MIT Technology Review 7/2019
S. 66
Horizonte
Indoor Farming

Ackern ohne Acker

Um die Welt zu ernähren, soll die Agrarproduktion in hoch automatisierte Gewächshäuser umziehen. Für Salat und einige Gemüse ist das bereits Realität. Nun untersuchen Forscher, wie das auch bei Getreide gelingen kann.

In automatisierten Indoor-Farmen zieht Iron Ox Blattgemüse für gesundheitsbewusste Kalifornier. Foto: Iron Ox

Große Wissenschaft kann ganz schön bodenständig aussehen. Wie Topfpflanzen in einem Kühlschrank zum Beispiel. Der Schrank, der eigentlich kein Kühlschrank ist, optisch aber in keiner Einbauküche weiter auffallen würde, steht im Labor von Volkmar Keuter am Fraunhofer-Institut Umsicht in Oberhausen. Keuter erforscht dort, unter welchen Bedingungen Nutzpflanzen optimal wachsen. Dafür züchtet er derzeit Liebstöckel in einer Pflanzenkultivierungskammer. Über den Pflanzen hängt ein LED-Modul, das blaues und rotes Licht abstrahlt. „Wir beobachten, wie der Liebstöckel im Verlauf seiner Entwicklung auf unterschiedlichste Lichteinstrahlungen reagiert“, erklärt Keuter. Rund ein Jahr laufen die Experimente mit der Heilpflanze schon.

Ähnliche Versuche gibt es derzeit in zahlreichen Forschungseinrichtungen weltweit. Die Frage, wie man Nutzpflanzen unter künstlichen Bedingungen optimal zum Wachsen bringt, beschäftigt Forscher von New York bis Singapur. Denn die Weltbevölkerung nimmt zu, guter Boden wird immer knapper, und die Frage, wie man all die Menschen künftig versorgen will, ist ungelöst. Warum also nicht die Agrarindustrie in mehrstöckige, hoch automatisierte Gewächshäuser verlagern, fragen sich Verfechter des sogenannten Indoor Farming. Dort wäre man unabhängig vom Wetter, könnte das Pflanzenwachstum in einer künstlichen Umgebung komplett kontrollieren und damit den Ertrag optimieren. Und fruchtbarer Boden wäre auch nicht mehr nötig, weil die Pflanzen dort nicht auf Erde, sondern auf hydroponischen Nährstofflösungen wachsen. Die Landwirtschaft wäre unabhängig vom Land. Nutzpflanzen könnten selbst in Gegenden wachsen, die heute noch ungeeignet für den Ackerbau sind, etwa in Städten, Wüstengebieten oder sogar dem Rand der Arktis.