MIT Technology Review 12/2018
S. 84
Fokus
Megaprojekte

Die Größe und der Wahn

Hochhäuser, Staudämme, Flughäfen – alles wird immer größer und komplizierter. Vieles wächst den Planern über den Kopf. Nun haben Forscher herausgefunden, wie solche Projekte besser gelingen.

Der neue Flughafen von Istanbul, der Ende Oktober eröffnet wurde, soll mit sechs Start- und Landebahnen einmal bis zu 200 Millionen Fluggäste pro Jahr abfertigen und dann der größte Flughafen der Welt sein. Foto: Anadolu/ Getty Images

Eine halbe Stunde dauert es mit der Buslinie 355 vom Tahrir-Platz, um die Mutter aller Megaprojekte zu besichtigen: die Pyramiden von Gizeh. Heute am Rande Kairos gelegen, thronen die monumentalen Bauwerke auf einem Steinplateau im Niltal bereits seit viereinhalb Jahrtausenden. 2,3 Millionen Steinblöcke wurden allein in der größten, der Cheops-Pyramide, verbaut, Gesamtgewicht: rund 5,5 Millionen Tonnen. Geschätzte 20000 bis 30000 Arbeiter haben sie in nur 20 Jahren aufgeschichtet – angesichts der damals zur Verfügung stehenden Technik eine unfassbare Leistung.

Erst mit Beginn der Industrialisierung hat die Menschheit den Ehrgeiz wiedergefunden, immer höher, größer und weiter zu bauen. In den vergangenen Jahrzehnten scheint geradezu ein Wettlauf um Megaprojekte in Gang gekommen zu sein. Der 2009 fertiggestellte Burj Khalifa schraubte die Ausmaße für das höchste Gebäude der Welt auf sagenhafte 828 Meter– und schon sollen zwei Nachfolger noch höher in den Himmel wachsen (siehe Seite 92). Überall entstehen gigantische Kraftwerke, Tunnel und Flughäfen – jüngstes Beispiel der Flughafen von Istanbul als größter der Welt. Und 2019 soll endlich der neue Europäische Druckwasserreaktor im finnischen Olkiluoto ans Netz gehen. Das frühe 21. Jahrhundert ist ein Zeitalter der Megaprojekte. „Sie werden immer größer, und ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht“, sagt Bent Flyvbjerg, weltweit führender Forscher zum Thema Megaprojekte an der Oxford University. Ein Treiber im Zeitalter der Globalisierung ist der Ausbau der Infrastruktur. Die Unternehmensberatung McKinsey geht davon aus, dass bis 2030 weitere 57 Billionen Dollar weltweit in Infrastrukturprojekte gesteckt werden müssen. Erhoffte Effekte: neue Arbeitsplätze, schnellere Anbindung an den Welthandel, effizientere Dienstleistungen, gerade im Energiesektor – und, vor allem in den aufstrebenden Ökonomien des globalen Südens, auch Prestige für den jeweiligen Standort.