MIT Technology Review 8/2020
S. 40
Horizonte
Technik
Damit ein Raumschiff schneller als Licht fliegen kann, müsste es das Gefüge der Raumzeit vor und hinter sich verzerren. Ob das physikalisch tatsächlich Sinn ergibt, darüber streitet die ­Wissenschaft noch. Foto: Gregoire Cirade/ Science Photo Library

Wie ein Warp Drive möglich wäre

Warum beschäftigen sich seriöse Wissenschaftler mit so fantastischen Dingen wie überlichtschneller Raumfahrt? Weil nicht ausgeschlossen ist, dass sie tatsächlich funktioniert.

Von Wolfgang Stieler

Der junge Mann, der da am Computer sitzt, sieht nicht aus wie der sprichwörtliche Nerd, der komplette Folgen seiner Liebling-SF auswendig kann und sich am liebsten in mächtigen Sternenkreuzern von der Erde wegträumt. Eher wirkt Joseph Agnew wie der freundliche, junge Ingenieursstudent von nebenan – praktisch, pragmatisch, an Technik interessiert, aber durchaus lebenstauglich. Und doch hat Agnew Großes vor: Er glaubt, dass überlichtschnelle Antriebe für Raumschiffe tatsächlich möglich sind – und das will er auch beweisen. Quasi als Aufwärmübung hat Agnew, der an der University of Alabama Maschinenbau studiert, dazu 2019 einen wissenschaftlichen Aufsatz geschrieben. 14 Seiten voller Formeln und Grafiken, die in Fachkreisen für Aufsehen gesorgt haben. Denn vielen Wissenschaftlern war bis dahin nicht bewusst, dass die Idee zwar hoch spekulativ ist, aber wissenschaftlich keineswegs unmöglich.

Dabei hat sich diese Erkenntnis schon vor 25 Jahren angedeutet: Der mexikanischen Physiker Miguel Alcubierre, der sich mit Gravitationstheorie beschäftigt, kam 1994 in seiner Freizeit – der Legende zufolge, nachdem er mehrere Episoden „Star Trek“ gesehen hatte – auf eine Idee: Statt wie üblich zu berechnen, welche Wirkung eine gegebene Masse – zum Beispiel ein Stern – auf das Raum-Zeit-Kontinuum hat, berechnete Alcubierre, welche Massenverteilung man benötigen würde, um das Gefüge des Universums so zu verzerren, dass überlichtschnelles Reisen möglich ist.