Pico 4 ausprobiert: Angenehm kompakte VR-Brille vom Tiktok-Betreiber​

Die Quest 2 bekommt Konkurrenz, und zwar in deutlich schlankerem Formfaktor. Die VR-Brille Pico 4 soll zum Schnäppchenpreis einiges besser machen.​

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(Bild: Jan Wöbbeking)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Tiktok-Betreiber Bytedance startet einen Angriff auf Metas Vormachtstellung im Bereich günstiger VR-Brillen. Die unkomplizierte Pico 4 orientiert sich dabei stark an der Quest 2 von Meta. Sie lässt sich eigenständig betreiben und taugt auch als PC-Headset. Zusätzlich erleichtert der XR2-Chip, der auch in der Quest 2 verbaut ist, Spieleportierungen. Macht der kompakte Formfaktor die Pico 4 sogar zur besseren Alternative?

Ein Schnäppchen ist sie in jedem Fall: Nur 430 Euro (128 GB Speicherplatz) beziehungsweise 500 Euro (256 GB) werden aufgerufen. Bei der Quest 2 sind es nach einer Preiserhöhung mittlerweile 450 Euro (128 GB) bzw. 550 Euro (256 GB). Bytedance stößt mit der neuen Hardware in eine Lücke, da Meta hierzulande gar keine VR-Hardware verkauft. Seit 2020 gibt es einen Verkaufsstopp wegen eines laufenden Missbrauchsverfahrens beim Bundeskartellamt. In den USA ist es genau andersrum: Die Quest 2 ist dort erhältlich, Bytedance hingegen traut sich nach einem Beinahe-Verbot von TikTok nicht auf den Markt für Endkunden.

Als unkompliziertes, Android-basiertes Einsteiger-Headset kann die Pico 4 schon jetzt überzeugen. Das Angebot aus über 200 Spielen, Sport-, Film- und Social-Apps hinkt Meta zwar noch deutlich hinterher. Trotzdem finden sich darunter schon Hochkaräter wie das Tabletop-Rollenspiel "Demeo". Später sind unter anderem der Survival-Erfolg "The Walking Dead: Saints & Sinners" und der Exklusivtitel "Just Dance VR" geplant. Grafisch aufwendige Titel wie das SciFi-Adventure "Red Matter" oder das Survival-Spiel "Green Hell" haben allerdings leicht unter der Umsetzung gelitten. Sie bieten etwas weniger Details und scharfe Texturen als auf der Quest 2.

Foto durch die Linse: Das Pixelraster ist nur noch leicht sichtbar, hier beim vom PC gestreamten "Project Cars 2".

(Bild: Bandai Namco/Jan Wöbbeking)

Besser schlägt sich das stabile Inside-out-Tracking mit voller Bewegungsfreiheit. Die Erfassung der eingebauten Kameras bleibt angenehm stabil, selbst beim zweihändigen Zielen oder bei wilden Boxhieben in der gelungenen Fitness-App "Les Mills Body Combat". Auf Metas Erfolgsmarken wie "Beat Saber" müssen Nutzerinnen und Nutzer übrigens verzichten. Die noch nicht finale System-Software litt vereinzelt noch unter Bugs, etwa beim mitgelieferten PC-Streaming oder beim Start des sozialen Spiele-Baukastens "Rec Room". Später plant Bytedance sogar eine eigene Alternative dazu: "Pico Worlds" klingt wie eine Kopie von Metas erfolgloser Social-App "Horizon Worlds". Auch die austauschbaren Hintergründe im Wohnzimmer-Menü erinnern erstaunlich stark an die Quest.

Als technisches Highlight erweisen sich die modernen Pancake-Linsen. Sie falten den Lichtstrahl gleich mehrfach, sodass sie näher an die zwei LC-Bildschirme (wahlweise 72 oder 90 Hertz) rücken. Die Folge ist eine erfreulich schmale Front, die an der dünnsten Stelle nur 35,8 mm misst. Das Gewicht ähnelt mit 586 Gramm dem der Quest 2. Je nach verwendetem Kopfbügel ist Metas Konkurrenz ein wenig schwerer oder leichter. Der nach hinten verlagerte Akku der Pico 4 verbessert allerdings spürbar die Balance.

So viel Komfort bringt ungewünschte Nebenwirkungen mit sich. Andere VR-Brillen wie die Quest 2 oder Valve Index wirken danach erstaunlich klobig und schwer. Geradezu futuristisch mutet die automatische, stufenlose IPD-Einstellung für den Augenabstand an (62 bis 72 Millimeter). Einfach den passenden Wert eingeben, es surrt ein paar Mal – und schon hat ein Motor sowohl Linsen als auch die Screens an die passende Stelle geschoben, also wie beim Luxus-Headset Varjo Aero.

Das farbige Passthrough-Bild aus nur einer Kamera ermöglicht AR-Spiele, wirkt auf Dauer aber unangenehm und weniger räumlich als bei teureren Headsets.

(Bild: Jan Wöbbeking)

Bei der Auflösung von 2160 × 2.160 Pixeln pro Auge hat Pico ebenfalls die Nase vorn, zumindest im Bereich günstiger Einsteiger-Headsets (Quest 2: 1832 × 1920 Pixel). Das Sichtfeld erweist sich in unserer Messung ebenfalls als brauchbar, mit 88 Grad vertikal und 86 Grad horizontal. Anders als bei der Valve Index mit ihrem größeren Sichtfeld sind kaum noch störende Lichtbrechungen ("God Rays") zu erkennen. Ein Allheilmittel sind die neuen Pancake-Linsen aber nicht. Das Gesamtbild bleibt deutlich dunkler, was sich beispielsweise an hellen Wolken bemerkbar macht. Die geringere Lichtausbeute stört zwar meist nicht, fällt im Direktvergleich mit anderen Headsets aber sofort auf.

Weitere Kinderkrankheiten gibt es am Bildrand, der eine Spur unschärfer wirkt als auf der Quest 2 ("Edge to edge clarity"). Auch geometrische Verzerrungen fallen an den Rändern häufiger auf als bei anderen VR-Brillen. Auch das sind nur Feinheiten, insgesamt bleibt das Quest-2-Bild aber etwas klarer.

Ein schwaches Bild geben die Anschlussmöglichkeiten ab: Lediglich eine USB-C-Buchse findet sich am Gehäuse. Ein Klinkenanschluss für Kopfhörer fehlt hier ebenso wie der Displayport des Vorgängers Pico Neo 3 Link. Beim mitgelieferten SteamVR-Streaming (Wi-Fi 6, bald auch per Dongle) sind leichte Kompressionsartefakte und etwas Latenz also nicht zu vermeiden, selbst im Kabelbetrieb. "Half-Life: Alyx" und "Project Cars 2" sahen bei einem Testspiel trotzdem noch ziemlich hübsch aus. Der Akku mit 5.300 mAh hält dabei allerdings nur knapp zwei Stunden durch. Handtracking lässt sich bereits im Entwicklermenü aktivieren, wirkt aber noch ähnlich ungenau wie anfangs auf der Quest 2.

Insgesamt kann die Pico 4 in unserem Ersteindruck also durchaus mit der Quest 2 mithalten, auch der Softwarekatalog noch einiges aufzuholen hat. Vor- und Nachteile sind weitgehend Geschmackssache, etwa der bessere Tragekomfort oder etwas weniger Bildklarheit am Rand. Schön, dass Meta im autarken Einsteiger-Segment endlich ein wenig Konkurrenz bekommt. Dass ausgerechnet der TikTok-Konzern dahintersteht, dürfte Facebook-Gegnern ebenso wenig gefallen. Die Pico 4 geht am Dienstag, 18. Oktober in den Verkauf.

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(dahe)