MIT Technology Review 12/2020
S. 44
Horizonte
Überwachung

Fabelwelt der Cyber-Spione

NSO, Israels berüchtigter Produzent von Überwachungssoftware wie „Pegasus“, hat eine Transparenz-Offensive gestartet. Das ist kein Zufall. Die Branche steht extrem unter Druck.

Von Patrick Howell O'Neill und Wolfgang Stieler

Der Tag, an dem wir miteinander sprechen, ist sein 58. Geburtstag, aber Maâti Monjib ist nicht nach Feiern ­zumute. „Die Überwachung ist höllisch“, sagt er. „Sie kontrolliert mein ganzes Leben, alles, was ich tue.“ Monjib ist Geschichtsprofessor an der Universität von Rabat, Marokko – und er ist ein scharfer Kritiker der Menschenrechtsverletzungen durch die marokkanische Regierung. 2017 von der Regierung wegen Gefährdung der Staatssicherheit angeklagt, saß er vor einem Gerichtssaal, als sein iPhone plötzlich eine Reihe von Textnachrichten in WhatsApp anzeigte, deren Absender er nicht ­kannte. Sie enthielten Links zu anzüglichen Online-Artikeln, zu Peti­tionen, aber auch zu Shopping-Deals.

Einen Monat später erschien ein Artikel auf einer Nachrichtenseite, die eng mit dem marokkanischen Königshaus verbunden ist. Monjib wurde darin des Verrats beschuldigt. Er war zwar an Angriffe gewöhnt, aber nun schien es, dass seine Angreifer alles über ihn wussten: Sie hatten Informationen über eine prodemokratische Veranstaltung, an der er teilnehmen wollte, von der er aber fast niemandem erzählt hatte. In einem späteren Text prahlten die Autoren gar damit, dass der Professor „keine Geheimnisse vor uns hat“. Er war gehackt worden. Und zwar mithilfe der WhatsApp-Nachrichten, die er bekommen hatte, während er vor dem Gerichtssaal wartete. Sie alle hatten zu Websites geführt, die als Köder eingerichtet worden waren, um die Geräte der ­Besucher mit Pegasus zu infizieren – einem der berüchtigtsten Spionageprogramme der Welt.