MIT Technology Review 6/2021
S. 84
Horizonte
Materialien

Zerbröselnde Geschichte

Kunststoffe sind längst nicht so langlebig wie ihr Ruf. In Museen kämpfen Kuratorinnen und Restauratoren jetzt um unsere jüngere Geschichte aus Plastik, denn sie zerkrümelt und zerfließt unter ihren Händen.

Von Jo Schilling

Um 1840 ging es mit Gummireifen langsam los: Kunststoffe fingen an unsere Welt zu durchdringen. Heute sind sie überall und nicht kaputt zu kriegen. Sie verschmutzen auch noch den letzten Winkel des Planeten – Plastik hat inzwischen einen miesen Ruf. Das Problem sei aber nicht der Kunststoff, ist Friederike Waentig vom Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft der Technischen Hochschule Köln überzeugt, sondern zu wenig Wissen über das Material. Ihr geht der Zerfall von Polymeren sogar zu schnell: In den Museen zerfällt der Kunststoff und von unserer jüngeren Technikgeschichte bleiben ohne Rettungsversuche nur Krümel und klebrige Haufen.

Der Raumanzug Sokol-KV-2 war 1992 auf der russischen Raumstation Mir. Jetzt beginnt er sich zu zersetzen. Eine Restauratorin nimmt eine Materialprobe, um dem Problem auf den Grund zu gehen.
Foto: Christian Illing / Deutsches Museum

Plastik im Museum ist weit mehr als technisches Erbe in Form von Filmen, Brillengestellen, Computern, Raumanzügen oder Radios. Pop-Art-Künstler wie Andy Warhol oder Roy Lichtenstein haben ihre Werke in Acryl gemalt – Suspensionen aus polymerisierten Acrylsäure-Estern. In den 70er-Jahren hat selbst Picasso zu aushärtenden Polymer-Lacken gegriffen. Und eine in Deutschland besonders für ihre Nanas berühmt gewordene Niki de Saint Phalle hat bei ihren Skulpturen ganz auf Plastik gesetzt. Duane Henson hat seine realistischen Menschenskulpturen ebenfalls vollständig aus Glasfaser und Polyesterharz geformt und mit Accessoires wie Dralonröcken, Nylonstrümpfen, Lockenwicklern aus Polystyrol und Handtaschen aus PVC ausgestattet.