MIT Technology Review 9/2017
S. 112
Fundamente
Jubiläum

„Sei nicht böse“

Schlichtes Design und eine geniale Idee standen vor 20 Jahren am Anfang von Google. Heute ist daraus ein gigantischer Gemischtwarenladen geworden, dem die eigene Marktmacht auf die Füße fällt.

Foto: Kim Kulish/Corbis/Getty Images

Larry Page war unentschlossen. Der 22-Jährige hatte gerade sein Informatikstudium beendet und war nach Stanford gewechselt. Worüber sollte er promovieren? Diese Frage beschäftigte auch den gleichaltrigen Sergey Brin, als sich die beiden zum ersten Mal bei einer Informationstour für Uni-Kandidaten begegneten. Brin, ein geselliger Typ, und Page, ein schüchterner Grübler.

Das Feld der Suchmaschinen war damals schon gut bestellt – von Firmen wie Yahoo, Lycos und AltaVista. Doch diese lieferten oft unsinnige Ergebnisse. Brin und Page hatten einen Geistesblitz, wie man es besser machen kann. Dazu bezogen sie neben dem Inhalt einer Webseite auch deren Popularität ein. Die Logik dahinter: Je mehr Links auf eine Seite verweisen, desto relevanter muss sie sein. Links, die von besonders relevanten Seiten ausgehen, werden höher gewichtet.

Der sogenannte Page Rank war geboren: PR(A) = (1 – d) + d (PR(T1)/C(T1) + ... + PR(Tn)/C(Tn)). Der Page Rank der Seite A setzt sich zusammen aus den Page Ranks aller Seiten T1 bis Tn, die auf sie verweisen, jeweils geteilt durch die Gesamtzahl der Links (C) auf diesen Seiten. D ist ein „Dämpfungsfaktor“, der das inflationäre Anwachsen des Page Ranks verhindern soll. Taucht ein Suchbegriff auf mehreren Seiten mit ähnlicher Gewichtung auf, gibt der Page Rank den Ausschlag, welche Seite weiter oben in der Ergebnisliste auftaucht. Ob und wie weit der Page Rank heute noch die Suchergebnisse beeinflusst, lässt sich schwer beurteilen, denn das ist Betriebsgeheimnis.

Mit diesem Algorithmus ausgestattet, meldeten Page und Brin am 15. September 1997 eine Website unter der Adresse Google.com an. Ein Jahr später wird Google Inc. offiziell gegründet – mit einem Startkapital von 1,1 Millionen Dollar. Schnell sprach sich herum, dass die neue Suchmaschine bessere Ergebnisse lieferte als die Platzhirsche. Auch das aufgeräumte Design trug zum Erfolg bei. Denn während die Wettbewerber ihre Seiten zu überladenen „Portalen“ für Nachrichten, Shopping, E-Mail und Werbung ausbauten, verstand sich Google zumindest anfangs als reine Suchmaschine.

„Google ist kein gewöhnliches Unternehmen. Wir haben nicht vor, eines zu werden“, tönten die Gründer, die bis heute ihre Marotten pflegen. So mieteten sie zum Beispiel 200 Ziegen, um den Rasen rund um den Hauptsitz im kalifornischen Mountain View kurz zu halten. Und weil Brin und Page Essen lieben, darf die nächste Mini-Küche für keinen Mitarbeiter mehr als 30 Meter entfernt sein. Googles erster Koch übrigens verdiente, dank Aktienoptionen, rund 26 Millionen Dollar, denn der Marktwert von Google stieg rasend schnell. Seit dem Börsengang 2004 hat sich der Kurs verelffacht.

Trotz des nach wie vor schlichten Homepage-Designs ist Google zu einem gigantischen Gemischtwarenladen geworden. Zum mittlerweile unter „Alphabet“ firmierenden Firmenkonglomerat gehören Hunderte von Produkten wie YouTube, der Chrome-Browser, der E-Mail-Dienst Gmail und das Betriebssystem Android. Daneben arbeitet Google an Quantencomputern, künstlicher Intelligenz und längerem Leben.

Doch die Einnahmen basieren immer noch auf einer Säule: der Werbung. Googles zweites großes Erfolgsgeheimnis war es, Werbebanner nicht auf der eigenen Seite abzuspielen, sondern auf einem ganzen Netzwerk angeschlossener Seiten – das erhöht die Reichweite für Google und gibt auch kleineren Webseiten die Möglichkeit, unkompliziert durch Werbung Geld einzunehmen. Durch seine riesige Reichweite ist Google, zumindest in der westlichen Welt, praktisch konkurrenzlos.

Genau das beginnt dem Konzern nun auf die Füße zu fallen: Der Kurs brach um rund fünf Prozent ein, weil die EU-Kommission wegen Missbrauchs seiner marktbeherrschenden Stellung eine Strafe von 2,42 Milliarden Euro verhängte – die Google-Produktsuche habe die Konkurrenten benachteiligt. Das alte Firmenmotto „Don’t be evil“ hat es schwer, sich heute noch durchzusetzen. JOSEPH SCHEPPACH