MIT Technology Review 8/2018
S. 66
Fokus
Ernährung

Was gibt es zu essen?

Um die Weltbevölkerung weiterhin zu ernähren, muss die Landwirtschaft dem Klimawandel trotzen und mehr Ertrag liefern, aber ohne der Umwelt zu schaden. Kann das gelingen?

Klimawandel, Bevölkerungswachstum, Insektensterben: Die Herausforderungen für die künftige Nahrungsmittelproduktion sind groß – und zwar so groß, dass sich inzwischen selbst die härtesten Fronten verschieben. Robert Habeck, der neue Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, formuliert anlässlich der Vorbereitung eines neuen Grundsatzprogramms: „Vor diesem Hintergrund haben wir Grüne (…) die Frage nach neuen Züchtungen und neuen gentechnischen Verfahren aufgeworfen, die ja, anders als die klassische Gentechnik, natürliche Verfahren simulieren und von ihnen nicht mehr zu unterscheiden sind.“ Auch Parteikollegin Theresia Bauer, Wissenschaftsministerin in Baden-Württemberg, fordert, „der Gentechnik eine Chance“ zu geben.

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Denn mehr und mehr zeichnet sich ein potenzieller Nutzen für den Umweltschutz ab: Forscher wollen etwa ertragreiche Nutzpflanzen fit für extreme Standorte wie trockene Gegenden und salzhaltige Böden machen. Das schützt sie bei Dürren, die mit dem Klimawandel zunehmen werden, hilft aber auch, den massiven Wasserverbrauch in der Landwirtschaft einzudämmen. Per Gentechnik haben Wissenschaftler beispielsweise den Energiestoffwechsel bei Pflanzen so umgestellt, dass sie weniger Wasser verbrauchen (Seite 70).

Auch der Bedarf an Pestiziden könnte sinken: Das Projekt Cereal-Roots brachte Gerste hervor, die weniger empfindlich gegen Pilzinfektionen wie Mehltau ist. Dafür schalteten die Forscher einen Erbgutabschnitt aus, der bei Wurzelkrankheiten eine große Rolle spielt. Gelungen ist das mithilfe der neuen Genschere CRISPR-Cas 9. Solche Züchtungen kämen den Insekten zugute, deren Zahl unter anderem aufgrund des hohen Pesitzideinsatzes in den vergangenen Jahrzehnten massiv zurückgegangen ist (Seite 68).

Für den Einsatz in der Landwirtschaft sind diese Sorten zwar noch nicht bereit. Ihren Weg ebnen könnte allerdings ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Er wird in diesem Sommer entscheiden, ob die neuen Sorten als genveränderte Organismen eingestuft werden müssen und ihr Anbau in der Folge vielerorts verboten sein wird.

Doch nicht nur fehlende Bestäuber und Dürren könnten der Nahrungsmittelproduktion zu schaffen machen. Experten fürchten auch, dass im Zuge der Intensivierung des Ackerbaus die Nährstoffmenge wichtiger Nahrungspflanzen sinkt (Seite 80). Und sie klagen, dass die Lebensmittelindustrie die Bilanz bei der Verarbeitung noch einmal verschlechtert.

Wie also sieht die Zukunft unserer Ernährung aus? Konsumenten haben die Antwort auf diese Frage zumindest teilweise in der Hand. Weniger Fleischkonsum etwa würde helfen. „Aus neun Kilo Sojaeiweiß aus Südamerika wird am Ende nur ein Kilo Fleisch“, erinnert Grünenpolitikerin Renate Künast in einem Gastbeitrag in der „Frankfurter Rundschau“. 80 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche weltweit sind für die Produktion von Futtermitteln reserviert.

Würden die Deutschen pro Kopf nur noch die halbe Menge an Fleisch essen, wäre auch der eigenen Gesundheit geholfen. Hunderte Ratgeber machen den Deutschen weis, dass Ernährung ziemlich kompliziert ist. Doch wer sich wie Bestsellerautor Bas Kast durch Tausende von Studien kämpft, stellt fest: Es kommt eigentlich nur auf drei Dinge an – überwiegend pflanzliche Kost, wenig Zucker und eine möglichst geringe industrielle Verarbeitung der Lebensmittel (Seite 82).

Konsumenten können sich zudem entscheiden, welchen ökologischen Rucksack ihre Einkäufe hinterlassen. Regional und saisonal einzukaufen, ist tendenziell gut, Bioware muss es aber nicht zwangsläufig sein (Seite 76).

Um die richtigen Entscheidungen treffen zu können, muss der Käufer sich allerdings darauf verlassen, dass Nahrungsmittel gut ausgezeichnet sind – und die Informationen der Wahrheit entsprechen. Doch Fälschungen sind ein gutes Geschäft. Mit neuen Verfahren wollen Lebensmittelbehörden das nun ändern (Seite 78). Gut wäre es – für Mensch und Umwelt.