MIT Technology Review 8/2021
S. 105
Fundamente
Rückschau/Vorschau

Schwerer als gedacht

An dieser Stelle blicken wir zurück auf Artikel, die vor zehn Jahren in MIT Technology Review erschienen sind. Diesmal: neuromorphe Chips.

Lernen, verstehen, schlussfolgern: Mit bioinspirierten Systemen wollen Forscher das Erfolgskonzept des menschlichen Denkorgans kopieren“, schrieb TR vor zehn Jahren. „Denn es kann, woran Chips bislang scheitern: lernen, komplexe Zusammenhänge verstehen, aus bruchstückhaften Informationen ein Gesamtbild konstruieren, Prognosen für Zukünftiges abgeben. Und dafür benötigt es nur lächerlich wenig Energie: Rund 20 Watt beanspruchen die grauen Zellen und vollbringen dabei Kunststücke, die Supercomputer mit bis zu 12 Megawatt Leistung – also 600 000-mal so viel – bislang vollkommen überfordern.“

Die Effizienz von Computern ist zwar besser geworden, vor allem durch den Einsatz von Spezialchips zur Beschleunigung von maschinellem Lernen. Mit der Leistungsfähigkeit biologischer Systeme können sie aber immer noch nicht mithalten. Bisher ist die Funktionsweise biologischer Gehirne allerdings noch nicht entschlüsselt. Die Ingenieure nähern sich ihrem Ziel also schrittweise.

TECHNOLOGY REVIEW 1/2012: Biologisch inspirierte Computer

Ein erster Schritt besteht darin, eine Eigenschaft biologischer Gehirne nachzubilden, die bisher in künstlichen neuronalen Netzen noch ignoriert wird: die sogenannte Spike-timing-abhängige Plastizität. Die Impulse mehrerer Neuronen kommen nämlich in der Regel nicht gleichzeitig bei einer Nervenzelle an, sondern zeitlich leicht versetzt. Ob die derart aktivierte Nervenzelle selbst feuert oder nicht, hängt nicht nur davon ab, wie viele Spikes sie erreichen, sondern auch von deren zeitlichem Abstand. Wird das Neuron von den einlaufenden Spikes zum Feuern angeregt, verstärkt sich die Verbindung zwischen den gleichzeitig feuernden Neuronen. Die Fähigkeit miteinander verbundener Neuronen, ihre Verbindungsstärke im laufenden Betrieb zu ändern, ist essenziell für die Anpassung an sich ändernde äußere Bedingungen – und damit für komplexe Lernprozesse.

„SNN“ (Spiking Neural Networks), von denen Forschende der Uni Heidelberg, aber auch Unternehmen wie IBM damals erste Prototypen vorlegten, sollen diese Fähigkeiten kopieren. Die großen Erwartungen, die damals in sie gesetzt wurden, haben sie allerdings noch nicht eingelöst. Aber die Forschung geht weiter: Intel legte erst kürzlich die zweite, verbesserte Version eines neuromorphen Chips vor, der 8192 künstliche Neuronen enthält. Anders als die erste Version des Chips berücksichtigen diese Neuronen nicht nur das Timing der Spikes, sondern auch ihre Stärke.

In dem Intel-Chip sind die Neuronen allerdings noch immer aus digitalen Bauelementen konstruiert. Weltweit arbeiten Forschungsgruppen aber bereits an künstlichen Neuronen, die mit analogen Elementen – sogenannten Memristoren – funktionieren. Das würde die Chips bedeutend kompakter machen und noch einmal drastisch Energie einsparen. Erste Demonstratoren mit solchen memristiven Bauelementen waren zwar vielversprechend. Noch haben diese Bauelemente aber zu große Fertigungstoleranzen. Experten rechen daher erst in einigen Jahren damit, dass diese Technologie Einzug in die nächste Generation neuromorpher Hardware halten wird. Wolfgang Stieler