs, „sich selbst zu feuern und neu einzustellen – als Digital Business Leader“.
Ein drittes Modell praktiziert beispielsweise der Engineering-Konzern Sulzer im schweizerischen Winterthur nahe Zürich. Dort gibt es keinen CDO im eigentlichen Sinn, dafür aber ein vierköpfiges Gremium aus „Group Digital Leaders“; im Einzelnen sind das die Leiter der Unternehmensbereiche IT, Marketing & Vertrieb, Forschung & Entwicklung sowie Service-Management. In solchen Netzwerken sieht CDO-Kompass-Macher Merx großes Erfolgspotenzial.
Ein viertes Modell sind Vorstände, die sich selbst zu CDOs erklären. Es gibt nicht wenige Berater, die diesen Weg empfehlen, und bei einigen fanden sie damit auch Gehör. Prominente Beispiele sind Gisbert Rühl von Klöckner und Mathias Kammüller vom Maschinenhersteller Trumpf.
Merx sieht diesen Trend eher kritisch. Sicher sei die Unterstützung des Top-Managements wichtig, räumt der Kenner der CDO-Szene ein. Doch dürfe der Digitalchef nicht durch administrative Aufgaben abgelenkt sein: „Ein CDO, der sich auf seine Aufgaben konzentriert und mit anderen vernetzt, ergibt meist mehr Sinn als ein Vorstandsposten, der operativ wenig bewirkt.“ Deshalb habe Kammüller, als er die Rolle des CDOs übernahm, seine operativen Aufgaben als CEO an seinen Geschäftsleitungskollegen Heinz-Jürgen Prokop übergeben.
Wie lange die Dienste des CDOs gefragt sein werden, muss sich noch zeigen. Aber da die Digitalisierung erst am Beginn steht, dürfte die Position noch etwas Zukunft haben.
Die Analysten von Gartner jedenfalls haben sich mittlerweile von der Einschätzung verabschiedet, dass der Chief Digital Officer eine „Übergangslösung“ sei, die sich in wenigen Jahren erübrigt haben würde. Karin Quack