MIT Technology Review 12/2018
S. 112
Fundamente
Jubiläum

Die Mutter aller Demos

Vor 50 Jahren zeigte Douglas Engelbart fast alles, was heute einen PC ausmacht – und noch viel mehr.

Douglas Engelbart 2004 mit einem Prototyp seiner Maus. Foto: Action Press

Grafische Nutzeroberfläche, Hyperlinks, Videochats, Bildschirmfenster und natürlich die Maus – allein schon die technischen Neuerungen, die Douglas Engelbart am 9. Dezember 1968 präsentierte, hätten für einen Ehrenplatz in der Geschichte gereicht. Der kulturelle Einfluss seiner Vorführung war noch größer.

Damals kommunizierte man mit Computern vornehmlich per Lochkarte. Kaum jemand sah in ihnen etwas anderes als Werkzeuge zur Verarbeitung gewaltiger Zahlenberge. Engelbart (1925–2013) hatte eine andere Vision: „Je besser wir werden, desto besser werden wir dabei, besser zu werden.“ Computer sollten die menschliche Intelligenz vernetzen und „den kollektiven IQ anheben“, um die Probleme der Welt zu lösen.

Mit Unterstützung der Nasa und der US-Militärforschungsbehörde Arpa gründete er Anfang der 1960er das Augmentation Research Center am Stanford Research Institute (SRI). Dort entwickelte er gemeinsam mit Kollegen das sogenannte oN-Line System (NLS). Wozu es genau gut sein sollte, war selbst seinen eigenen Leuten nicht immer klar. „90 Prozent der Computer-Community hielten Engelbart für einen Wirrkopf“, zitiert die Webseite The Register einen früheren Mitarbeiter.

Das änderte sich schlagartig im Dezember 1968. Auf einer Konferenz in San Francisco zeigte Engelbart einem tausendköpfigen Fachpublikum eineinhalb Stunden lang, was sich mit dem NLS alles anstellen ließ. Schon die Veranstaltungstechnik setzte neue Maßstäbe: Fernsehkameras übertrugen Monitor und Keyboard auf eine knapp sieben Meter hohe Leinwand. So konnte das Publikum unter anderem miterleben, wie sich Engelbarts Mitarbeiter per Videokonferenz aus rund 50 Kilometern Entfernung zuschalteten und gemeinsam ein Dokument bearbeiteten. Alle Daten flossen über zwei selbst gebaute Modems mit je 1200 Baud (1,2 Kbit/s) sowie zwei Mikrowellen-Funkverbindungen.

„Es war eine der großartigsten Erfahrungen in meinem Leben“, erinnert sich Computerpionier Alan Kay. „Engelbart war wie Moses, der das Rote Meer teilt.“ 1994 prägte der Journalist Steven Levy die Bezeichnung als „Mutter aller Demos“. „Engelbart hat das Verhältnis zwischen Mensch und Computer vom Kopf auf die Füße gestellt“, schreibt der Autor John Markoff. „Er ließ den Menschen im Mittelpunkt – das war antithetisch zu den Zielen vieler Computerwissenschaftler dieser Ära. Er war Häretiker, und seine Häresie schuf das Personal Computing: Organisationen wurden demokratisiert, eine Welle individueller Kreativität schwappte über die Welt. Die Computerkultur begann mit der Gegenkultur zu verschmelzen.“

Viele Mitarbeiter Engelbarts gingen später zum Xerox Palo Alto Research Center, wo sie das Vorbild heutiger Apple- und Windows-Benutzeroberflächen schufen. Engelbart selbst war hingegen enttäuscht darüber, wie zögerlich die Industrie seine Ideen aufgriff. Selbst die Maus verscherbelte das SRI Ende der 1970er für gerade einmal 40000 Dollar an Apple.

„Engelbart schaffte es nicht, die weniger griffigen Teile seiner Vision zu verbreiten“, meint Stanford-Soziologe Howard Rheingold. „Er war im Grunde seines Herzens ein Ingenieur, und utopische Lösungen von Ingenieuren berücksichtigen nicht immer die Komplexität sozialer Institutionen. Mehr noch: Engelbarts Verknüpfung von Technologiesprüngen mit dem Verhalten von Organisationen klang für Manager in den 1980ern genauso verrückt wie in den 1960ern seine Idee, den menschlichen Verstand mit Maschinen zu erweitern.“

Engelbart selbst landete 1984 beim Flugzeugbauer McDonellDouglas. Auch dort herrschte wenig Interesse an seinen Ideen, wie sich die Zusammenarbeit der Ingenieure verbessern ließe. Zwischenzeitlich fast vergessen, wurde Engelbart erst gegen Ende seines Lebens als Pionier geehrt. GREGOR HONSEL