MIT Technology Review 9/2017
S. 104
Meinung
Bücher

Der Mann mit dem Plan

Die Besiedlung des Mondes ist keine Utopie, sondern nur eine Frage der richtigen Planung, meint Florian Nebel.

Dr. Florian M. Nebel: „Die Besiedlung des Mondes. Technisch machbar. Finanziell profitabel. Logisch sinnvoll“ Landwirtschaftsverlag, 259 Seiten, 19,95 Euro

Wenn Florian Nebel loslegt, klingt eigentlich alles ganz einfach. Wozu die Menschheit überhaupt den Mond besiedeln sollte? Nebel legt Tabellen über die Zusammensetzung des Mondgesteins vor, skizziert eine lunare Fabrik zur Gewinnung von Aluminium und Titan, kalkuliert Treibstoffkosten, Investitionen und Rohstoffpreise und kommt zum Schluss: Die ganze Sache rechnet sich. Zumindest langfristig.

Diese Detailverliebtheit zieht sich durch das ganze Buch. Der Kernphysiker, Raumfahrtingenieur und Science-Fiction-Autor wägt ausgiebig ab, welcher Erdorbit das beste Basislager wäre, diskutiert die Vor- und Nachteile verschiedener Antriebsarten, durchforstet die aktuelle Raumfahrttechnik nach verwendbaren Modulen und listet alle neu zu entwickelnden Komponenten auf. Eine erste Mission von der Erde über die irdische Umlaufbahn bis zum Mond und wieder zurück würde, wie Nebel aufzählt, genau 39 Manöver erfordern.

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KI

„Deep Blue hat nicht betrogen“

20 Jahre nach seiner historischen Niederlage gegen den IBM-Computer Deep Blue hat der frühere Schachweltmeister Garri Kasparow ein Buch darüber geschrieben. Es zeigt ihn von einer neuen Seite: Er ist mit der Zeit milde geworden. Auf seinem Höhepunkt triefte er vor Selbstvertrauen und galt als arrogant. In seinem Buch aber wird klar, dass er viel über das Match nachgedacht hat. Am überraschendsten ist, dass er sich an mehreren Stellen entschuldigt. „Irgendwann habe ich aufgehört zu zählen, wie oft mir die Frage ,Hat Deep Blue geschummelt?‘ gestellt wurde. Meine Antwort darauf war jedenfalls stets: ‚Das weiß ich nicht‘. Nach 20 Jahren Nachdenken, Enthüllungen und Analysen aber muss sie lauten: ,Nein‘“. Kampfgeist aber steckt immer noch in Kasparow, wie sich an seinem anhaltenden Zorn über die damals verweigerte Revanche zeigt.

Zudem enthält das Buch eine gute, wenn auch kurze Beschreibung des Potenzials von Symbiosen zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz. Darin zeigt sich Kasparow durchgängig optimistisch, dass KI das Leben von Menschen bereichern kann. JONATHAN SCHAEFFER

Garry Kasparov: „Deep Thinking. The Human Future of Artificial Intelligence“. Hodder & Stoughton, 287 Seiten, 12,99 Euro

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UMWELT

Eine, die auszog, GMOs zu verstehen

Dieses Buch ist die Geschichte einer Mittdreißigerin, die plötzlich starke Schmerzen und Erschöpfung quälen. Aber es dauert drei Jahre, bis Caitlin Shetterly eine hilfreiche Diagnose erhält: Sie leidet an einer Autoimmunreaktion auf genveränderten Mais. Zunächst ist sie skeptisch. Sie stellt allerdings die Ernährung um, und die Symptome verschwinden. Doch ihre Neugier ist geweckt, als Shetterly feststellt, in wie vielen Produkten Mais – und zwar in der Regel genmodifizierter Mais – in ihrer amerikanischen Heimat verarbeitet ist.

So steigt sie immer tiefer in das Thema ein. Das Ergebnis ist ihr Buch mit dem etwas reißerischen deutschen Titel „Genbombe“. Die US-Ausgabe heißt schlicht „Modified“. Das kommt dem äußerst subjektiven Zugang der Autorin viel näher, die vor Ort nach Antworten auf ihre Fragen sucht. Sie besucht etwa Farmer in Nebraska, wo auf riesigen Anbauflächen Mais wächst, Imker in Europa, deren Bienen unter Pflanzenschutzmitteln leiden, und Forscher, die sich mit den Auswirkungen genveränderter Lebensmittel beschäftigen. Ihr Buch nimmt nicht den klassischen Weg über wissenschaftliche Studien zum Erkenntnisgewinn. Sie trifft die Beteiligten und bildet sich aus deren Geschichten ihr Urteil. Am Anfang ist sie nur Journalistin und Mutter, am Ende sieht sie sich selbst als Umweltschützerin. INGE WÜNNENBERG

Caitlin Shetterly: „Genbombe“. Heyne Verlag, 416 Seiten, 14,99 Euro (E-Book 11,99 Euro)

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Krimi

Disruptive Idee

„Die Lieferantin“ rollt das Drogengeschäft in London auf: Ihre App ermöglicht eine diskrete, sichere und anonyme Bestellung über das Darknet. Geliefert wird innerhalb weniger Stunden mithilfe von Drohnen.

Im bürgerlichen Leben leitet die Lieferantin ein hippes Londoner Start-up. Zur Hightech-Dealerin wird sie erst, als ihr Bruder an einer Überdosis stirbt. Sie beschließt, dem System, das „kranke Menschen kriminalisiert“, etwas entgegenzusetzen. Die Sache hat allerdings einen Haken – die gesamte Londoner Unterwelt fühlt sich von diesem disruptiven Geschäftsmodell bedroht und will die „Lieferantin“ tot sehen.

Zoë Becks neuester Thriller, angesiedelt in einem düsteren Post-Brexit-London, das von marodierenden, ausländerfeindlichen Schlägerbanden heimgesucht wird, ist stimmig erzählt, hat aber auch Schwächen. Das Darknet-Umfeld etwa, dem die Hauptperson entstammt, bleibt nur vage Staffage, und die zunächst überaus clevere Heldin macht im weiteren Verlauf unerklärlich dumme Fehler, wie zum Beispiel eine Erpresser-Mail von ihrem privaten Handy abzuschicken. Als spannende Sommerlektüre taugt das Buch aber allemal. WOLFGANG STIELER

Zoë Beck: „Die Lieferantin“. Suhrkamp Verlag, 321 Seiten, 14,95 Euro (E-Book 12,99 Euro)