MIT Technology Review 8/2020
S. 44
Horizonte
Biotech
Der Myrmekologe Clint Penick sammelt Ameisen, wo er geht und steht. Foto: Lauren Nichols

Apotheke der Insekten

Käfer, Maden und Co. entpuppen sich als schier unerschöpfliche ­Lieferanten neuer Wirkstoffe. Die Gelbe Biotechnologie will die ­Insekten-Apotheke ­nutzen – für neue Arzneien.

Von Joseph Scheppach und Jo Schilling

Ob auf dem Bürgersteig, im Garten oder auf dem Weg zur Kennesaw State University in Georgia – Clint Penick hat immer einen daumendicken Plastikschlauch mit Filter und Sammelkammer dabei, um unterwegs seine Studienobjekte einzusaugen: Ameisen. Er nennt sich selbst Myrmekologe, ein Kunstwort für Ameisenforscher, und zählt zu den Pionieren des jungen Forschungsfelds der Insekten-Biotechnologie. Insekten-Biotechnologen suchen in Sechsfüßern nach Wirkstoffen, die in der Medizin, in der industriellen Biotechnologie oder auch im Pflanzenschutz eingesetzt werden können – ähnlich wie Naturstoffe aus Pflanzen oder Bakterien. Analog zur Roten Biotechnologie, die sich der Medizin widmet, und der Grünen Biotech, die Pflanzen im Visier hat, bezeichnen Insektenkundler ihre Arbeit als Gelbe Biotechnologie. Gelb, weil die Körperflüssigkeit der Insekten, die sogenannte Hämolymphe, häufig gelb ist.

Die Hoffnung, dort verborgene Schätze zu finden, fußt auf dem außerordentlichen Erfolg der Tiere: Insekten gehören zu den ältesten Bewohnern unserer Erde. Sie haben ein gewaltiges Arsenal von Abwehrstoffen und Giften entwickelt, um sich ihrer Fressfeinde zu entledigen – und es seit 400 Millionen Jahren ständig optimiert. Bei geschätzten zehn Millionen verschiedenen Insektenarten – von denen gerade einmal ein Zehntel beschrieben ist – ergibt das einen gewaltigen Fundus. In Fliegen, Käfern, Ameisen, Wespen oder Heuschrecken schlummert damit das Potenzial für neue Wirkstoffe gegen Malaria, Krebs oder Aids. Auch dringend benötigte neue Antibiotika können die Krabbeltiere der Menschheit liefern. „Das riesige Feld der Insekten ist unverständlicherweise noch recht unerforscht, ­obwohl die Artenvielfalt der Insekten viel größer ist als die der Pflanzen“, sagt Penick. „Zudem reichern sich in Insekten vergleichsweise stärkere Stoffe mit breiterem Wirkspektrum als in Pflanzen an.“ Insektenwirkstoffe „sind ganz anders aufgebaut als Pflanzensubstrate und ermöglichen so neue pharmakologische Ansätze“, ergänzt Kwang-Zin Lee vom Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und angewandte Ökologie (IME) in Gießen.