Handheld für Retro-Fans: Analogue Pocket im Test

Die Pocket-Konsole überzeugt mit akkurater Emulation und knackscharfen Bildern. Sie spielt echte Game-Boy-Module ab und ist sogar ein Synthesizer.

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Von
  • Kjell Norton
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Beim Pocket vom Konsolenhersteller Analogue handelt es sich um einen Handheld, der mobile Spielkonsolen-Klassiker emuliert. Solche mobilen Retrospielbegleiter liegen derzeit voll im Trend und der Markt ist davon förmlich überflutet. Doch der Pocket hebt sich von der Masse ab: Spiele laufen von Original-Spielmodulen und dank Hardware-Emulation soll das Spielerlebnis noch originalgetreuer als bei der Konkurrenz ausfallen. Dafür kommt ein sorgfältig programmiertes Field Programmable Gate Array (FPGA) zum Einsatz.

Der Vorteil bei der Emulation via FPGA ist, dass im Gegensatz zur reinen Software-Emulation mittels Raspberry Pi & Co. die Hardware des emulierten Geräts auf Transistorebene nachgestellt wird und – exakt wie das Original läuft – wenn es richtig programmiert ist. Dass die Analogue-Entwickler das sehr gut können, haben sie bereits mehrfach bewiesen, etwa beim Super-Nintendo-Klon Super NT.

Auch bei der Ausstattung setzt sich der Pocket von anderen mobilen Retrokonsolen ab und bietet unter anderem einen echten "Hingucker"-Bildschirm und ein optional erhältliches externes Dock mit HDMI-Videoausgabe an. Das Konzept scheint aufzugehen: Derzeit ist der 195 Euro teure Handheld ausverkauft. Wer jetzt vorbestellt, erhält das Gerät erst 2023. Auf eBay ist es für Mondpreise um 800 Euro zu haben.

Spielekonsolen: Playstation, Xbox und mehr

Als Vorbild dient in Sachen Formfaktor und Designsprache Nintendos Game Boy Pocket. Ohne optionale Adapter versteht die Konsole sich ausschließlich mit Spielmodulen der Game-Boy-Familie. Für Kompatibilität mit Modulen anderer Systeme sollen separat erhältliche Adapter sorgen, die unter anderem Spiele für Atari Lynx, SNK Neo Geo Pocket und Sega Game Gear auf den Pocket übersetzen. Bestellen kann man bisher den Adapter für Game-Gear-Module, die anderen sollen noch dieses Jahr folgen.

Die Hauptfunktion des optional erhältlichen Docks ist es, das Bildsignal in Full-HD-Auflösung auf einem externen Bildschirm darzustellen.

Die Konsole ist in schwarzem oder weißem Kunststoffgehäuse erhältlich. Das Gewicht von 276 Gramm vermittelt ein wertiges Gefühl und wirkt trotzdem nicht zu schwer. Der Pocket ist sehr gut verarbeitet und gibt sich optisch edel und zeitgemäß. In unserem Test hielt der Akku bei maximaler Bildschirmhelligkeit rund viereinhalb Stunden.

Bis auf den an der rechten Seite untergebrachten Micro-SD-Kartenslot sind die wenigen Anschlüsse allesamt an der Unterkante der Konsole platziert: Per 3,5-mm- Klinkenbuchse schließt man Kopfhörer oder externe Lautsprecher an. Über USB-C wird der Akku geladen und die Konsole mit der Dockingstation verbunden. Darüber gibt man das Bild via HDMI auf einem Fernseher aus.

Über den Link-Port, der mit dem der Original-Versionen von Game Boy Pocket, Color und Advance identisch ist, kann man bis zu vier Konsolen miteinander verbinden und lokal gegeneinander spielen. Die Vermischung von Original-Game-Boy und Analogue Pocket funktioniert einwandfrei.

Auch Zubehör wie der Game Boy Printer oder die MIDI-Kabel von Analogue finden hier Anschluss. Das Game-Cube-GBA-Link-Kabel passt jedoch aufgrund der eingebauten Rasthaken nicht. Zusätzlich befindet sich an der Unterkante die vom Game Boy Color bekannte Infrarot-Schnittstelle mit der man, je nach Spiel, bestimmte Daten austauschen kann. Ob und wie das Verlinken im Game-Gear-, Lynx- und Neo-Geo-Pocket-Modus funktionieren soll, ist derzeit noch unklar.

Mit sechs Aktionstasten auf der Vorderseite und zwei Schultertasten rückseitig in Höhe des Modulschachts kann man von klassischen Game-Boy- bis Game-Boy-Advance-Titeln alles so spielen, wie man es von früher kennt. Die Tasten und das Steuerkreuz haben einen angenehmen Druckpunkt, klappern bei hektischen Spielmanövern jedoch leicht. Weniger vorteilhaft ist der Formfaktor für Spiele, in denen die Schultertasten von größerer Bedeutung sind. Wie beim Game Boy Advance SP liegen diese sehr nah beieinander, was schon nach kurzer Zeit zu verkrampften Händen führt.

Wer glattgebügelte Bilder mag (oben), wählt bei den Darstellungsfiltereffekten den Analogue-Modus. Damit Spiele so wie auf einem Original-Game-Boy-Bildschirm erscheinen, aktiviert man den Game-Boy-Modus (unten).

Das Hauptmenü erreicht man jederzeit über die Home-Taste. Es wirkt aufgeräumt, zeigt aber auch, dass in der aktuellen Firmware 1.0B noch nicht der volle Funktionsumfang freigeschaltet ist: Menüpunkte wie "Library", "Memories" und "Button Mapping" sind ausgegraut. Der Hersteller will die Funktionen im nächsten Update nachliefern.

Über einen kurzen Druck auf den seitlich angebrachten Power-Taster versetzt man die Konsole in den Sleep-Modus und fährt später nahtlos mit dem Spielen fort. Praktisch: In der aktuellen Firmware Version kann man eine Quick-Save-Funktion aktivieren, mit der man den Zustand eines Spiels an einer beliebigen Stelle speichern und wieder laden kann, auch wenn der Titel so eine Funktion nicht anbietet.

Im Test liefen die uns vorliegenden originalen Game-Boy-, Game-Boy-Color- und Game-Boy-Advance-Module einwandfrei. Berichten zufolge gibt es jedoch bei einer Handvoll Titeln Probleme, die von leichten Grafikfehlern bis hin zu Aussetzern in der Steuerung reichen. Erfahrungsgemäß korrigiert der Hersteller solche Fehler relativ schnell per Firmware-Update.

Die größte Besonderheit neben dem FPGA-Konzept ist der hochauflösende und blickwinkelstabile Bildschirm mit IPS-Panel, der durch eine aus Gorilla Glas gefertigte Scheibe geschützt ist. Er löst mit 1600 × 1440 Pixeln bei einer Diagonalen von 3,5 Zoll mit einer extrem hohen Pixeldichte von 615 ppi auf. Zum Vergleich: Ein iPhone 13 kommt "nur" auf 460 ppi.

Die Wahl der Pixelanzahl ist kein Zufall, denn sowohl Nintendos Game Boy als auch Segas Game Gear nutzen eine Auflösung von 160 × 144 Pixeln. Das ermöglicht – zumindest beim Game Boy – eine saubere, ganzzahlige Skalierung. Obendrein ist auch noch Luft für Effekte wie die originalgetreue Darstellung des Pixelrasters der Vorbilder von Nintendo und Sega.

Das geht sogar so weit, dass individuelle Subpixel, also Rot-, Grün- und Blauanteil eines skalierten Pixels, in ihrer Form – und damit im korrekten Seitenverhältnis – nachgestellt werden können. Das ist für Retro-Enthusiasten wichtig: Denn obwohl Game Gear und Game Boy die gleiche Pixel-Anzahl aufweisen, unterscheidet sich das Bildseitenverhältnis.

Wie früher, nur mit bedeutend besserer Technik: Original Game Boy Color (links) im Vergleich mit Analogue Pocket.

Das Originaldisplay des Game Gear (4:3) hat rechteckige Pixel. Der Bildschirm des Game Boy und Game Boy Color (10:9) hat hingegen quadratische Bildpunkte. Die geometrischen Formen der Pixel bestimmen das Bildseitenverhältnis. Game-Boy-Advance- (3:2) und Game-Gear-Spiele werden auf dem Pocket aus diesem Grund originalgetreu mit schwarzen Balken am oberen und unteren Bildschirmrand dargestellt, sofern man die Bildgröße nicht händisch verstellt.

Für jedes System stehen neben dem ungefilterten "Analogue"-Modus mehrere Effekte zur Auswahl, die verschiedene Varianten der Originaldisplays simulieren sollen. So wählt man im Game-Boy-Modus etwa die Optik des klassischen grünen Game-Boy-"DMG"-Bildschirms, des Game Boy Pocket oder sogar die des seltenen Game Boy Light aus. Außerdem gibt es eine rote "Pinball Neon Matrix", die an den Virtual Boy erinnert. Wer im Game-Boy-Color-Modus spielt, kann das Original-Displayraster auswählen.

Im Game-Boy-Advance-Modus wählt man zwischen dem unbeleuchteten Ur-GBA- und dem beleuchteten SP101-Display. Die Beleuchtung des Pocket ist immer aktiv, die Software schraubt aber an der Farbsättigung. Ähnliches gilt für den Game Gear mit den Modi "GG" und "GG+". Hier wird das Streifenraster des Original-Passiv-Matrix-LCDs vorgegaukelt und jeweils die Farbsättigung verändert. Das alles sieht auf dem kleinen Bildschirm sehr authentisch aus.

Wer es noch nostalgischer mag, schaltet über den Menüpunkt "Frame Blending" eine Bewegungsunschärfe hinzu, die die Trägheit alter LC-Displays simuliert und auch flackernden Transparenzeffekten entgegenwirkt. Eine extreme Schlierenbildung wie auf dem original Game Boy hat man jedoch nicht zu befürchten, wäre aber ein lustiges Gimmick gewesen.

An sich hat der Bildschirm des Pocket eine sehr neutrale Farbdarstellung, aber gerade in den Modi Game Boy Color und GBA wirken die Farben bisweilen zu kräftig. Das liegt daran, dass die Spiele für unbeleuchtete Bildschirme optimiert wurden und damit von Natur aus etwas blasser erscheinen. Der Regler für die Farbsättigung funktioniert in jedem Bildmodus und schafft hier Abhilfe.

Die separat erhältliche Dockingstation verbindet den Pocket mit einem Fernseher und macht einen stabilen Eindruck. Außer einem HDMI-Anschluss beherbergt das Dock zwei USB-A-Anschlüsse für kabelgebundene Controller. Kabellose Controller verbindet man über Bluetooth oder via proprietärer 2,4-GHz-Schnittstelle ohne zusätzlichen Dongle. Letztere hat den Vorteil einer geringeren Eingabelatenz, funktioniert aber nur mit Zubehör vom Hersteller 8BitDo. Die Verbindung mit PlayStation-4- und Xbox-One-Bluetooth-Controllern klappte im Test einwandfrei.

Die Bildausgabe des Docks ist auf maximal 1080p (Full HD) begrenzt und erlaubt dadurch nicht exakt dieselbe Skalierung wie der integrierte Bildschirm. Die zusätzliche Möglichkeit der Bildausgabe in 1440p wäre schön gewesen, denn zum Beispiel viele 27-Zoll-Monitore laufen mit dieser Auflösung. In der Praxis ist das Bild am heimischen Full-HD- oder 4K-Fernseher trotzdem sehr gut. Auf traditionelle Scanlines hat man diesmal zugunsten der Filtereffekte verzichtet, zumal diese auch besser zu Handheld-Spielen passen.

Außer zum Spielen kann man den Analogue Pocket auch zum Musizieren nutzen. Die aus der Chiptune-Szene bekannte Game-Boy-Sequencer-Software Nanoloop ist vorinstalliert und lässt sich mittels separat erhältlicher MIDI-Adapterkabel mit Musikequipment verbinden.

Entwicklern eigener Game-Boy-Spiele erleichtert der Pocket das Testen von Eigenkreationen mittels integrierter GB-Studio-Schnittstelle. Die auch für Anfänger geeignete und frei erhältliche Software für Linux, macOS und Windows legt das Endergebnis als .pocket Datei ab, die man anschließend via MicroSD-Karte direkt auf der Konsole abspielt.

Der bei Analogue-Geräten schon fast obligatorische "inoffizielle" Jailbreak, der meist kurze Zeit nach Veröffentlichung der Hardware erscheint und das Laden von ROM-Abbildern via SD-Karte ermöglicht, ist bisher ausgeblieben. Erstmals können Hobby-Entwickler an einer Analogue-Konsole Hand anlegen: Der neue Ansatz besteht darin, einen zusätzlich eingebauten, kleineren FPGA für Entwickler zugänglich zu machen und damit beispielsweise vom Erfolg der MiST-Community zu profitieren. Der Haupt-FPGA bleibt dabei jedoch Analogue vorbehalten.

Analogue Pocket
Mobile Spielkonsole
Hersteller, URL Analogue, analogue.co
Hardware Altera/Intel Cyclone V FPGA; Intel Cyclone 10 FPGA (getestet mit Firmware 1.0B)
Bildschirm 3,5 Zoll, 1600 × 1440 Pixel, 10:9, 615 ppi, variable Bildwiederholrate
integrierter Flash-Speicher keiner, erweiterbar via MicroSDHC-Karte
Modulschacht Nintendo Game Boy, Game Boy Color, Game Boy Advance; separat erhältliche Adapter für Sega Game Gear, Atari Lynx, SNK Neo Geo Pocket
Akku, Laufzeit 4300 mAh, fest eingebaut, ca. 4:30 h bei 100 % Bildschirmhelligkeit
Anschlüsse Konsole: 3,5 mm Klinke, Link-Port, USB-C, SD-Kartenslot; Dockingstation: 2 × USB-A, 1 × USB-C, 1 × HDMI
Videoausgabe Dockingstation: HDMI bis zu 1080p60
Audioausgabe Konsole: Stereolausprecher; Dockingstation: PCM Stereo über HDMI
Drahtlosverbindung Konsole: Infrarot (Game Boy Color); Dockingstation: Bluetooth, proprietäre 2,4 GHz Verbindung für 8BitDo-Controller
Stromaufnahme bis zu 15 W
Bedienung Powertaste, Laut/Leise, Steuerkreuz, Home-Taste, 6 Aktionstasten, 2 Schultertasten
Zubehör USB-C-Netzteil (18 €), Dockingstation inkl. Netzteil (89 €), Modul-Adapter (27 €), Link-Kabel (14 €), Nanoloop MIDI-Kabel (18 €), Nanoloop Analog-Sync-Kabel (18 €), Nanoloop USB-MIDI-Kabel (18 €)
Preis 195 € (vorbestellbar für 2023)

Analogue liefert mit dem Pocket eine Konsole, die mit ausgezeichneter Kompatibilität und Präzision ihre Retrovorbilder akkurat nachahmt und teilweise, etwa bei der Bildqualität, sogar übertrumpft. Und durch das Dock kommt man auch am TV in den Genuss der riesigen Spielbibliothek von Game Boy & Co.

Der Funktionsumfang ist derzeit ordentlich, aber noch unvollständig. Für die Firmware-Version 1.1 sind Gimmicks wie das Übertragen von Bildern aus der Game-Boy-Kamera auf eine SD-Karte angekündigt. Außerdem sollen bislang unzugängliche Menüpunkte, etwa zum Anpassen der Tastaturbelegung, aktiv werden. Der entwicklerfreundliche Community-Ansatz weckt Hoffnung auf mehr.

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