MIT Technology Review 4/2019
S. 112
Fundamente
Jubiläum

Eine Patience der Elemente

Vor 150 Jahren wurde das Periodensystem vorgestellt.

Dmitri Iwanowitsch Mendelejew hat die Chemie revolutioniert, aber nie den Nobelpreis bekommen. Foto: Blanc Kunstverlag/ SZ Photo

Der Vortrag, den ein gewisser Nikolai Alexandrowitsch Menschutkin am 6. März 1869 vor der Russischen Chemischen Gesellschaft hielt, sollte die Geschichte der Naturwissenschaft nachhaltig verändern: Menschutkin berichtete über die Arbeiten seines Lehrers Dmitri Iwanowitsch Mendelejew (1934–1907) aus Sankt Petersburg zur „Abhängigkeit der chemischen Elemente von ihrem Atomgewicht“. Die Tabelle, die er dabei vorstellte, ist heute als Periodensystem der Elemente bekannt. Mendelejew selbst war an diesem Abend verhindert – er inspizierte eine Käserei südlich von Moskau.

Das Periodensystem ordnet die Elemente in den waagerechten „Perioden“ nach ihrer Ordnungszahl – der Zahl der Protonen – an. In den senkrecht angeordneten „Gruppen“ finden sich Elemente, die Aufgrund ihrer Elektronenkonfiguration ähnliche Eigenschaften haben. Zur Gruppe der Alkalimetalle zählen beispielsweise Lithium, Natrium, Kalium und Cäsium.

Nur wenige Monate später veröffentlichte der deutsche Chemiker Lothar Meyer ein ähnliches Schema. Zunächst war offen, welches System sich durchsetzen wird. Meyer und Mendelejew erhalten für ihre Forschung 1882 gemeinsam die renommierte Davy-Medaille. Doch verblasste – zumindest außerhalb von Chemikerkreisen – der Name Meyer mit der Zeit. Und obwohl er zwischen 1905 und 1907 immer zu den aussichtsreichsten Kandidaten zählte, erhielt auch Mendelejew nie den Chemie-Nobelpreis.

Ihre wissenschaftliche Leistung war dennoch enorm, denn weder Mendelejew noch Meyer kannten die zugrunde liegenden Prinzipien – Protonen, Neutronen und Elektronen sollten erst Jahrzehnte später entdeckt werden. Bis in Mendelejews Zeit wurden Elemente etwa abhängig von Farbe, Leitfähigkeit oder thermischen Eigenschaften geordnet.

In rund 20 Jahren systematischer Arbeit erkannte der russische Chemiker jedoch, dass die zunächst naheliegend erscheinende Ordnung nach Atomgewicht nicht gänzlich aufging: Tellur zum Beispiel musste er nach Jod platzieren, obwohl Jod leichter ist. Bei der Lösung, die Mendelejew angeblich im Traum erschien, platzierte er die Elemente schließlich wie Karten in einer Patience – inklusive freier Plätze, für die er die Entdeckung damals noch unbekannter Stoffe postulierte: Eka-Silicium etwa, Eka-Aluminium oder Eka-Bor.

Tatsächlich wiesen die zwischen 1875 und 1886 entdeckten Elemente Scandium, Gallium und Germanium die vorhergesagten Eigenschaften auf. Als 1894 das Edelgas Argon entdeckt wurde, hielt Mendelejew es zunächst nur für einen „neuen Bestandteil der Luft“ – weil er dafür einfach keine Lücke in seinem System fand. Doch als auch Gase mit ähnlichen Eigenschaften wie Radon und Neon entdeckt werden, bekamen Edelgase ihren Platz – in einer eigenen Spalte.

Mittlerweile sind 118 Elemente bekannt. Doch auch 150 Jahre nach Mendelejews Entdeckung haben die Forscher die Suche nach neuen Elementen nicht aufgegeben. Sie ist allerdings sehr viel mühsamer geworden: Ab einer bestimmten Größe werden die Elemente instabil und kurzlebig. Jenseits der Ordnungszahl 114 entdeckten die Forscher jedoch eine Insel der Stabilität. Dort, bei den superschweren Elementen, erhoffen sich Wissenschaftler wertvolle neue Hinweise auf den Aufbau der Materie.

Auch heute sind russische Wissenschaftler auf diesem Feld weit vorn mit dabei. Im Flerov Laboratory of Nuclear Reactions in Dubna nördlich von Moskau, in dem insgesamt neun superschwere Elemente hergestellt wurden, entstand auch das bislang schwerste Element mit der Ordnungszahl 118: Organesson. Kern und Elektronen dieses superschweren Elements verhalten sich anders als bei leichteren Elementen. Das Labor will noch in diesem Jahr seine Superheavy Element Factory in Betrieb nehmen, um das Phänomen näher zu erforschen. WOLFGANG STIELER