MIT Technology Review 11/2018
S. 86
Meinung
Bücher

Charisma und Paranoia

Wie konnte das Medizin-Start-up Theranos ohne eine einzige seriöse Studie auf einen Wert von zehn Milliarden Dollar kommen? Die Antwort verrät viel über das Silicon Valley.

John Carreyrou: Bad Blood. Secrets and Lies in a Silicon Valley Startup Penguin Random House, 352 Seiten, 24,38 Euro (E-Book: ab 3,49 Euro)

Selbst für das Silicon Valley ist der Aufstieg und Fall von Elizabeth Holmes beispiellos. 2004, im Alter von 21 Jahren, bricht sie ihr Chemieingenieur-Studium in Stanford ab und gründet Theranos. Sie will nichts weniger als die Medizinbranche so umkrempeln, wie es Steve Jobs mit der IT-Welt getan hat. Ihre Vision: ein kleines, leicht zu bedienendes Gerät für jeden Haushalt, das aus nur einem Tropfen Blut mehr als hundert Blutwerte ermittelt und an den behandelnden Arzt schickt.

In den nächsten Jahren sammelt sie eine beeindruckende Liste von Investoren und Beiräten um sich, darunter der Verleger Rupert Murdoch und der ehemalige US-Außenminister George P. Shultz. Theranos wächst auf 800 Mitarbeiter und eine Bewertung von zehn (!) Milliarden Dollar heran. Das macht Holmes zur jüngsten Selfmade-Milliardärin der Welt und zum Glamour-Girl der Gründerszene.

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Thriller

Das Leben des Anderen

Wie viel von der Persönlichkeit eines Menschen steckt in seinem Smartphone? Dmitry Glukhovsky untersucht diese Frage in einem düsteren Thriller: Der junge Ilja war sieben Jahre im Straflager, weil ihm ein Fahnder namens Petja bei einer Razzia in einer Disco Drogen untergeschoben hat. Am Tag seiner Heimkehr muss Ilja feststellen, dass seine Mutter wenige Tage zuvor an einem Herzinfarkt gestorben und seine Freundin längst mit einem anderen zusammen ist.

Ilja hat nichts mehr zu verlieren. Er stellt seinen alten Peiniger, erschlägt ihn und stiehlt sein Smartphone. Als Ilja nach seiner Tat in dessen Handy stöbert, stößt er auf verstörende Spuren aus Petjas Vergangenheit – und beschließt, die Identität des Menschen anzunehmen, der ihm seine Jugend gestohlen hat. WOLFGANG STIELEr

Dmitry Glukhovsky: „Text“. Europa Verlag, 340 Seiten, 19,90 Euro (E-Book 13,99 Euro)

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MEDIZIN

Ende gut, alles gut

Wahre Geschichten haben oft das Zeug, besonders zu fesseln oder zu berühren. Davon profitieren auch die Reportagen des NDR-Gesundheitsmagazins „Visite“. Zwölf Schicksale aus der Sendung porträtierten Volker Arend, Anke Christians und Volker Präkelt jetzt für „Abenteuer Diagnose“: Die Patienten leiden unter seltenen Krankheiten wie der Akromegalie, die Hände und Füße immer weiter wachsen lässt. Bei anderen wiederum gelangten außergewöhnliche Bakterien oder Fremdkörper in den Körper. Viele der Patienten erlebten eine wahre Odyssee, bis ihnen geholfen werden konnte. Diese zum Teil wundersamen Heilungen nachzuvollziehen, macht den Charme der Sammlung aus. INGE WÜNNENBERG

Volker Arend, Anke Christians, Volker Präkelt: „Abenteuer Diagnose. Wie Ärzte und Patienten mysteriösen Krankheiten auf die Schliche kommen“. Heyne Verlag, 304 Seiten, 12,99 Euro (E-Book 9,99 Euro).

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KLASSIKER NEU GELESEN

Vom Erfinder der Globalisierung

Sind Vorhersagen eingetroffen, wirken sie im Rückblick oft trivial. Dies sollte im Hinterkopf behalten, wer John Naisbitts „Megatrends“ liest. „Keine der Veränderungen ist folgenschwerer als die große Wandlung von einer Industrie- zur Informationsgesellschaft“, heißt es da etwa. „Es ist unsinnig, eine Wirtschaft, die gar nicht mehr auf die Herstellung von Industrieprodukten gegründet ist, reindustrialisieren zu wollen.“ Schon klar, denkt sich der heutige Leser: Weiß ich, kenn ich, hab ich schon tausendmal gehört.

Nur: Diese Sätze hat Naisbitt bereits 1982 geschrieben. Damals war das World Wide Web noch mehr als ein Jahrzehnt entfernt. Trotzdem sagte er einige Folgen der Digitalisierung bemerkenswert korrekt voraus: „Die unkontrollierte und unorganisierte Information ist zu einer Belastung geworden.“ Also müssten „elektronische Datenverleger“ aus dem Informationsangebot die benötigten Daten „herausfischen“.

Neben der Suchmaschine nimmt Naisbitt auch soziale Netze vorweg: „Wann immer eine neue Technologie in die Gesellschaft eingeführt wird, muß die menschliche Reaktion dem entgegenwirken: mit hohem Kontaktbedürfnis.“

Weitere Treffer sind das Entstehen einer Software-Industrie, die Bedeutung von Gentechnik, die Entwicklung von Südostasien als Zentrum der Elektronikindustrie sowie die damit einhergehende Globalisierung (diesen Begriff hat Naisbitt selbst geprägt).

Naisbitt, Jahrgang 1929, war bereits als Vorstandsmitglied von IBM und Kodak sowie als Berater von John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson tätig, bevor er „Megatrends“ schrieb. Das Buch verkaufte sich neun Millionen Mal.

Mitunter ist Naisbitts Sicht allerdings sehr US-zentrisch und überoptimistisch. So hat er die Gleichberechtigung der Frauen deutlich überschätzt, wie er selbst in einem TR-Interview einräumte (siehe TR 1/2008, S. 68).

Auch sein Glaube, dass die Globalisierung zu einem nachhaltigeren Denken in Unternehmen führen und Hierarchien auflösen wird, erweist sich aus heutiger Sicht als naiv – ebenso wie der Satz: „Politisch Rechte und Linke sind tot; die Politik geht immer mehr von der radikalen Mitte aus.“ Zumindest als Hoffnung sind die Prognosen aber immer noch aktuell.

GREGOR HONSEL

John Naisbitt: Megatrends – 10 Perspektiven, die unser Leben verändern werden Hestia, antiquarisch