MIT Technology Review 1/2018
S. 96
Fundamente
Jubiläum

Das Ende der Röhre

Vor 70 Jahren läutete der Transistor das Informationszeitalter ein.

Im Dezember 1947 fegte ein so gewaltiger Schneesturm über New York hinweg, dass viele Angestellte zu Hause blieben. Nicht so John Bardeen und Walter Brattain. Sie waren am 23. Dezember in die AT&T Bell Laboratories gekommen, um ihrem Kollegen William Shockley eine abenteuerliche Apparatur aus Plastik, Gold und Germanium zu zeigen. An diesen Versuchsaufbau legte Brattain eine Spannung an und betätigte einen Kipphebel. Am angeschlossenen Oszilloskop sprang in gleichem Rhythmus ein heller Fleck auf und ab. Das bewies: Mit einem schwachen Strom lässt sich ein stärkerer steuern.

Nachbau des ersten Transistors – ein goldbedampftes Plastikdreieck, das von einer Büroklammer auf ein Germaniumkristall gedrückt wird. Foto: Science & Society/ Interfoto

Bis dato waren empfindliche Vakuumröhren nötig, um elektrische Signale zu verstärken. Sie mussten geheizt werden und waren entsprechend groß und stromhungrig. Auf der Suche nach Alternativen stieß Shockley auf Halbleiter wie Silizium und Germanium, die Strom nur unter bestimmten Bedingungen leiten. Doch nach vielen Fehlschlägen übergab er das Projekt an seine Mitarbeiter Bardeen und Brattain.

Zwei Jahre später gelang ihnen der Durchbruch. Brattain nahm ein goldbedampftes Plastikdreieck, schlitzte mit einer Rasierklinge die Spitze ein und presste sie mit einer verbogenen Büroklammer auf ein Germaniumkristall. Auf diese Weise hatte er feine Kontakte geschaffen, die wie kleine Nadeln in die für die Verstärkereffekte entscheidende Randschicht des Kristalls reichten. Die ursprüngliche Bezeichnung „Transfer Resistor“ wurde später zu „Transistor“ verkürzt.

Bis kurz vor der Präsentation hatten Bardeen und Brattain ihre Erfindung geheim gehalten, auch vor Shockley. Sie schien ihnen so wichtig, dass sie das Militär fragten, ob sie nicht geheim zu halten sei. Sechs Monate Bedenkzeit vergingen, und fast wären Forscher in Europa schneller gewesen. Die deutschen Physiker Heinrich Welker und Herbert Mataré hatten zeitgleich ebenfalls einen Transistor gebaut. Am Ende gelang es den US-Forschern aber doch, ihre Erfindung früher zu publizieren, und der deutsche Beitrag geriet in Vergessenheit.

Dafür nahm die Entwicklung in den USA rasch Fahrt auf. Seine drei Väter zerstritten sich allerdings gründlich. Brattain und Bardeen beanspruchten die Technologie für sich allein. Shockley sprach von „Verrat“. Nur noch einmal trafen sich die drei genialen Männer wieder: 1956 bei der Entgegennahme des Nobelpreises für Physik in Stockholm.

In den Jahren dazwischen hatte Shockley eine eigene Firma gegründet und den Ur-Transistor weiterentwickelt. Dessen feine Kontakte waren für den Einsatz außerhalb eines Labors zu empfindlich. Shockley verlegte die Elektronik-Grenzschicht deshalb von der Oberfläche ins Innere des Halbleiters, was stabilere Kontakte ermöglichte. Dieser „Grenzflächen-Transistor“ löste seinen Vorgänger rasch ab.

Spätestens seit der Chemiker Gordon Teal 1954 robustes Silizium als Ersatz für das temperaturempfindliche Germanium eingeführt hatte, war der Siegeszug des Transistors nicht mehr aufzuhalten. „Die Röhrenzeit ebbte ganz schnell ab, als 1963 fast jede Verstärker-Anzeige mit den neuen Transistoren warb“, schreibt Gert Redlich vom Deutschen Hifi-Museum Wiesbaden.

1958 gelang dem US-Elektroingenieur Jack Kilby eine weitere folgenschwere Erfindung: Er fasste mehrere Transistoren, Dioden, Widerstände in einem einzigen Stück Silizium zusammen – ein integrierter Schaltkreis, vulgo Chip.

Nun könnte auch das Silizium-Zeitalter zu Ende gehen. Denn andere Materialien ermöglichen noch viel kleinere Schaltkreise. Forscher der Uni Karlsruhe haben diese Miniaturisierung auf die Spitze getrieben: Ihr Transistor besteht nur noch aus einem einzigen Phosphoratom. Solche Atom-Transistoren könnten in Zukunft in Quantencomputern eingesetzt werden. Noch allerdings funktioniert der Transistor nur bei minus 269 Grad – der Temperatur von flüssigem Helium.

Das revolutionärste Konzept indes verfolgen Physiker der TU Kaiserslautern. Sie wollen Elektronen durch „Magnonen“ ersetzen. Ein Magnon ist die kleinste physikalische Einheit einer sogenannten Spinwelle, einer magnetischen Störung in einem Material. Die Forscher glauben, dass dies „den Zugang zu einer neuen Generation von Computern“ eröffnet. JOSEPH SCHEPPACH