MIT Technology Review 8/2018
S. 63
TR Mondo

China

Per Roboter vom Regal bis an die Haustür

Foto: JD.com
Die Bestellungen bei JD.com werden von Robotern über Bodenluken zur Auslieferung weitergeleitet. Foto: JD.com

Der Online-Handel in China boomt: immer mehr Bestellungen, immer mehr Waren, immer mehr Umsatz. Im vorigen Jahr wurden online in China mehr als eine Billion Dollar ausgegeben, im Vergleich zu 2016 ein Plus von 32 Prozent. Doch der Rekordmarkt ist hart umkämpft. „Die Unternehmen investieren derzeit aggressiv in Automatisierung und künstliche Intelligenz“, sagt Jeffrey Towson, Experte für Online-Handel und Technologie an der Peking Universität.

Chinas zweitgrößter Online-Händler Jingdong.com, auch bekannt als JD.com, setzt in seinem neuen Warenlager gleich beide Strategien um. Was im ersten Moment kurios klingt, offenbart einen Blick in die gar nicht so ferne Zukunft der Logistikbranche: Rund 200000 Bestellungen täglich werden in dem Magazin nahe Shanghai abgefertigt, das sind mehr als 8000 Pakete pro Stunde. Doch der Clou ist die Belegschaft: In Jingdongs riesigem Hochregallager sind lediglich vier Arbeiter beschäftigt. Normalerweise würden selbst in einem hocheffizienten Betrieb für dieses Pensum rund 180 Mitarbeiter benötigt. Nun wird diese Belegschaft ersetzt von unzähligen Scannern, Robotern und fahrerlosen Gefährten.

Ein Greifroboter nimmt die angelieferten Waren entgegen, ein Scanner erfasst sie für den Bestand, während ein digitales Logistiksystem parallel berechnet, wo genau in den Hallen die einzelnen Produkte abgelegt werden sollen. Ein solcher Grad an Automatisierung wird auch in den Lagerhallen anderer Unternehmen wie Amazon oder Alibaba erreicht. Doch JD wagt sich nun zusätzlich an kompliziertere Vorgänge wie das passgenaue Verpacken einzelner Waren.

Ein firmeneigenes Video zeigt spezielle Maschinen, die verschiedene Waren erfassen und gemäß Größe, Gewicht und Beschaffenheit in Pakete verpacken. Die Kundenbestellungen werden dann nach Regionen sortiert in Großbehältern auf verschiedenen Ebenen gelagert. Dort werden sie von fahrerlosen Gabelstaplern abgeholt und von Tausenden kleinen Transportrobotern am Ende zum entsprechenden Lieferwagen gebracht. Menschliche Arbeiter brauche der Internethändler an diesem Standort nur noch für die Überwachung und Steuerung sowie die Wartung und Reparatur der Technik.

Werden JD.com und andere Online-Anbieter also bald schon mit einer sehr kleinen menschlichen Belegschaft auskommen? „Im Gegenteil. JD hat in den vergangenen Jahren massiv eingestellt, von 20000 Mitarbeiter auf mehr als 150000“, sagt Uni-Experte Towson. Die Zahl der Mitarbeiter im Forschungs- und Entwicklungszentrum in Guangdong, im chinesischen „Silicon Valley“, wurde zuletzt sogar vervierfacht. Außerdem werden die Arbeitsschritte außerhalb der automatisierten Warenlager, also die Auslieferung an den Kunden, noch fast durchweg von Menschen erledigt. Noch.

Towson erwartet auch hier einen radikalen Wandel. JD.com werde die Waren künftig mit autonomen Gefährten ausliefern, sei es mittels selbstfahrenden Lieferwagen oder Drohnen. Schon jetzt testet der Onlinehändler kleine Drohnen in entlegenen Gegenden. Bis Ende des Jahres will man in zehn chinesischen Provinzen die Genehmigung für eine flächendeckende Paketzustellung via Drohnen erhalten.

Michael Radunski

USA

Tech-Mitarbeiter kritisieren Verträge mit Sicherheitsbehörden

Die Null-Toleranz-Politik der Trump-Regierung führt zu massiven Protesten. Foto: Crowd Spark/ Imago

In den USA scheint in Tech-Konzernen das Bewusstsein für die ethische Verantwortlichkeit beim Einsatz neuer Techniken zu wachsen. Ein aktuelles Beispiel ist die Reaktion von Amazon- und Microsoft-Mitarbeitern auf die Null-Toleranz-Politik, mit der die Trump-Regierung gegen illegal die US-Grenze überquerende Einwanderer vorgeht. Zu den im Frühjahr in Kraft getretenen Maßnahmen gehörte es, Kinder von ihren Eltern zu trennen. Für die Umsetzung war die als Immigration and Customs Enforcement (ICE) firmierende Kontrollbehörde zuständig. Doch aufgrund der massiven öffentlichen Proteste nahm Präsident Trump Ende Juni von der Praxis wieder Abstand.

Ein Teil der Microsoft-Belegschaft nahm nun Anstoß daran, dass der Konzern noch im Winter verkündet hatte, man sei stolz, die ICE zu unterstützen. Das Unternehmen könne helfen, „die Gesichtserkennung und -identifikation zu beschleunigen“. Rund 100 Mitarbeiter forderten daraufhin in einem offenen Brief, die Verträge mit der Behörde zu kündigen. Inzwischen hat sich die Zahl der Unterstützer laut der Webseite Gizmodo auf 300 Beschäftigte erhöht.

Ähnlicher Unmut äußerte sich bei Amazon. Im Mai hatte die Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union erklärt, dass der Konzern seine Gesichtserkennungssoftware offensiv an Polizei- und Regierungsbehörden vertrieben habe. Nach der Offensive gegen illegale Einwanderer reagierte nun eine Reihe von Amazon-Mitarbeitern mit Protesten und einem offenen Brief an Bezos: „Wir weigern uns, die Plattform für die ICE aufzubauen, und wir weigern uns, Instrumente mitzuentwickeln, die dazu beizutragen, die Menschenrechte zu verletzen.“

Noch hält sich das Ausmaß der Reaktionen in Grenzen. Die 300 Protestierenden bei Microsoft sind bei geschätzten 120000 Angestellten keine große Gruppe. Offensichtlich ließ sich die Masse der Angestellten von Geschäftsführer Satya Nadella beruhigen, der das Engagement von Microsoft herunterspielte. Er sagte, es würde lediglich um die Unterstützung beim Management von Dokumenten sowie von Mail-, Kalender- und Messagingfunktionen gehen.

Dennoch sind die Proteste bemerkenswert. Dass Mitarbeiter von Technikkonzernen vermehrt Bereitschaft zeigen, sich gegen Aufgaben zu wehren, die sie für unethisch halten, ist neu. Vorreiter waren die Google-Beschäftigten. Sie reagierten mit erheblichem Protest auf den Einsatz von Googles Künstlicher-Intelligenz-Technologie durch das US-Verteidigungsministerium. Das sogenannte Project Maven sollte unter anderem die Genauigkeit von Drohnenschlägen verbessern. Neben Kündigungen gab es eine Petition, die am Ende 4000 Mitarbeiter unterschrieben. Darin hieß es, die Belegschaft habe Angst, die Technik könnte beitragen, die Kriegsführung in Zukunft zu automatisieren und die Waffensysteme weniger fehleranfällig zu machen.

Die Google-Protestler konnten einen Erfolg für sich verbuchen, der bei den Kollegen der anderen Tech-Konzerne noch aussteht. Google kündigte an, den 2019 auslaufenden Vertrag mit dem Pentagon nicht zu verlängern. Außerdem stellte CEO Sundar Pichai Ethikregeln für die Entwicklung von KI im Konzern auf. Die neuen Prinzipien fordern etwa, dass die Technologie der Gesellschaft zugute kommen und der Öffentlichkeit gegenüber rechenschaftspflichtig sein soll. Google würde nicht zulassen, dass seine Technologie verwendet werde, um etwas zu entwickeln, das Schaden anrichten könnte wie „Waffen oder andere Technologien“. Außerdem wolle sich Google nicht an der Entwicklung von Überwachungstechnologien beteiligen, die gegen international anerkannte Menschenrechtsnormen oder gegen internationale Gesetze verstoßen.

Trotzdem gebe es auch viele alltägliche Anwendungen von KI in der Verteidigungsindustrie, führte Pichai aus. Diesem potenziell riesigen Markt will sich Google nicht grundsätzlich verschließen. Nun bleibt abzuwarten, wie die anderen Technikriesen dieser Herausforderung begegnen.

Will Knight, Inge Wünnenberg