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Elektromotorrad Livewire One​ im Test: Was bringt das Update?

Clemens Gleich

(Bild: Clemens Gleich)

Harley-Davidson schiebt das Elektromotorrad Livewire in eine eigene Marke und senkt den Preis. Die Livewire One ist jedoch zudem deutlich DC-kompatibler.​

Es ist immer ganz interessant, wenn Fahrzeuge zu mehr als einem Test kommen, weil man natürlich mehr über sie erfährt, wenn sich der Kontext des Testens erweitert – durch die Jahreszeiten, das Wetter, die Strecken und die zusätzlichen anderen Erfahrungen. Harleys Livewire gefiel mir von Anfang an gut. Sie war ein sehr interessanter Mittelweg zwischen "wir machen was ganz Neues" und "aber das müssen alle verstehen können". "Wenn du den Ball zu weit wirfst, fängt ihn keiner", sagt Motorrad-Designer Ola Stenegard gerne. Das gilt für die Gestaltung, nicht weniger aber für die Positionierung.

Fassen wir also kurz zusammen, was die Harley ausmachte und die Livewire One weiterhin ausmacht: Man sitzt wie auf einer alten Ducati Monster weit über die Tankattrappe gespannt. Das hilft dabei, kräftige und exakte Lenkimpulse zu setzen, die das 249 kg schwere Naked auch braucht. Es hilft beim Abstützen der enormen Beschleunigungskräfte. Es scheint außerdem beim Stromverbrauch zu helfen - dazu gleich mehr.

Das Fahrwerk krankt an sehr kurzen Federwegen, die entsprechend straff gedämpft und hart gefedert werden müssen. Harley-Kunden kennen es von anderen Modellen, wer von anderen Nakeds kommt, wird physikalisch zwangsweise mit dem Kopf schütteln, sobald er über unebene Strecken fährt. Selbst Motorrad-erfahrene Beifahrerinnen beschwerten sich über allzu harte Schläge in die Weichteile des Beckens.

Mehr über neue Batterie-Technologien

Auf den Reifen steht noch "Harley-Davidson", da lohnte sich wohl der Livewire-Schriftzug nicht. Die Gummis sind so lala, aber zumindest gutmütig. Das passt ganz gut zum Feder-Dämpfer-System, das mangels Feinfühligkeit bei Traktionsverlusten über Dreck oder ähnliches wenig Gutmütigkeit beisteuern kann. Beim Anhalten dreht die Motorsteuerung den Motor in Pulsen minimal vor und zurück, was sich als leichtes Pulsen unterm Hintern bemerkbar macht. Gedacht war das zur Erinnerung, dass der Antrieb scharf geschaltet ist, was keinen Mehrwert hat, aber zumindest ein liebenswertes Gimmick.

Harley hat ein extra laut konstruiertes Umlenkgetriebe verbaut, dessen Lautstärke in Ortschaften etwas nervt, weil ein Getriebe beim besten Willen kein interessantes oder schönes Geräusch erzeugt. Im Lastwechselbereich geht es über das Getriebespiel zudem in unschöne Resonanzen, die an Sand im Getriebe erinnern. So weit, so bekannt.

Die Ausgliederung der Marke Livewire hat für Harley vertriebliche Gründe, die für Kunden irrelevant sind, und für Harley wahrscheinlich auch. Die One unterscheidet sich also fast nicht von der Harley-Davidson Livewire. Man betrachtet sie am besten als ein lange fälliges Update, das die zwei größten Schwächen des Konzepts angeht: Preis und Kompatiblitätsprobleme mit DC-Ladesäulen.

Der Preis sinkt von rund 33.000 auf rund 25.000 Euro. Was mich daran fuchst und die wenigen Käufer einer Livewire für 33.000 Euro umso mehr: Wenn das offenbar geht, warum ging Harley damals überhaupt mit so einem Preis an den Start? Aber eine Betrachtung der Auftakt-Preisgestaltung bei Harley von außen muss bei jedem Modell scheitern. Immerhin spendierte die Company einen neuen hinteren Fender, diesmal ohne das hirnrissige Loch darin. Der Spritzschutz wird also besser.

Details Livewire One (0 Bilder) [11]

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Die Livewire punktete von Anfang an mit einem CCS-Ladestecker und DC-Ladeleistungen von bis über 18 kW. Mitbewerber Zero setzt auf hohe AC-Ladeleistungen, weil es im Motorrad-Hinterland mehr AC-Säulen gibt und hat gar keinen DC-Stecker. Zeros Schtick hat allerdings den gravierenden Nachteil, dass man ein fettes, schweres und in vielen kompakten Gepäcksystemen kaum zu verstauendes Typ-2-Kabel mitschleppen muss. DC-Ladestationen dagegen haben immer ihren eigenen Stecker. Dazu kommt, dass die Anzahl von DC-Ladestationen durch deren Preisverfall steil ansteigt. Ich persönlich denke: DC-Stecker sind auf lange Sicht der sinnvollere Weg für E-Motorräder auf Tour.

Leider vertrug sich die Livewire im ersten Test damals mit fast keiner neuen DC-Ladestation. Ich fuhr die alten 50-kW-Kästen an, weil die funktionierten, was natürlich keinem Kunden zuzumuten war, am wenigsten Umsteigern. Hier hat Harley die Software erheblich verbessert. Konnte ich im vorherigen Test noch kaum DC-Stationen finden, an denen die Livewire lädt, konnte ich jetzt mit der One keine DC-Station mehr finden, an der sie nicht lädt. Harleys Software agiert etwas dickköpfig, verlangt stets einen exakten Ablauf (erst autorisieren, dann anstecken, auch wenn die Station es andersherum vorschreibt), ließ sich damit aber jedes Mal laden, auch an seltenen Ladestationen. Am wichtigsten: Die weit verbreiteten Alpitronic-Hypercharger funktionieren einwandfrei. Damit spricht nichts gegen das, was ich schon mit der ersten Livewire tat: 300 bis 400 km schöne Tagestouren (ohne Kabel mitschleppen).

Am drittgrößten Kritikpunkt hat sich nichts geändert: Die AC-Ladeleistung liegt erbärmlich niedrig. Das Onboard-Ladegerät schafft maximal 1,4 kW. Das beiliegende Ladegerät für die 230-Volt-Steckdose schafft die Hälfte. Unter der Sitzbank hat Harley eine Plastikschale vorgesehen, in der dieser Ladeziegel liegt. Das geht, weil die dünneren Kabel sich da gut reinwickeln lassen, anders als bei einem typischen Typ-2-Kabel. Man kann damit allerdings nur Ladestopps mit Übernachtung machen, von daher habe ich das Fach immer für kleines Gepäck benutzt.

Laden und Verbrauch Livewire One (6 Bilder) [13]

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CCS-Stecker werden sich am Motorrad durchsetzen. Die einstige Ausrede "aber CCS ist zu groß" hat sich als Quark erwiesen.

(Bild: Clemens Gleich​)

Aufgrund der geringen AC-Ladeleistungen treten die Nebenverbraucher umso größer in Erscheinung beim Laden. Selbst bei den mageren 700 W Ladeleistung an 230-Volt-Steckdose rauscht der Umlauf der Kühlflüssigkeit dauerhaft und die Steuergeräte ziehen ihren Strom. Das bedeutet: AC-Ladeverluste im Bereich 20 Prozent, wenn man aus dem unteren Drittel auflädt und bis über 30 Prozent beim üblicheren Aufladen ab der oberen Hälfte SoC. Ganz ehrlich: Im Motorradkontext sind diese Zusatzkosten egal. Ich führe das so genau aus, damit Sie die Verbrauchsdaten in den richtigen Kontext setzen können, denn wir können ja nur brutto messen. Der Nettoverbrauch ist immer eine Schätzung des Fahrzeugs, die mal genauer, mal ungenauer anzeigt.

Der vom Fahrzeug geschätzte Nettoverbrauch lag zwischen 7,8 und 8,5 kWh auf 100 km, je nach Schnitt und Zuladung. Trotz des Energie fressenden Umlenkgetriebes kommt die Harley mit kleinerer Batterie weiter als die zuletzt getestete Zero DSR/X [15]. These: Stirnfläche und Aerodynamik lassen die Livewire weiter kommen. Bei den Fahrprofilen habe ich darauf geachtet, beide sehr ähnlich zu fahren. Zusammen mit dem DC-Lader ergibt sich damit eine schöne Reisefähigkeit für Leute, die mehr und längere Pausen machen. Der Bruttoverbrauch lag zwischen 10,5 und 12,6 kWh/100 km, wobei ich das Meiste am AC-Lader geladen habe.

Was bleibt? Ein liebenswertes Projekt-Motorrad, das mich an den anonymen Audi-Mitarbeiter erinnert, der zum A2 gesagt haben soll: "Das ist ein Prototyp, der nie in Serie hätte gehen dürfen." Beim Kaffeestopp am Kloster Bronnbach sprachen mich zwei interessierte Großrollerfahrer auf die Livewire an. Sie wollten so etwas gerne einmal ausprobieren. Sie müsste aber die Hälfte kosten für das, was sie bietet. Die zwei Großrolleristen äußerten die Hoffnung, dass die Zeit diese Kostensenkung bringen könnte. Angesichts der bisherigen nicht existenten Profite aus E-Motorrädern empfahl ich ihnen, sich lieber jetzt eine Probefahrt zu suchen, solange es diese Motorräder gibt. Die Preisnachlässe geben die Händler irgendwann, wenn sich das Zeug lange genug die Reifen plattgestanden hat.

Die nächste Livewire heißt Del Mar. Sie kommt mit cool präsentierter Technik, an den Dirt Track angelehnten Reifendimensionen, was schon bei Indians FTR [16] ein Schuss in den Ofen war und mit einem deutlich kleineren Akku. Sie soll für "urbanes" Publikum interessant sein, das sich sinnvollerweise lieber einen E-Roller kauft.

Bei 88 km/h soll sie 137 km weit fahren. Es gibt kein DC-Laden, nur AC. Sie soll bei uns knapp unter 20.000 Euro kosten. Ich denke, ich muss keine weiteren Details schreiben, denn der Fall ist klar: Auch die nächste Livewire wird liebenswert, eigenständig, interessant und ein Flop. Freunde schrulliger US-Fahrzeuge sollten schauen, was sie beim Händler an günstigen Vorführern finden können, solange es diese herzigen Dinger gibt. Große Käuferkonkurrenz müssen sie nicht befürchten.

Die Livewire One kostet ab 24.990 Euro.

Hersteller Livewire
Modell One
Motor und Antrieb
Motorart Permanenterregter Synchronmotor
Boost-Leistung in kW (PS) 78 (106)
bei Drehzahl in U/min 11.000
Dauerleistung in kW (PS) 60 (82)
bei Drehzahl in U/min 8000
Drehmoment in Nm 116
Antrieb Umlenkwelle, kleiner Zahnriemen, großer Zahnriemen
Fahrwerk
Rahmen Alu-Brückenrahmen, dreiteilig aus Gussprofilen
Radaufhängung vorn Upside-Down-Telegabel, 43 mm Standrohr
Radaufhängung hinten Aluminium-Zweiarmschwinge mit Monofederbein
Reifengröße vorn 120/70 ZR 17
Reifengröße hinten 180/55 ZR 17
Bremsen vorn Doppelscheibe, 300 mm, Vierkolben-Festsättel, radial montiert
Bremsen hinten Einzelscheibe, 260 mm, Zweikolben-Festsattel
Lenkkopfwinkel in Grad 65,5
Nachlauf in mm 108
Federweg in mm v/h 115/115
Maße und Gewichte
Radstand in mm 1490
Leergewicht in kg 249
Zuladung in kg 181
Sitzhöhe in mm 780
Akku und Laden
Akkukapazität brutto/netto in kWh 15,5/13,6
Ladeleistung DC maximal in kW 18
Ladeleistung AC maximal in kW 1,4
Ladeleistung Schuko-Adapter in kW 0,7
Fahrleistungen
Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in Sekunden 3
Höchstgeschwindigkeit kurzzeitig in km/h 177
Höchstgeschwindigkeit dauerhaft in km/h ~160
Verbrauch
Testverbrauch in kWh / 100 km brutto 10,5 bis 12,6
Bruttoverbrauch nach WMTC-Norm in kWh / 100 km 13,8
Daten Stand Oktober 2023

(cgl [17])


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[4] https://www.heise.de/hintergrund/Batterietechnik-der-Zukunft-Natrium-vs-Lithium-8994022.html
[5] https://www.heise.de/hintergrund/Batterien-fuer-Elektroautos-Natrium-Zellen-auf-dem-Vormarsch-9187640.html
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[7] https://www.heise.de/hintergrund/Batteriezellen-in-Elektroautos-Zylindrisch-prismatisch-oder-Pouch-8116356.html
[8] https://www.heise.de/hintergrund/Ladepausen-fuer-ein-laengeres-Batterieleben-9296439.html
[9] https://www.heise.de/hintergrund/Lithium-Ionen-Batterien-Ursache-fuer-Selbstentladung-von-Akkus-entdeckt-7517910.html
[10] https://www.heise.de/news/Zwischen-Batterie-und-Elektrolyseur-Neuartiger-Speicher-erzeugt-Wasserstoff-9241028.html
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[15] https://www.heise.de/tests/Reise-mit-X-Elektromotorrad-Zero-DSR-X-im-Test-9295733.html
[16] https://www.heise.de/tests/Auf-kleinen-Sohlen-Indian-FTR-S-im-Test-6055941.html
[17] mailto:cgl@ct.de