MIT Technology Review 5/2018
S. 108
Meinung
Bücher

Zuckerbrot ohne Peitsche

Was hat sich seit der letzten Finanzkrise gebessert? Viel zu wenig, meinen die Autoren – und machen einen radikalen Vorschlag.

JONATHAN MCMILLAN: DAS ENDE DER BANKEN. WARUM WIR SIE NICHT BRAUCHEN Campus, 271 Seiten, 26 Euro (E-Book: 21,99 Euro)

Auch wenn der Titel etwas krawallig klingt: Das Buch ist eine systematische Analyse. Auf Englisch ist sie bereits 2014 erschienen, die deutsche Ausgabe wurde aktualisiert.

Hinter dem Pseudonym „Jonathan McMillan“ stehen der Wirtschaftsjournalist Jürg Müller sowie ein anonymer Spitzenbanker. Anders als der Titel suggeriert, haben sie kein Problem mit Banken an sich, sondern mit dem „Banking“: Wenn Banken Kredite vergeben, schaffen sie gewissermaßen Geld aus dem Nichts, das zunächst nur im Bankensystem zirkuliert. Wenn aber zu viele Kunden gleichzeitig ihre Einlagen abziehen, bricht das Finanzsystem zusammen. Um das zu verhindern, ist in der Vergangenheit immer wieder der Staat eingesprungen. Banken haben also wenig Grund, besonders vorsichtig zu wirtschaften.

Im Gegenzug versucht der Staat, durch strenge Regulierung die Risikolust der Banken zu zügeln. Doch die Digitalisierung macht es so leicht wie nie zuvor, Risiken zu verschleiern und an unregulierte Schattenbanken zu verschieben. „Die Aufsichtsbehörden werden das Bankwesen nicht mehr in den Griff bekommen“, schreiben die Autoren. „Noch immer wollen sie das Zuckerbrot der staatlichen Bürgschaft durch die Peitsche der Kapitalanforderungen ergänzen. Doch in den letzten 40 Jahren haben die Informationstechnologien die Peitsche in eine schlappe Schnur verwandelt.“

Wenig Hoffnung setzen die Autoren auf neue Finanztechnologien. „Sie werden immer dazu missbraucht werden, Regulierungen zu umgehen und öffentliche Garantien auszunutzen.“ Dies sei schließlich „weitaus lukrativer, als damit das Finanzsystem transparenter und effizienter zu gestalten“.

Der Therapievorschlag kommt mit einem einzigen Satz aus: „Der Wert der realen Vermögenswerte eines Unternehmens muss mindestens dem Wert seiner Verbindlichkeiten in einer Worst-Case-Finanzlage entsprechen.“ Diese Regel solle für alle Unternehmen gelten, nicht nur für Banken. Das bedeutet: Schulden über das Eigenkapital hinaus dürfen nicht mehr mit anderen Finanzprodukten abgesichert werden, sondern nur noch mit „realen Vermögenswerten“. So werde ein Dominoeffekt kollabierender Finanzprodukte verhindert.

Damit fällt auch die Geldschöpfung der Banken weg. Doch wie soll eine wachsende Wirtschaft dann mit Geld versorgt werden? Die Autoren schlagen vor, neu geschaffenes Geld der Zentralbanken direkt an die Bürger auszuzahlen – ähnlich wie ein Grundeinkommen, allerdings mit variablen Summen je nach Wirtschaftslage. Im Gegenzug solle es auf gehortetes Geld nur noch negative Zinsen geben. Voraussetzung dafür ist allerdings die Abschaffung des Bargelds. Über die Folgen gehen die Autoren etwas nonchalant hinweg: „Elektronisches Geld wirft Datenschutzfragen auf, die gelöst werden müssen“, schreiben sie lediglich. GREGOR HONSEL

Biologie

Humane Riesenechsen

Sie gehören zu den spannendsten Fragen der Evolutionsforschung: Ließe sich die Entwicklungsgeschichte des Lebens noch einmal neu starten – würde sie genauso ablaufen? Hätte ein Meteoriteneinschlag die Dinosaurier nicht ausgelöscht, hätten sich die Riesenechsen am Ende zu menschenähnlichen Wesen weiterentwickelt? Jonathan Losos hat sich vorgenommen, sie in seinem Buch „Glücksfall Mensch“ zu beantworten. Der Professor für Evolutionäre Biologie an der Universität Harvard kommt zu einem beachtenswerten Fazit: Er hält einen Dinosaurid, wie er das humanoide Reptil nennt, durchaus für möglich. Das Werk ist brillant erzählt, in vielen Passagen aber leider sehr redundant. 250 Seiten hätten daher gut gereicht. Robert Thielicke

Jonathan B. Losos: „Glücksfall Mensch“. Hanser, 384 S., 26 Euro (E-Book: 19,99 Euro)

Science-Fiction

Schleichen im Walde

Im ersten Band seiner Trilogie schildert Cixin Liu, wie es einer Astrophysikerin gelingt, Kontakt mit einer außerirdischen Zivilisation aufzunehmen. Weil Ye Wennjie während der Kulturrevolution jedoch den Glauben an die Menschheit verloren hat, bittet sie diese „Trisolarier“, die Menschheit zu vernichten. „Der dunkle Wald“ erzählt nun, wie diese Bedrohung die Menschheit verändert. „Das Universum ist ein dunkler Wald“, sinniert der Held des Romans Luo Ji. „Jede Zivilisation ist ein bewaffneter Jäger, der wie ein Geist zwischen den Bäumen umherstreift. Der Jäger muss vorsichtig sein, denn überall im Wald lauern andere Jäger wie er.“ Fürs Erste, so viel kann man verraten, kommt die Menschheit noch einmal davon. Wolfgang Stieler

Cixin Liu: „Der dunkle Wald“. Heyne, 816 S., 16,99 Euro (E-Book:13,99 Euro)

Klassiker neu gelesen

Nicht jeder gegen jeden

Es gibt wenige Forscher, die sowohl als Person als auch mit ihren Erkenntnissen eine derartige Bekanntheit erlangt haben wie Charles Darwin. Wer kennt heutzutage nicht das Schlagwort vom „survival of the fittest“ – fälschlich übersetzt als „Überleben des Stärkeren“ im Kampf der Individuen untereinander. Dabei haben sich die kolportierten Leitgedanken etwas verselbstständigt und überlagern die historischen Fakten: Darwin war kein kirchenfeindlicher Revolutionär. Auch war die Argumentation in seiner 1859 erstmals veröffentlichten Abhandlung über „Die Entstehung der Arten“ keineswegs auf Provokation angelegt. Das zeigt sich bei der heutigen Lektüre dieses unaufgeregt argumentierenden Klassikers. Die jüngst veröffentlichte illustrierte Ausgabe des Darmstädter Theiss Verlags bietet dafür eine gute Gelegenheit. Sie reichert das Werk nicht nur mit Bildmaterial an, sondern auch mit Auszügen aus anderen Werken, aus der Autobiografie und aus Briefen Darwins. Zugleich zeigt die Zusammenschau, wie sehr Darwin ein Mann seines Jahrhunderts war. Seine Theorie fiel keineswegs vom Himmel, vielmehr war die Zeit reif dafür. Eine ganz ähnliche Evolutionstheorie skizzierte zum Beispiel der Handlungsreisende Alfred Russel Wallace in einem Brief an Darwin.

Darwins Verdienst ist es jedoch, sie zu einem schlüssigen Gesamtbild zusammengefügt zu haben, untermauert mit unendlich vielen Beispielen und plausiblem Anschauungsmaterial. Dabei wird deutlich, wie sehr Darwins zentrale Thesen in der breiten Öffentlichkeit verkürzt und zum Teil instrumentalisiert wurden: Von den Nachkommen in Tier- und Pflanzenwelt überleben jene, die sich dank ihrer – im Vergleich zu den anderen Exemplaren – ein wenig andersartigen Merkmale besser an die Umwelt anpassen können. Es geht um Anpassung, nicht um Kampf. Es geht nicht um das Überleben des Stärkeren, sondern des besser Angepassten. Darwin machte zudem deutlich, welch zentrale Rolle der Zufall bei diesen Prozessen spielt. Er sah keine zielgerichtete Entwicklung zum Besseren. INGE WÜNNENBERG

Charles Darwin: Die Entstehung der Arten Theiss Verlag Darmstadt, 560 Seiten, 49,95 Euro, (E-Book 39,99 Euro)